BERLIN. Der Staatsrechtler Dietrich Murswiek hat die Einstufung der AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ durch den Verfassungsschutz nach einem Blick in die Mitteilung der Behörde kritisiert. „Die Presseerklärung des Bundesamts für Verfassungsschutz stützt sich ausschließlich auf die Behauptung, die AfD sei geprägt durch ihre Mißachtung der Menschenwürde, und dies ergebe sich aus ihrem ethnisch-abstammungsmäßigen Volksverständnis“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT.
„Dieser Vorwurf ist nicht neu, aber er ist falsch. Die Presseerklärung läßt nicht erkennen, daß das Gutachten, das der Einstufung der AfD als ‚gesichert rechtsextremistisch‘ zugrunde liegt, neue Erkenntnisse enthält, die den Vorwurf des Verfassungsschutzes beweisen.“ Vielmehr scheine es so zu sein, daß in dem Gutachten eine Vielzahl weiterer Äußerungen zusammengetragen worden seien, „die ebenso wie fast alle der bisher als Anhaltspunkte für eine extremistische Ausrichtung der AfD verwendeten Äußerungen nicht geeignet sind, den Vorwurf zu belegen, die AfD wolle die Menschenwürdegarantie beseitigen“.
Murswiek: Ethnisch-kultureller Volksbegriff nicht verfassungsfeindlich
Murswiek betont: „Die Verwendung eines ethnisch-kulturellen Volksbegriffs oder – wie es jetzt heißt – ein ethnisch-kulturellen Volksverständnis ist per se nicht verfassungsfeindlich und verletzt insbesondere nicht die Menschenwürde.“ Die Behauptung, dieses Volksverständnis ziele darauf ab, bestimmten Bevölkerungsgruppen einen rechtlich abgewerteten Status zuzuweisen, sei „eine Unterstellung, die nach meiner Kenntnis bisher nicht durch Äußerungen von AfD-Politikern belegt ist“.
Bereits 2022 hatte sich Murswiek im Interview mit der JUNGEN FREIHEIT umfassend zur Frage eines ethnischen Volksbegriffes geäußert. Dabei machte er klar, daß es verschiedene Volksbegriffe gebe, neben dem Begriff des Staatsvolkes auch den des Volkes im ethnisch-kulturellen Sinne. Murswiek stellte dazu klar: „Man muß, wenn man politische Ziele formuliert, nicht ‚den‘ Volksbegriff des Grundgesetzes verwenden.“ (Das ganze Interview lesen Sie hier.) Murswiek hat als Staatsrechtsprofessor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg gelehrt und war als Berater für verschiedene Parteien, auch die AfD, aktiv. Bis 2015 war er Mitglied der CDU.
Derweil zeigte sich der Verfassungsrechtler Volker Boehme-Neßler von der Universität Oldenburg im Gespräch mit Apollo News „erstaunt und befremdet“. Er verwies darauf, daß Innenministerin Nancy Faeser (SPD) nur noch wenige Tage im Amt ist. Auch die Begründung sei schwierig und dünn. „Fast ein Skandal“ sei, daß das Gutachten des Verfassungsschutzes nicht veröffentlicht wird. Der Augsburger Verfassungsrechtler Josef Franz Lindner bezeichnete die Geheimhaltung des Gutachtens bei gleichzeitiger Veröffentlichung des Ergebnisses als „No Go“.
Dass das Gutachten zur AfD im Geheimen bleibt, die Einschätzung selbst aber herausposaunt wird, ist in einem echten Rechtsstaat ein no go.
— Josef Franz Lindner (@JosefFLindner) May 2, 2025
Verfassungsschutz argumentiert mit Volksbegriff der AfD
Die Behörde hatte am Freitag bekanntgegeben, daß er die AfD fortan als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ einstuft. Die Kölner Behörde stützt die Entscheidung dabei vor allem auf das „ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis“, das in der Partei vorherrsche und „nicht mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vereinbar“ sei, wie aus einer Mitteilung hervorgeht.
Das Volksverständnis der AfD ziele darauf ab, bestimmte Bevölkerungsgruppen von einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Teilhabe auszuschließen und sie einer nicht verfassungskonformen Ungleichbehandlung auszusetzen. „Konkret betrachtet die AfD zum Beispiel deutsche Staatsangehörige mit Migrationsgeschichte aus muslimisch geprägten Ländern nicht als gleichwertige Angehörige des durch die Partei ethnisch definierten deutschen Volkes“, heißt es in der Mitteilung. Weitere Details und politische Reaktionen lesen Sie hier. Einen Kommentar von JF-Politikredakteur Christian Vollradt finden Sie hier. (ser)