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Eine Linke unter Konservativen: Guérot: „Was das deutsche Volk ist, müßte man mal klären“

Eine Linke unter Konservativen: Guérot: „Was das deutsche Volk ist, müßte man mal klären“

Eine Linke unter Konservativen: Guérot: „Was das deutsche Volk ist, müßte man mal klären“

Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in der Bibliothek des Konservatismus. Foto: BdK
Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in der Bibliothek des Konservatismus. Foto: BdK
Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in der Bibliothek des Konservatismus. Foto: BdK
Eine Linke unter Konservativen
 

Guérot: „Was das deutsche Volk ist, müßte man mal klären“

In der Bibliothek des Konservatismus hält die geschaßte Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot einen Vortrag über europäische Staatlichkeit. Im Publikum formieren sich Applaus – und Verwirrung.
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Als sich der bräunlich-rote Lockenkopf erhebt, applaudiert das Publikum in der vollbepackten Bibliothek des Konservatismus (BdK). Für die Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot stapeln sich die Besucher regelrecht neben den meterhohen Bücherregalen. „Ich freue mich, bei Ihnen zu sein und daß es so ein volles Haus ist“, sagt die Publizistin. Es ist ihr erster Besuch in der BdK, doch es soll nicht ihr letzter sein, deutet Guérot zumindest an.

„Jeder will die Demokratie retten“, wirft sie dann in den stillen Saal. Doch was „Demokratie“ überhaupt ist, wisse heutzutage kaum einer. Für die allermeisten seien es regelmäßige Wahlen – „auch in der DDR wurde Honecker regelmäßig mit 90 Prozent wiedergewählt“, merkt Guérot an. In ihren Augen fehlt etwas, der Staat, die Demokratie sei ausgehöhlt, die Begriffe schwammig.

Sie will zu einem anderen Begriff, ihrem Lieblingsbegriff. Der „République“, wie die Aufschrift der Brosche, die an ihrem dunkelblauen Kleid mit grün-orange-weißem Blumenmuster steckt. Der JUNGEN FREIHEIT erklärt sie stolz die Herkunft: „Die habe ich bei meinem Abschied von der Universität erhalten.“ Natürlich auf Französisch – das klinge viel schöner. „Ich liebe ja die Franzosen“, betont Guérot auch während ihres Vortrags.

„Wir stehen vor einer faschistischen Periode“

Schnell wird die Berufung der ehemaligen Professorin deutlich, der 2023 von der Universität Bonn nach kritischen Bemerkungen zu Corona-Maßnahmen gekündigt wurde. Der Vorwurf: Plagiat. Ihr Vortrag erinnert an eine Vorlesung. Der Zuhörer wird zum Studenten der Philosophiegeschichte: Aristoteles, Camus, Lincoln, Hannah Arendt, „die ich sehr schätze“, Robespierre und Saint-Juste, um nur wenige Namen zu nennen.

„Ich habe Ihnen den marxistischen Text schlechthin mitgebracht“, ruft  sie und hält kurz ein rotes Büchlein in die Höhe. „Um Sie ein wenig zu triggern.“ Eine Marxistin sei sie aber nicht, beteuert Guerot. Gleichwohl macht sie auch bei ihren übrigen Literaturempfehlungen einen Bogen um konservative Denker und konzentriert sich stattdessen auf die linke Ideengeschichte.

Im Phantasieren über die „République“ – idealerweise ihre „Europäische Republik“ – kommt Guérot auf die „Soziale Frage“ zu sprechen. Diese müsse gelöst werden. Das Versprechen, durch Anstand, Ehrlichkeit und harte Arbeit nicht zu verarmen, müsse eingehalten werden. Sonst drohe, was auch der Marxist Walter Benjamin beschrieb. „Wir stehen vor einer faschistischen Periode“, mahnt die 60jährige.

Guérot beschreibt Europas geistiges Erbe

Eine konkrete Definition des Faschismus liefert sie indes nicht. Was dahin führe, sei allerdings deutlich: der Kapitalismus, Libertäre, Milei, Musk und – zumindest deutete er es an – Lindner. Im Publikum hält Unruhe Einzug. Davon wenig beeindruckt, führt Guérot fort. Den Libertären fehlten die Communitas, die Societas, die Fraternité, kurzum die Brüderlichkeit. Diese sei allerdings vital für eine Republik im europäischen Sinne.

„Wir müssen den Staat vom Kapital befreien“, fordert Guérot. Derzeit seien beide verklumpt. Dies werde durch Studien von Gesetzgebungsprozessen deutlich – insbesondere in den Vereinigten Staaten. Dort herrsche der Lobbyismus. Verantwortlich dafür sieht sie jene Libertären wie Milei und Musk. Mit Blick auf die nächste US-Regierung sagt sie: „Ich hoffe, daß J. D. Vance und Steve Bannon sich gegen Elon Musk und Peter Thiel durchsetzen.“ Erstere hätten zumindest ein Verständnis von Communitas, Societas und Fraternité.

Dem geistige Erbe Europas, da ist sich Guérot sicher, sei ein „Neoliberalismus“ – ebenfalls undefiniert – fremd. Die Europäer seien Potlatch, Sterntaler, Thales, Midas und die Orange, Franz von Assisi, Hans im Glück sowie Diogenes und die Tonne. Daraus leitet die Politikwissenschaftlerin Forderungen nach Erbrecht, Vermögensbesteuerung und hohen Spitzensteuersätzen ab.

Eine Republik am Vorbild der Habsburger?

All das soll sich in ihrer Utopie verwirklichen: der Europäischen Republik. Woher in diesem Konstrukt eine Brüderlichkeit, die sie vorab als „Klebstoff“ zwischen Liberté und Egalité beschrieb, kommt, bleibt unklar. Denn den Begriff Volk als ethnisch-homogene Einheit lehnt Guérot ab und fordert: „Was das deutsche Volk ist, müßte man mal klären.“

Screenshot BdK-Homepage
Weitere Informationen auf der Internetseite der Bibliothek des Konservatismus

Grundsätzlich setze Staatlichkeit nicht zwingend eine gleiche Herkunft, Sprache oder Identität voraus. Vielmehr seien es die gleichen Rechte der Bürger. Im Publikum sorgt diese Erklärung für Erstaunen. In einem erneuten Anlauf gibt Guérot dann doch zu, daß es eine vorhistorische Begründung brauche. Trotzdem lehnt sie eine gemeinsame Ethnie, Sprache oder Kultur als Voraussetzung für Staatlichkeit ab. Als Beispiel für ihre These führt sie das Habsburger Reich an, das ihrer „Utopie“ der Europäischen Republik ähnelt.

Guérot schließt mit einem Appell an ihre Zuhörer in der BdK: „Die Zukunft liegt darin, das Denken wiederzufinden.“

Politikwissenschaftlerin Ulrike Guérot in der Bibliothek des Konservatismus. Foto: BdK
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