Das Theater war immer ein Ort der Bildung, der Unterhaltung und vor allem ein Kontrapunkt zum gemeinen Zeitgeist. Auf den Bühnen wurde die Moral entkleidet, bis sie sich splitternackt schamvoll verkroch. Die Bretter waren der Steppboden für Kritik am System, der Kirche und den Regierenden.
„Der Zeit ihre Kunst, der Kunst ihre Freiheit“, sprach einst der österreichische Jugendstil-Maler Gustav Klimt, als er mit Künstlerkollegen wie Egon Schiele oder Otto Wagner 1897 die „Secession“ gründete und damit die Wiener Moderne einläutete. Es war die Zeit der Abkehr vom verstaubten Historismus und die Geburtsstunde des Wiener Jugendstils. Die heutige Interpretation seines Leitspruchs würde Gustav Klimt wohl die Farbe auf dem Pinsel eintrocknen lassen, denn die Kunst hat sich zur Magd des Zeitgeistes gemacht.
Auf Zehenspitzen schleicht sie um die Fettnäpfchen herum, in die sie noch vor Kurzem mit Wonne hineingesprungen wäre. Die Kunst ist nicht länger kontrovers oder provokativ, sondern divers und inklusiv. Ob in der Musik, der Malerei oder dem Theater: Man trägt die Fesseln, die man stets zu sprengen suchte.
Diversitäts-Agentin soll Diskriminierung verhindern
In die woke Knechtschaft hat sich auch das Züricher Schauspielhaus begeben. Es mag vielleicht auch daran liegen, daß es an der Nabelschnur der Stadt hängt und jährlich mit 38 Millionen Franken alimentiert wird … da kann man auch Theater ohne die Gunst des Publikums machen. Unter der Leitung der Intendanten Nicolas Stemann und Benjamin von Blomberg hat sich das Schauspielhaus eigenen Angaben zufolge der Diversität verpflichtet. Dazu hat man sogar eine eigene „Agentin für Diversität“ installiert.
Heutzutage geht es auch nicht mehr ohne, glaubt man der Mediensprecherin Seta Thakur. So arbeite heute „jede zeitgemäß agierende Institution einer gewissen Größe und Relevanz“ mit derartig neuerschaffenen Experten. Damit wolle man „durch die Förderung und Inklusion von Verschiedenheit auf allen Ebenen des Betriebs die Chancengleichheit für marginalisierte Menschen erhöhen respektive sichern und Diskriminierung maßgeblich und nachhaltig abbauen“.
Das Zürcher Schauspielhaus hat seine Hausaufgaben gemacht und erklärt auf seiner Website: „Das Schauspielhaus verfolgt einen spartenübergreifenden, transdisziplinären, inklusiven und intersektionalen Ansatz, der sowohl bei den Mitarbeiter*innen wie auch beim Publikum größtmögliche Diversität hinsichtlich Alter, Gender, race und Herkunft sowie anderen Kategorien systemischer Diskriminierung anstrebt.“
„Triggerwarnung“ schützt woke Zuschauer
Die Verantwortlichen des Theaters scheinen auch eine ganz besondere Fürsorgepflicht für ihre Zuschauer zu hegen. Es soll sich keiner aufregen oder gar durch irgendetwas in seinen Gefühlen verletzt fühlen. Also hat man auf der Homepage einige Stücke mit einer sogenannten „Triggerwarnung“ versehen. Eine Warnung soll das vermeintlich sensible Gemüt des Publikums vor nachhaltigem seelischem Schaden schützen.
Beim Stück „Wilhelm Tell“ steht zum Beispiel der Hinweis: „Diese Inszenierung enthält Schilderungen und Darstellungen von Gewalt, sexualisierter Gewalt, Racial Profiling & Waffen. Es werden Stroboskope eingesetzt“. Letzteres macht Sinn, falls sich Zuschauer im Saal befinden, die unter Epilepsie leiden, aber alles andere ist eine Infantilisierung des Publikums. Das Theater begründet diesen Schritt damit, dem Publikum die Möglichkeit zu bieten, „vorbereitet in ein vielleicht für sie schwieriges Stück zu gehen, ohne daß zu viel Schmerz ausgelöst wird“.
Dieser Nanny-Kurs des Theaters wird nicht von allen Zuschauern goutiert. So gehen die Publikumszahlen zurück: Nur 72 Prozent aller Abonnements wurden auf die laufende Spielzeit hin erneuert. Vor Corona lag die Quote bei über 95 Prozent. Die Meinung des Publikums scheint das Schauspielhaus nicht ernsthaft zu tangieren, schließlich bezahlt die Stadt Zürich einen Großteil der wirtschaftlichen Ausfälle.
Man beruft sich lieber auf die „zahlreichen Auszeichnungen“ und suhlt sich weiter im woken Diversity-Pudding. Der Ausspruch „Die Kunst hatte ihre Zeit“, beschreibt das Treiben der Kunstszene wohl eher – die Freiheit hat das Nachsehen.