ChatGPT hat das Leben zahlreicher Studenten vereinfacht und ist vermutlich der Ghostwriter für unzählige Seminararbeiten geworden. Schon früh kamen Warnungen auf, daß Berufe wie etwa der des Werbetexters durch die künstliche Intelligenz schnell obsolet werden könnten. Mit dem neuesten Update der Technologie scheint es nun die Künstler zu treffen, allen voran den legendären japanischen Anime-Zeichner Hayao Miyazaki des Filmstudios Ghibli. Doch die Realität ist komplizierter.
Während ChatGPT in der Gratisversion bisher Texte schrieb, ermöglichen die neuesten Updates auch das Erstellen von Bildern. Der Nutzer gibt die Beschreibung des gewünschten Bildes als „Prompt“ ein und erhält ein Bild – zumindest wenn die Server es zulassen. Denn seitdem die breite Öffentlichkeit auch Zugang zu dieser Funktion hat, läuft die Hardware von OpenAI, dem Betreiber von ChatGPT, auf Hochtouren. „Es macht super viel Spaß zu sehen, daß die Leute Bilder in ChatGPT lieben“, bilanziert OpenAI-Chef Sam Altman, „aber unsere GPUs schmelzen.“ Ohne ein kostenpflichtiges Abo hat man daher nur begrenzen Zugriff auf die neue Funktion.
Urheberrechte sind durch ChatGPT in Gefahr
Weniger Freude an diesem ChatGPT-Update haben Künstler, die sich in ihren Urheberrechten verletzt sehen. Für sie war das Internet schon immer ein zweischneidiges Schwert: Einerseits kann es ihre Werke schnell verbreiten und einem großen Publikum zugänglich machen, andererseits können diese leicht kopiert und ohne die Zustimmung des Künstlers auf anderen Seiten hochgeladen werden. Da jede KI auf bekannten Daten trainiert werden muß, durchkämmen Crawler-Programme das Internet, um passende Trainingsdaten herunterzuladen. Wenn dort ein eigentlich geschütztes Bild mitgenommen wird, ist die Urheberrechtsverletzung kaum nachzuweisen.
Im Fall des japanischen Zeichentrick-Studios Ghibli scheint die Situation eindeutig: Der Stil des japanischen Animationsstudios mit seinen matten Farben und kindlichen Gesichtszügen ist selbst verglichen mit anderen japanischen Animes unverkennbar. Das liegt nicht zuletzt an der detailverliebten Handarbeit, mit der die Zeichner unter der Leitung von Hayao Miyazaki weltweit gefeierte Meisterwerke wie den Oscar-prämierten Film „Chihiros Reise ins Zauberland“ geschaffen haben.
In einem Blick hinter die Kulissen präsentierte Miyazaki eine Szene aus dem Film „Wie der Wind sich hebt“, in der eine große Menschenmenge zusammenkommt. Damit jeder Mensch dennoch als Individuum erscheint, hat die viersekündige Szene ihn und seine Kollegen 15 Monate lang beschäftigt. Obwohl der Film 2013 erschien und zahlreiche digitale Werkzeuge bereits zur Verfügung standen, bestand Miyazaki auf die handwerkliche Zeichenarbeit.
Eine „Beleidigung gegen das Leben“ – oder auch nicht
Angesichts dessen scheint es ironisch, daß es ausgerechnet der Zeichenstil Miyazakis ist, der in den vergangenen Wochen millionenfach – als viraler Internetgag – mit KI-generierten Bildern nachgeahmt wurde. Selbst das Weiße Haus sowie die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni veröffentlichten in sozialen Netzwerken entsprechende Bilder.
Insbesondere Amateur-Künstler, deren Werke nun mit der KI um Aufmerksamkeit konkurrieren, urteilen harsch über das ChatGPT-Update. Zwar sind KI-generierte Bilder nichts Neues, doch hat ChatGPT als KI-Marktführer diese Funktion nun erstmals einer breiten Öffentlichkeit vorgestellt. Schon zuvor waren auf vielen künstlerischen Netzseiten (wie beispielsweise verschiedenen Unterforen auf Reddit) KI-erstellte Bilder explizit verboten.
Vor diesem Hintergrund tauchen Zitate von Miyazaki aus dem Jahr 2016 auf, als er die ersten Versuche einer KI-generierten Kunst als „Beleidigung gegen das Leben“ abkanzelte – insbesondere in der auf Höflichkeit bedachten japanischen Gesellschaft eine herbe Kritik. Jedoch wird diese Aussage aus dem Kontext gerissen, denn Miyazaki wurde ein Film gezeigt, in dem ein humanoider Körper sich zuckend zu bewegen versucht. Flüssigere Bewegungen waren damals mittels KI nicht möglich, doch Miyazaki fühlte sich von diesem „gruseligen Zeug“ an das Leid eines behinderten Freundes erinnert. Fundamentalkritik an KI-Kunst jedoch sähe anders aus.
Droht ein „Erlöschen der seelischen Gestaltungskraft“?
Online-Künstler müssen sich also einen neuen Heros suchen, der sie vor der KI-Kunst von ChatGPT verteidigt, oder sich zähneknirschend der neuen Realität anpassen. Kunst wurde durch digitale Werkzeuge bereits verändert – kein Maler vergangener Jahrhunderte hätte je einen Fehler per Knopfdruck rückgängig machen können – und wird sich durch KI weiter ändern, zugleich jedoch neue Felder an Kreativität ermöglichen.
Statt handwerkliche Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, müssen KI-Künstler sich genau überlegen, in welche Position und Arrangement ihre Personen, Objekte und Landschaften generiert werden sollen. Die Frage der Urheberrechte wird OpenAI wohl viele Anwaltshonorare kosten, doch es sei an das dem Maler Gauguin zugeschriebene Zitat erinnert, daß Kunst entweder Plagiat oder Revolution ist.
Zwar beinhaltet KI-Kunst die Gefahr, sich in den immergleichen Formen und Strukturen zu wiederholen, die in den Trainingsdaten enthalten sind. Doch gelingt es der Filmindustrie schon seit Jahren, sich nur mit Fortsetzungen alter Filme (Star Wars, Marvel) oder Neuverfilmungen zeitloser Klassiker (Disney) am Leben zu halten. Mit Oswald Spengler ließe sich ein „Erlöschen der seelischen Gestaltungskraft“ und die „Ausbildung eines starren Formenschatzes“ durchaus diagnostizieren. Anstatt die KI-Bilder zu kritisieren, sollten wir uns fragen, warum die Kunst solcher Kopiermaschinen überhaupt konkurrenzfähig ist.