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Buchrezension: Bekenntnisse des heiligen Matthias

Buchrezension: Bekenntnisse des heiligen Matthias

Buchrezension: Bekenntnisse des heiligen Matthias

Matthias Matussek bei einer Lesung 2016
Matthias Matussek bei einer Lesung 2016
Matthias Matussek bei einer Lesung 2016 Foto: picture alliance / dpa | Daniel Reinhardt
Buchrezension
 

Bekenntnisse des heiligen Matthias

Matthias Matussek offenbart sich in seinem neuen Roman „Armageddon“ bis zu aller Kenntlichkeit. Dabei entblößt er nicht bloß seinen Lebensweg, sondern auch seine ehemalige Branche. Eine Besprechung von Michael Klonovsky.
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Matthias Matussek war noch vor zehn Jahren das, was man einen „Star-Journalisten“ nennt – ein Typus, der in Deutschland in einem unglaublichen Tempo ausgestorben ist. Er schrieb ein Vierteljahrhundert lang für den Spiegel, war Korrespondent in Ost-Berlin, Büroleiter in New York, Rio de Janeiro und London und zuletzt Leiter des Kulturressorts.

Matussek galt als „Edelfeder“, als König der Reportage, als ein Journalist, der mit seinem Nußknackercharme jeden zum Gespräch herumkriegte, von Ruth Berghaus und Heiner Müller über William Burroughs, Timothy Leary, Mick Jagger, Cormac McCarthy bis zum Drogenbaron in Rio. Er verfaßte mehrere Bücher, darunter Bestseller wie „Die vaterlose Gesellschaft“ und „Wir Deutschen“. Nach einem Intermezzo bei der Welt schied er 2015, dem Jahr des freundlichen Gesichts, im Streit aus dem willkommenstrunkenen Schwarm der Qualitätsmedien.

Seither gilt er als polyphober alter weißer Mann mit Kontakten zu schlimmen Zeitgenossen aus der rechten Szene und Dissidentenpartyveranstalter; außerdem war er der Typ, der bei einer Anti-Merkel-Demo zu Hamburg auf eine Bierkiste stieg und „Widerstand, Widerstand!“ skandierte. Daß man ihn in Journalistenkreisen nicht als Renegaten empfindet, hat wohl mit seinem Katholizismus zu tun, den er bereits beim Spiegel immer ostentativer hervorkehrte.

Ein verspäteter Achtundsechziger

Das heißt, Matussek kann schreiben, er ist ein unabhängiger Kopf (geworden), er verkehrte jahrelang in Literaturszene und Kulturschickeria; dort kannte er sie alle. Man sollte überdies wissen, daß er, Jahrgang 1954, ein leicht verspäteter Achtundsechziger mit dem üblichen Programm war: ein Drittel Maoismus (was auch immer das Jungvolk weiland darunter verstand), zwei Drittel Sex and Drugs and Rock ’n’ Roll, Reisen nach Amerika, Indien und Afghanistan inklusive, später, als Korrespondent, auch quer durch Südamerika. Mit einem Wort: Matussek hat ein Leben geführt, das man in der heutigen Blödenterminologie als „weltoffen“ bezeichnen würde.

Dieses biographische Präludium muß einer Besprechung seines neuen Buches vorangestellt werden, denn das Opus hat fast ausschließlich mit der Biographie zu tun. „Roman“ steht auf dem Titel, doch tatsächlich handelt es sich um einen Gattungsmix, unmöglich einem einzigen Genre zuzuordnen: Roman, Thriller, Pamphlet, Reportage, Autobiographie, Bekenntnisschrift, phantastische Literatur – von allem etwas. Die Hauptfigur, deren Leben zu höchstens 99 Prozent identisch mit jenem des Verfassers ist, heißt Rico Hausmann.

Christfrommer Zorn über die Radiowelle

Der ehemalige Starjournalist und Katholik hat sich in ein Dorf an der Ostsee zurückgezogen, um seine Ruhe vor Nachstellungen der linken Gesinnungswächter zu haben. Von dorther sendet er, fliehend nur, ohnmächtige Schauer christfrommen Zornes per „Kontrafunk“ über die grünende Flur. Beziehungsweise grünversiffte. (Auch der reale Matussek bestreicht sein Publikum mit einer regelmäßigen Sendung in diesem Internetradio.)

Ricos Fluchtreflex wurde von einem Youtube-Video ausgelöst, in dem ein Anschlag auf die Party zu seinem 65. Geburtstag simuliert wird; wie sich später herausstellt, mit einem echten Scharfschützengewehr. Nun sieht er sich in seinem Ostseekaff auf einmal Putzer gegenüber, einem Antifa-Typen, Vorturner bei den G20-Krawallen, der ihn erkennt und am Ende auf ihn anlegen wird.

Bei der Beschreibung von Putzer und dessen drogensüchtiger Freundin, die der Steinewerfer mit Zärtlichkeit liebt, ist Matussek ganz Romanautor, ganz Empathie; mit wenigen Strichen zeichnet er ein keineswegs unsympathisches Bild dieser beiden hoffentlich fiktiven Charaktere, die, wenn die Dinge ein kleines bißchen anders laufen würden, ein normales Leben führen würden.

Matthias Matussek: Armageddon, 288 Seiten, Europa Verlag: Jetzt im JF-Buchdienst bestellen!
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Ein Blick in die deutsche Medienwelt

Ebenfalls romanhaft sind die in Paris spielenden Kapitel mit der zum assistierten Selbstmord entschlossenen Freundin Natalie, einer hedonistischen 68erin, die das Altwerden nicht erträgt. „Sie gliederten ihre Jugenderlebnisse nicht nach Schlachten, sondern nach dem Erscheinen von Platten“, heißt es über Natalie und Rico. „Sie waren die Peter-Pan-Generation, die nie erwachsen werden mußte – und plötzlich sollten sie nun sterben, was für eine Ungeheuerlichkeit, da sie doch ein Leben lang jung und schön waren.“

Diese Natalie, um deren Seele Rico vergeblich kämpft, ist allerdings ebenso mit einer realen Person identisch wie weitere höchst reale Figuren, die obendrein unter ihrem Klarnamen durch andere Kapitel irrlichtern oder pesten: Mathias Döpfner, Benjamin Stuckrad-Barre, Jan Fleischhauer, Kai Diekmann, Frank Schirrmacher, Jan Böhmermann, am Rande auch der Verfasser dieser Rezension.

Die Kapitel, in denen der Autor die genannten Atlanten der deutschen Medienöffentlichkeit auftreten läßt, sind offenkundig nonfiktiv. Matussek eröffnet dem Leser den Blick in eine Molluskenwelt des Opportunismus, der Feigheit und des Verrats, in der gestandene Spiegel-Redakteure Männchen machen und öffentlich Abbitte leisten, nachdem ein Jan Böhmerwicht sie, wiederum öffentlich, bei der Chefredaktion denunziert hat, weil sie an einer Party teilgenommen haben, auf der auch ein Identitärer zu Gast war, ein einzelner nur, aber gerader gewachsen als die gesamte Belegschaft von Spiegel und ZDF zusammen.

Bekenntnisse eines deutschen Publizistenessers

Als den Verachtenswertesten von allen schildert Matussek seinen einstigen Kumpel „Stucki“, Benjamin von Stuckrad-Barre, der seinen Protektor Mathias Döpfner, dem er vom Job bis zum Kontostand alles zu verdanken habe, mit durchgestochenen Privat-SMS „fast exekutiert“ hätte. „Warum tat Stucki so was? Winkte er seiner Szene-Ecke zu, daß er auf der richtigen, der linken Seite stand? Es war VERRAT, und zwar großgeschrieben.“ Es ist ein „Verrat, der sich den Musketiermantel der guten Sache überwirft“, zürnt Rico alias Matussek.

Aufs Ganze gesehen ist „Armageddon“ eine Beichte, es sind Matusseks Confessiones; er bekennt, warum er nichts mehr zu schaffen hat mit den einstigen Freunden und Kumpanen, mit dem gesamten korrupten Marionettentheater des Journalismus. „Wir sind am Ende unserer Geschichte angelangt liebe Freunde. Schaut euch die Gesichter genau an, schaut sie euch genau an, die euch vorgaukeln, sie wollten das Schlimmste verhindern – sie sind es, die das Schlimmste vorantreiben“, ruft Rico in sein Mikrofon. „Der Totalitarismus unserer Tage ist grün, und er ist die Herrschaft des Teufels!“

Der Himmel tut sich auf

Denn wenn der Antichrist kommt, so viel gilt unter uns erz- wie kryptokatholischen Betschwestern als ausgemacht, wird er nicht von sich sagen, er sei der Antichrist, sondern er wird sagen, er sei der Erlöser, er wird von der Weltdemokratie reden, von den Menschenrechten, von der Klimarettung, von der Diversity, von der ganz großen Gleichheit der Hölle.

Matusseks Roman endet in der finalen Schlacht zwischen den Mächten des Himmels und denen Satans. Die Unterwelt tut sich auf, genau am Karfreitag, und höchst bekannte Gesichter beziehungsweise Larven tauchen aus dem infernalischen Schlamm empor (der nur an Kai Diekmann nicht kleben bleibt, weil der „zu schmierig“ ist). Am Rande der Kataklysmen betet Rico an den Gräbern eines alten Friedhofs. Dann fallen zwei Schüsse, so synchron, daß man sie für einen einzigen hält …

JF 27/23

Matthias Matussek bei einer Lesung 2016 Foto: picture alliance / dpa | Daniel Reinhardt
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