Kann es in einer modernen Welt eine konservative Staatsordnung geben? Diese Frage diskutierten am vergangenen Wochenende 25 junge Leute in der Berliner Bibliothek des Konservatismus (BdK) – Studenten, Schüler und Jungakademiker aus Deutschland, Österreich, Belgien und den Niederlanden. Doch zunächst geht es um ganz andere Probleme. „Ich werde euch jetzt duzen“, warnt Jonathan Danubio, der zusammen mit dem Bibliothekschef Wolfgang Fenske das Seminar leitet, die Versammelten. „Wer das für eine modernistische Unsitte hält, kann mir gern Bescheid geben.“ Der Raum lacht.
Es ist bereits die dritte Tagung der „Jungkonservativen Seminare“ in der Bibliothek. „Ich habe darüber nachgedacht, wie man konservative Werte in einer modernen Demokratie leben und durchsetzen kann“, erklärt Cosima Joseph der JUNGEN FREIHEIT ihre Motivation. Bereits im vergangenen Jahr habe die 19jährige Lehramtstudentin an dem ersten BdK-Seminar zur Politischen Romantik teilgenommen. Seitdem wuchs die Zahl jener, die hier nach anderen Perspektiven in Philosophie und Politik suchen. „Sie befinden sich hier in einem elitären Kreis“, erklärt denn auch Wolfgang Fenske einleitend. Der Andrang sei so groß gewesen, daß fast jede zweite Bewerbung abgelehnt werden mußte.
Konservative wie Forsthoff wollten starken Staat als Lenker
Die Erfolgreichen dürfen nun über die Staatstheorie der letzten neun Jahrhunderte diskutieren. So habe etwa im Hochmittelalter bei Denkern wie Thomas von Aquin die Vorstellung geherrscht, daß die Regentschaft des Fürsten vom Licht der Vernunft geleitet werde. Diese auf Aristoteles zurückgehende Lehre habe Thomas an die biblische Offenbarung rückgebunden. Jeder, ob Fürst oder Knecht, sei gemäß seinem Stand an Pflichten und Rechte gebunden, doch alle zusammen hätten sich in einer gemeinsamen Ordnung unter Gottes Herschaft verbunden gewußt.
Mit diesem, das Abendland über Jahrhunderte prägenden Selbstverständnis hätten erst neuzeitliche Denker gebrochen. Vor allem der englische Philosoph Thomas Hobbes spreche als einer der ersten von der Gleichheit vor dem Souverän, der als unanfechtbarer Herr über die Gesetze für Frieden sorge. Die Bürger hätten sich seine Ziele zu eigen zu machen. „Hobbes’ Ideen wurden erst in der neuzeitlichen Demokratie konsequent umgesetzt“, merkte Danubio an. Selbst der Absolutismus des 17. und 18. Jahrhunderts hätte sich gegen die Reste der alten Ordnung nicht durchsetzen können.
Die spätere Säkularisierung und der technische Fortschritt hätten zudem Traditionen entwertet, auf denen die vormodernen Staatsvorstellungen beruhten. G. W. F. Hegel habe mit seinem Konzept des „protestantischen Staates“ den letzten großen Versuch unternommen, den christlichen Kern des Staates zu bewahren, führte Fenske aus. Im 20. Jahrhundert plädierte der Staatsrechtler Ernst Forsthoff für einen starken Staat, der den technischen Fortschritt gezielt lenken und vor dessen Mißbrauch schützen solle. Andere wie der Anthropologe Arnold Gehlen sähen mit dem Verschwinden des ethischen Minimalkonsens den Aufstieg totalitärer Ideologien einhergehen.
„An den Unis herrscht eine dezidiert linke Ausrichtung“
Die schwierigste Frage aber kam zum Schluß: „Welche Ressourcen bleiben dem modernen Staat?“ Übersetzt: Wie läßt sich effektiv an die alte Ordnung und Tradition anknüpfen? Die meisten Teilnehmer hegen die Hoffnung auf Veränderung von unten, mit kleineren Gemeinschaften als Grundlage. „Wir müssen die Leute schützen, die diese aufbauen“, sagt einer. Weitgehend einig waren sich die Diskutanten auch darin, daß die aktuellen Entwicklungen eine Chance darstellten, konservative Ideen populär zu machen. „Ich kenne niemanden in meiner Generation, der sich auf Künstliche Intelligenz freut. Der Optimismus ist dahin“, so ein Student. Eine Teilnehmerin bemängelt, die bestehenden Ressourcen innerhalb der konservativen Bewegung würden nicht effektiv genug genutzt.
„Es war eine Herausforderung, mich drei Tage hintereinander zu konzentrieren“, sagt Joseph am Ende der JF. Doch sie habe die gute Gesellschaft genossen. Eine weitere Teilnehmerin dankt in der großen Runde, Klassiker aus konservativer Perspektive zu besprechen: „An den Unis herrscht eine dezidiert linke Ausrichtung.“ Ein weiterer bemängelt hingegen: „Ich würde mir wünschen, wir hätten mehr über mögliche Lösungen für die Gegenwart gesprochen.“ Fenske nimmt die Anregungen auf und dankt für einen intensiven Austausch. „Weitere Seminare sind in Planung“, kündigt er an.