Robert Habeck war auf seiner erfolglosen US-Visite auf Krawall gebürstet: Bei seiner Rede vor Studenten der Columbia-Universität warf er seinem Gastland vor, „nicht auf dem Pfad zur Klimaneutralität“, sondern „weit davon entfernt“ zu sein. Die 335-Millionen-Bevölkerung verursache einen der höchsten CO₂-Pro-Kopf-Ausstöße der Welt. Grund seien die günstigen US-Energiepreise wegen der fehlenden CO₂-Bepreisung. Bei der Verschuldung „seid ihr auf dem Weg zu 200 Prozent“, so der Vizekanzler. Joe Bidens Inflation Reduction Act (IRA) ziele „darauf ab, die Produktion aus anderen Ländern in die USA zu verlagern“. Sein Appell „Solve the fucking problems“ verhallte in New York – nur CDU-Chef Friedrich März rügte am Montag die Emotionen, die Habeck „schon von der Sprache her“ zu keinem „geeigneten Partner für uns“ machten.
Im sonnigen Washington teilte der Wirtschafts- und Klimaminister vor sieben Mikrophonen deutscher Leitmedien innenpolitisch aus: „Den Bericht des Bundesrechnungshofes habe ich zur Kenntnis genommen – mehr aber auch nicht. Es fällt mir schwer, ihn nachzuvollziehen“, sagte Habeck vor der Kulisse des Weißen Hauses. Dieser sei eine „erstaunliche Wahrnehmung, die nichts mit der Wirklichkeit zu tun hat“. Die Energie- und Gaspreise würden runtergehen, und die Ampel-Regierung setze nun um, was bisher „verbammelt und verstolpert wurde“, so Habeck. „Der Netzausbau ist die letzten Jahre liegengeblieben, jetzt haben wir die Genehmigungsverfahren halbiert“, deshalb komme „richtig was voran“.
Bundesrechnungshof: „Das Ziel kann so langfristig nicht gewährleistet werden“
Doch der nüchterne „Sonderbericht zur Umsetzung der Energiewende im Hinblick auf die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Stromversorgung“ des Bundesrechnungshofes (BRH) verdeutlicht auf seinen 58 Seiten, daß weder die Ampel-Regierung noch die vorherigen Merkel-Koalitionen „die verdammten Probleme“ angegangen noch gelöst haben. Deutschland sei im Bereich der Energiewende im völlig im Rückstand, und die geplanten Maßnahmen „bergen gravierende Risiken für die energiepolitischen Ziele“, erklärte BRH-Präsident Kay Scheller (CDU), der von 2005 bis 2014 als Direktor der Unionsfraktion im Bundestag war und danach in sein jetziges Amt kam. „Das Ziel einer sicheren Versorgung mit Strom kann so langfristig nicht gewährleistet werden.“
Deutschland verfolge „sehr ambitionierte“, also praktisch kaum erreichbare Ziele für die Energiewende. Diese sei jedoch nicht auf Kurs, sie hinke ihren Zielen hinterher. Die Bundesregierung müsse umgehend reagieren, um eine sichere, bezahlbare und umweltverträgliche Stromversorgung zu gewährleisten, heißt es in dem BRH-Bericht. „Der Strom ist teuer, und Auswirkungen der Energiewende auf Landschaft, Natur und Umwelt kann die Bundesregierung nicht umfassend bewerten. Dies birgt erhebliche Risiken für den Wirtschaftsstandort Deutschland sowie die Akzeptanz der Energiewende in der Bevölkerung“, lautet das bittere Fazit.
Die Liste der Fehlleistungen ist lang. Ein Beispiel: Die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien soll seit Jahren massiv ausgebaut werden. Doch Wind- und Solarstrom unterliegen tageszeitlichen, saisonalen und wetterbedingten Schwankungen. Wenn es nicht ausreichend Ökostrom gibt, müssen Backup-Kraftwerke ran – aber die gibt es nicht mehr ausreichend. Gleichzeitig werden die Ziele für den Ausbau der Windenergie an Land absehbar nicht erreicht. Auch bei der Errichtung der gasbetriebenen Backup-Kraftwerke hinkt man hinterher. Sie werden theoretisch aber nur gebraucht, wenn Windkraft- und Solaranlagen zu wenig Strom erzeugen.
Energiepolitik am Welttrend vorbei
Alle Kohlekraftwerke sollen bis spätestens 2038 vom Netz. Alle deutschen AKWs sind vom Netz – ohne daß es ausreichend und zuverlässig Ersatz gibt. Der BRH hatte die Umsetzung der Energiewende bereits mehrfach geprüft. Zuletzt empfahl er im Jahr 2021 in seinem Bericht, das „Monitoring“ der Versorgungssicherheit zu verbessern und das Strompreissystem grundlegend zu reformieren. Andernfalls bestehe das Risiko, daß Deutschland seine Wettbewerbsfähigkeit verliere und die Akzeptanz für die Energiewende sinke. Doch geschehen ist seitdem wenig.
Der BRH fordert, daß die Regierung verläßliche Ressourcen schaffe: „Eine sichere Versorgung mit Strom aus volatilen erneuerbaren Energien erfordert aber zusätzlich, daß parallel ein weitgehend redundantes System mit gesicherter, steuerbarer Leistung verfügbar ist.“ Doch davon ist Deutschland immer weiter entfernt. Seit 2023 ist Deutschland Nettostromimporteur. Ohne Atom-, Kohle-, und Windstrom aus dem Ausland oder die österreichischen und schweizerischen Wasserkraftwerke wären temporäre Netzabschaltungen (Brownouts) unvermeidlich. Eine Alternative wäre, die Energieversorgung EU-weit zu planen. Doch das geht aus ideologischen Gründen nicht.
Für Präsident Emmanuel Macron ist die „Wiederbelebung der Atomkraft“ ein vorrangiges Ziel Frankreichs: Mindestens 14 neue AKW sollen bis 2050 in Betrieb gehen. Doch in Deutschland schaltete man im Frühjahr 2023 die letzten drei AKW ab. Macron hielt das für eine „verrückte Idee“. In den von Habeck kritisierten USA wird das genauso gesehen. Das Bundesamt für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung (BASE) spricht bis heute von einer Hochsicherheitstechnologie – und feiert sich dennoch selbst für den Atomausstieg. Schließlich untersteht die Behörde dem grünen Umweltministerium.
460 Milliarden allein für den Ausbau der Stromnetze
Die Union versucht angesichts des BRH-Berichts die Ampel für die Fehler der Energiewende haftbar zu machen – doch der beschleunigt Atomausstieg wurde 2011 von einer schwarz-gelben Koalition beschlossen. Und die ersten sieben AKW wurden schon im selben Jahr abgeschaltet. Allerdings gab es damals noch ausreichend Kohlekraft am Netz und russisches Pipelinegas sorgte für bezahlbare Erdgaspreise. Doch inzwischen gab es eine „Zeitenwende“, und ein vorgezogener Kohleausstieg schon 2030, wie im Koalitionsvertrag angedacht, ist mit Blick auf die Versorgungssicherheit völlig illusorisch – denn selbst wenn es genug Wind- und Solaranlagen und Ersatzkraftwerke gabe, wären die Stromnetze dafür nicht ausgelegt. „Die Energiewende ist nicht auf Kurs“, warnte Scheller.
Und wer soll all das bezahlen? Bis zum Jahr 2045 fielen „massive Investitionskosten von mehr als 460 Milliarden Euro“ allein für den Ausbau der Stromnetze an, rechnet der BRH-Bericht vor. Das entspricht dem jährlichen Bundeshaushalt. Das „Netzengpaßmanagement“, das einen Blackout verhindern soll, werde „voraussichtlich 6,5 Milliarden Euro pro Jahr kosten“ – zusätzlich zu den weiteren Wind- und Solaranlagen und den neuen Gaskraftwerken. Das wird direkt oder indirekt die Strompreise kontinuierlich ansteigen lassen.
Und die zählen zu den weltweit höchsten: „Private Haushalte zahlten mit 41,25 Cent/Kilowattstunde (kWh) im ersten Halbjahr 2023 beispielsweise 42,7 Prozent mehr als der EU-Durchschnitt, Gewerbe- und Industriekunden rund fünf Prozent mehr“, so der BRH. „Die Bundesregierung hat es bis heute versäumt, zu bestimmen, was sie unter einer bezahlbaren Versorgung mit Elektrizität versteht“, heißt es in dem Bericht weiter, der sich an manchen Stellen wie eine Generalabrechnung liest. Doch die Realität blendet nicht nur Habeck aus.