BERLIN. In der Ampel ist ein Streit über die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung entbrannt. Damit will die Koalition ab 2025 eigentlich verschiedene Hilfsleistungen wie Kindergeld und Kinderzuschlag zusammenfassen, um die Armut der Jüngsten zu lindern. Familienministerin Lisa Paus (Grüne) fordert für ihr Vorzeigeprojekt zwölf Milliarden Euro pro Jahr.
Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sagte der Bild-Zeitung allerdings unlängst, mit dem bereits erhöhten Kindergeld von 250 Euro und jährlich sieben Milliarden Euro zusätzlich für Familien sei das Wesentliche getan. Kinderarmut sei häufig durch die Arbeitslosigkeit der Eltern begründet, so daß Sprachförderung und Integration der Eltern in den Arbeitsmarkt wichtig seien.
Damit stellte sich Lindner gegen weitergehende Leistungen der geplanten Kindergrundsicherung. Geld umzuverteilen, stoße bei der Armutsbekämpfung an Grenzen. Wie der Finanzminister weiter äußerte, priorisiert er für den Haushalt 2024 stattdessen eine erneuerte Verkehrsinfrastruktur, die Digitalisierung, die Bundeswehr sowie die Modernisierung von Handwerk, Mittelstand und Industrie.
SPD: Linder „schlägt armen Familien ins Gesicht“
Von der SPD erntete Lindner dafür harsche Kritik. „Wer behauptet, mit der Kindergelderhöhung wäre das Problem der Kinderarmut gelöst, schlägt jenen Familien ins Gesicht, die in Armut leben“, entrüstete sich die Sprecherin der Parlamentarischen Linken der SPD-Fraktion, Wiebke Esdar, der Zeit. Denn die Kindergelderhöhung erreiche nicht die Gruppe mit dem größten Handlungsdruck, die Sozialleistungsempfänger.
SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken betonte am Dienstag im ZDF-„Morgenmagazin“, die Kindergrundsicherung komme auf jeden Fall. „Wir haben uns ja dafür verabredet, damit die Kinderarmut in Deutschland zu überwinden. Das haben wir uns vorgenommen, das werden wir auch umsetzen.“ Das Projekt genieße „oberste Priorität“. Jedes fünfte Kind in Deutschland sei von Armut betroffen, „ein Zustand, der für unser reiches Land eine Schande ist und den wir überwinden müssen“.
Die Kindergrundsicherung als Teil des Koalitionsvertrags werde kommen, bekräftigte auch der Generalsekretär der SPD, Kevin Kühnert, gegenüber dem Sender RTL /NTV. „Einfach Nein zu sagen, wird nicht reichen, um die Diskussion zu überstehen“, kommentierte er Lindners Absage.
Grüne sehen in Kindergrundsicherung Zukunftsinvestition
Für Grünen-Chefin Katrin Göring-Eckardt ist das geplante Vorhaben keine „Kinderspätersicherung“ oder „Kinderhabenschonwasbekommensicherung“.
Es heißt aus Gründen KinderGRUNDsicherung. Nicht KinderVerwaltungssicherung, nicht KinderLuxussicherung, nicht Kinderhabenschonwasbekommensicherung, nicht Kinderdigitalisierungssicherung, nicht KindererstmalEFuelssicherung, nicht Kinderspätersicherung. #Kindergrundsicherung
— Katrin Göring-Eckardt (@GoeringEckardt) April 3, 2023
Daß Kinderarmut mit Fachkräftemangel zusammenhänge, bemerkte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bundestag, Andreas Audretsch, am Montag im Deutschlandfunk. „Kinder, die morgens und in der Schule nichts zu essen haben, wie sollen die lernen? Wie sollen sich Kinder, die Angst vor dem Monatsende haben, auf die Zukunft konzentrieren können?“ Die Kindergrundsicherung sei damit auch eine Investition in die Zukunft. „Dafür kein Geld in die Hand zu nehmen – die Idee funktioniert nicht.“ Perspektivisch sollen alle Berechtigten auch Hilfsleistungen beziehen. Laut Audretsch tut das derzeit nur rund jeder Dritte.
Für die Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion, Britta Haßelmann, dürfe die Politik sich nicht damit abfinden, daß jedes fünfte Kind in Deutschland in Armut lebe. Bei der Kindergrundsicherung gehe es um „faire Chancen, gute Bildung und soziale Teilhabe“.
Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass jedes 5.Kind in unserem Land in Armut lebt. Alle Kinder brauchen faire Chancen, gute Bildung und soziale Teilhabe. Darum geht’s bei der #Kindergrundsicherung. https://t.co/FfOZWQc0C9
— Britta Haßelmann (@BriHasselmann) April 1, 2023
Für die oppositionelle Linkspartei haben SPD und Grünen Wahlversprechen gebrochen. Hundert Milliarden Euro Sondervermögen für die Bundeswehr seien „über Nacht“ möglich, aber die Kindergrundsicherung scheitere an zwölf Milliarden Euro, meinte der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch.
SPD & Grüne im Wahlkampf: „Wir werden kein Kind zurücklassen.“ Pustekuchen! Dafür über Nacht 100 Mrd für die Bundeswehr. Dass #Kindergrundsicherung an 12 Mrd scheitern soll, wäre fatal für den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Kanzler muss Prioritäten seiner Regierung bestimmen. https://t.co/N4KxE8q99C
— Dietmar Bartsch (@DietmarBartsch) April 3, 2023
FDP verteidigt sich gegen Kritik
Der FDP-Bundestagsabgeordnete Martin Gassner-Herz rechtfertigte die Haltung seiner Partei. Die Politik könne nicht Probleme benennen und dann „absurd hohe Milliardenbeträge“ abrufen. Von „horrende Mehrkosten“ stehe nichts im Koalitionsvertrag.
Die Zeiten in denen Politik daraus bestand ein Problem zu benennen und danach einen absurd hohen Milliardenbetrag aufzurufen sind vorbei! Um echte Probleme wirklich zu lösen ist harte Arbeit nötig für mehr Effektivität und Effizienz bei staatlichem Handeln. #Kindergrundsicherung
— Martin Gassner-Herz (@MartinGassner) April 4, 2023
Daß sich die FDP nicht für Kinderarmut interessiere, bezeichnete der FDP-Abgeordnete, Jens Teutrine, auf Twitter als „steile These“. Bisherige Leistungen sollten laut Koalitionsvertrag zusammengefaßt werden – das Eckpunktepapier von Familienministerin Paus bleibt laut Teutrine „hinter dem Notwendigen zurück“. Wie der Liberale mitteilte, sei der deutsche Sozialstaat mit einer Billionen Euro nicht unterfinanziert, sondern „dysfunktional und ineffizient“. Statt Mehrausgaben des Staates brauche es einen Sozialstaat, der besser funktioniere.
Die FDP interessiert sich nicht für Kinderarmut? Steile These. Ich habe den Koalitionsvertrag zur Kindergrundsicherung mitverhandelt und erwarte von der Bundesfamilienministerin, dass sie ihren Job richtig macht und den Koalitionsvertrag vollständig (!) umsetzt 👇🏻🧵
— Jens Teutrine (@jensteutrine) April 4, 2023
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