Alle vier Jahre einen Din A4 großen Zettel in eine Box werfen und dabei hoffen, daß das kleine Kreuz darauf große Auswirkungen haben wird – das ist für nicht wenige Bürger die höchste Form des politischen Wirkens. Klingt deprimierend? Keine Sorge, die Teilhaberepublik Deutschland hält noch viel mehr bereit! Die Ampelregierung setzt auf eine alternative Form der demokratischen Beteiligung: Bürgerräte. Wer daran teilnehmen möchte, muß allerdings auf sein Zufallslos hoffen. Sind die glücklichen Gewinner der kleinen Volkslotterie am Ende dann die Verbesserer der Demokratie oder doch nur Katalysator für linke Politik?
„Mache zum Herrscher sich der, der seinen Vorteil verstehet“, schrieb einst Johann Wolfgang von Goethe in seinen venezianischen Epigrammen. Beherzigt wird dieser Satz allerdings auch heute noch. Mit dem Koalitionsvertrag des „progressiven“ Ampelbündnisses haben die Parteien es geschafft, Bürgerräte noch stärker als zusätzliches demokratisches Element zu etablieren. Die Begründung: „Wir wollen die Entscheidungsfindung verbessern, indem wir neue Formen des Bürgerdialogs wie etwa Bürgerräte nutzen, ohne das Prinzip der Repräsentation aufzugeben. Wir werden Bürgerräte zu konkreten Fragestellungen durch den Bundestag einsetzen und organisieren“, heißt es darin.
Die konkreten Fragestellungen sind solche, die politisch-medial häufig mit linken Argumenten beantwortet werden: Wie sollte sich diese Gesellschaft ernähren? Wie sollte der Staat mit vermeintlichen Fake News umgehen? Was ist die Antwort auf den Klimawandel? Spannend: In der Grundidee könnten die Räte neuerliche Lösungen auf zentrale gesellschaftliche Ideen präsentieren, die politischen Entscheidungsfindern neue Denkanstöße für ihr eigenes Handeln ermöglichen können – zumindest dann, wenn man nicht daran glaubt, daß allein der gewählte Abgeordnete, seine Partei und die Regierungskoalitionen ausreichend für die politische Entscheidungsfindung sind. Wählt man diese Perspektive, erscheinen die Bürgerräte sogar als ein ehrbares Mittel zur Stärkung des demokratischen Austausches. Schaut man sich jedoch an, welche Ergebnisse aus den genannten Fragestellungen entwickelt werden, muß hinterfragt werden, warum sie nicht selten den Positionen der Bundesregierung ähneln.
Faeser dürften Vorschläge des Bürgerrats gefallen
Zuletzt sorgte das „Forum für Fakes“ für Aussehen. Ziel des Bürgerrates sei es gewesen, „mit einem bisher einzigartigen Format der Beteiligung eine bundesweite Debatte zum Umgang mit Desinformationen anzustoßen“. Die Teilnehmer setzten sich nicht nur 120 zufällig ausgewählten Bürgern zusammen, auch online konnten Ideen und Vorschläge abgegeben werden, die später gemeinsam mit dem physischen Rat weiterbearbeitet wurden. Was dabei herauskam, hat es in sich: Zu den Forderungen, die das Bündnis etwa im Bereich der „Bildung und Sensibilisierung“ aufgestellt hat, gehört beispielsweise ein „Desinformationsranking zu Aussagen von politischen Akteuren“ oder ein „Fakes-News-Quiz – Was ist wahr oder falsch“.
Natürlich sollen auch die sozialen Netze noch stärker ins Visier genommen werden: Einerseits benötige es eine Verpflichtung der Social-Media-Plattform zur effektiven Bekämpfung von Desinformation, andererseits soll auch der Nutzer sensibler im Netz agieren. Gefordert wird ein „Bewußtes Posten zur Vermeidung der Verbreitung von Desinformation“. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dürften derlei Forderungen gefallen: „Gezielte Falschinformationen verfälschen und vergiften die politische Diskussion. Unsere Maßnahmen gegen Desinformation sind deshalb Maßnahmen zum Schutz unserer Demokratie“. Viel entscheidender ist jedoch, wie die Maßnahmen weiterentwickelt werden sollen – ganz offiziell: „Wir werden die Empfehlungen unter anderem für die Erarbeitung einer neuen Strategie der Bundesregierung zum Umgang mit Desinformation nutzen“, heißt es auf der Seite des Forums gegen Fakes.
In einem kritischen Licht kann auch der Bürgerrat zum Thema Klima gesehen werden. Ebenso wie auch beim Fake News-Forum wurden zufällige Bürger ausgewählt, in diesem Fall 160, die ebenfalls gemeinsam Lösungen zum Oberthema entwickeln sollten. Von denen, heißt es auf der Website, halten 71 Prozent den Klimaschutz für sehr oder eher wichtig. Dementsprechend fallen auch die Ergebnisse aus. Für die Klimawende müssen demnach alle Verantwortung übernehmen und zu Veränderung bereit sein. Der Forderung „Das 1,5 Grad Ziel hat oberste Priorität“ stimmten beispielsweise 93 Prozent der Teilnehmer zu. Noch mehr, 95 Prozent Zustimmung, erhielt die Forderung „Für die Klimawende müssen alle Verantwortung übernehmen und zu Veränderung bereit sein“. Genauer steht auf der Seite des Rates: „Für die notwendige Transformation brauchen wir wirtschaftlich, politisch, sozial und individuell eine Bewußtseinsänderung und Bereitschaft für Neues. Politik und Gesellschaft müssen sich von ihrer Verantwortung für eine klimaneutrale, gerechtere und bessere Zukunft leiten lassen.“
Linke Verstrickungen bei Bürgerräten sind kein Einzelfall
Auf seiner Website wirbt der Trägerverein BürgerBegehren Klimaschutz e.V. für die „Klimawende“, bewirbt eine Anti-Kohle-Bootsdemo, Kampagne Kassel Kohlefrei oder das Handbuch „Klimawende von unten“. Was es mit dem Kasseler Bündnis auf sich hat? Hier kommt die Avantgarde des deutschen Klimaprotestes zusammen: Greepeace Kassel. Klimagerechtigkeit Kassel, das BUND, „Fridays For Future Kassel“ oder die Linksextremisten von „Extinction Rebellion“.
Die personellen Verstrickungen ins linke Vorfeld sind gewiß kein Einzelfall. Beim Bürgerrat Ernährung wurde es im vergangenen Jahr einem der Teilnehmer gar zu bunt. Ursprünglich freute sich Stefan Staudenecker aus dem schwäbischen Ehlingen, ausgewählt worden zu sein, dann verließ er den Rat. Sein Vorwurf: mangelnde politische Neutralität der Moderatoren. „Es macht aus meiner Sicht keinen Sinn, mit solchen Personen ein Arbeitspapier zu erarbeiten“, sagte er damals der Schwäbischen Zeitung. Eine Leiterin etwa sei die Schwägerin eines Sprechers der Letzten Generation gewesen, Hauptmoderatorin Jana Peters habe noch 2021 um ein Bundestagsmandat für die Grünen gekämpft.
Anne Dänner, die Sprecherin des Organisatorenvereins „Mehr Demokratie e.V.“ stritt die Vorwürfe ab. Es sei wichtig, mit verschiedenen Gruppen zu diskutieren, auch mit „Extinction Rebellion“ und der „Letzten Generation“, sagte Dänner. Man wolle einen konstruktiven Austausch mit Akteuren aller politischen Strömungen: nur nicht mit der AfD.
In den jeweiligen Räten ist der Bürger damit kaum sichtbar, auf jeden Fall aber beherrschbar und als Aushängeschild für die eigens angestrebte Politik zu gebrauchen. Angeleitet werden sie durch das linke Vorfeld. Die Räte dienen damit letztlich vor allem dem Machterhalt und können sogar zu Instrumenten werden, um Befugnisse noch weiter auszubauen. Dann benötigt es keine regierungseigene Begründung für mögliche staatliche Einschränkungen, wie im Falle der Sanktionierungsträume für die Verbreitung von Desinformation. Diejenigen, die später ihren Freiheiten beraubt werden, schmieden sich in den Ratssitzungen bereits selbst die Fesseln – ohne sich dessen bewußt zu sein.
Alle vier Jahre einen Zettel in eine Box zu werfen, ist am Ende wohl also doch die vielversprechendste demokratische Maßnahme. „Doch wir wählen uns den, der sich auf unsern versteht“, heißt es übrigens bei Goethe weiter.