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Vor 50 Jahren starb Charles de Gaulle: Ein idealistischer Schüler Machiavellis

Vor 50 Jahren starb Charles de Gaulle: Ein idealistischer Schüler Machiavellis

Vor 50 Jahren starb Charles de Gaulle: Ein idealistischer Schüler Machiavellis

Statue von Charles de Gaulle in Paris Foto: picture alliance / AP Photo
Statue von Charles de Gaulle in Paris Foto: picture alliance / AP Photo
Statue von Charles de Gaulle in Paris Foto: picture alliance / AP Photo
Vor 50 Jahren starb Charles de Gaulle
 

Ein idealistischer Schüler Machiavellis

Mit Charles de Gaulle verbinden die meisten seine Rolle als Mitbegründer der deutsch-französischen Freundschaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei war der ehemalige Präsident Frankreichs nicht von Sentimentalitäten geleitet. Mit Argwohn beäugte er neben Deutschland auch den Verbündeten Großbritannien.
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Die allgemeine Anerkennung, die Charles de Gaulle heute erfährt, ist auch Unkenntnis der Details geschuldet. Er selbst hat vom „Mysterium“ der Größe gesprochen und das Bonmot zitiert, es sei niemand für seinen Kammerdiener ein großer Mann. Zu ihrem Besten weiß die Allgemeinheit von de Gaulle, daß er Hitler Widerstand geleistet und Frankreichs befreit hat. Seinen Landsleuten gilt er als „Retter der Nation“ und den übrigen als bedeutender Europäer. Das alles ist nicht falsch, genügt aber kaum dem Zusammenhang von geschichtlichem Kontext und Person.

Der spielt im Fall de Gaulles eine besondere Rolle, weil de Gaulle „Idealist“ war. Eine Feststellung, die nur auf den ersten Blick im Widerspruch zu seinem Bekenntnis steht, in die Schule Machiavellis gegangen zu sein. Denn so ausgeprägt de Gaulles Machtbewußtsein war: Er sah in Macht niemals Selbstzweck, sie hatte immer der Verwirklichung seiner Ideen, seiner „Leitideen“, zu dienen. In deren Zentrum stand die Überzeugung von der Sendung Frankreichs und vom eigenen Rang: „Die Geschichte“, äußerte de Gaulle, „ist die Begegnung eines Ereignisses mit einem Willen.“ Deshalb bedürften die Völker der Führer, die ihre Energie bündelten und zur Gestaltung historischer Größe nutzten. „Meine ganze Erfahrung lehrt mich aber überzeugend“, hieß es an anderer Stelle, „daß Frankreich nur Frankreich ist, wenn es an erster Stelle steht.“ Eine Auffassung, typisch für den klassischen Nationalismus Frankreichs.

Von Charles Maurras, dessen wichtigsten Theoretiker, soll de Gaulle gesagt haben, er sei so oft im Recht gewesen, daß er darüber verrückt wurde. Das Weltbild de Gaulles entstand aber nicht erst durch Lektüre, sondern war ihm schon als Kind eingeprägt worden. Am Sonntag machte sein Vater mit dem kleinen Charles und dessen Geschwistern Spaziergänge zu den Monumenten von Paris. Vor Ort wurden dann knappe Vorträge über die ruhmreichen Stationen der französischen Geschichte gehalten. Womit von selbst der Eindruck einer lichten Vergangenheit in denkbar scharfem Kontrast zur dunklen Gegenwart entstand.

De Gaulle sah Frankreichs Niederlage 1940 voraus

Der Schmerz über den Niedergang seiner Nation hat de Gaulle niemals losgelassen und gleichzeitig die Überzeugung genährt, daß er berufen sei, dieses Schicksal zu wenden. Das bedeutete vor allem, die Feinde Frankreichs zu erkennen und zu bekämpfen. De Gaulle pflegte zeitlebens einen ausgesprochenen Widerwillen gegenüber den angelsächsischen Mächten. Aber der wichtigste Gegner war für ihn Deutschland. Im Hintergrund wirkte die Vorstellung vom ewigen Konflikt zwischen „Galliern“ und „Germanen“ nach. Doch den Ausschlag gab in seinem Milieu, dem militärischen wie dem großbürgerlich-katholischen, der „Revanchismus“. Gemeint ist die Entschlossenheit, Rache für „Sedan“, für die Niederlage von 1871, zu nehmen. Die war in Frankreich vor dem Ersten Weltkrieg so verbreitet wie nach dem Ersten Weltkrieg der Wunsch, Deutschland einen „karthagischen“ Frieden aufzuzwingen. Daß das nicht gelang, mußte nach de Gaulles Auffassung notwendig zu einem neuen Konflikt führen, in den Frankreich – zu seinem Entsetzen – unzureichend gerüstet ging.

Die Niederlage vom Sommer 1940 hat er abgesehen, ohne sich mit ihr abzufinden. Nach eigener Aussage „war“ er jetzt Frankreich und nahm ohne Auftrag die „Souveränität“ seines Landes an sich, und drei Jahre nach dem Waffenstillstand beschwor er in einer Rede den „nationalen Instinkt“ seiner Kompatrioten: „Franzosen! Seit fünfzehn Jahrhunderten sind wir Frankreich, und fünfzehn Jahrhunderte ist das Vaterland in seinen Schmerzen und in seinen Ruhmeszeiten lebendig geblieben. Die gegenwärtige Prüfung ist noch nicht beendet, aber schon zeichnet sich in der Ferne das Ende des schlimmsten Dramas in unserer Geschichte ab. Laßt uns das Haupt erheben, laßt uns brüderlich zusammenstehen und laßt uns alle zusammen marschieren, durch Kampf und Sieg, unseren neuen Bestimmungen entgegen.“

Die Erwähnung der „fünfzehn Jahrhunderte“ zeigte schon, daß für de Gaulle die französische Geschichte nicht erst mit der Revolution begonnen hatte. Sie reichte weit zurück, bis zu dem Tag, als der Frankenkönig Chlodwig die Taufe nahm. Was folgte, war die Sammlung der französischen Erde, die Schaffung jenes fast symmetrischen „Hexagon“ durch das Erreichen der „natürlichen Grenzen“. Deshalb bildeten Elsaß und Lothringen integrale Bestandteile Frankreichs. Daß sie nach der deutschen Niederlage mit dem Vaterland „wiedervereinigt“ werden mußten, war eine Selbstverständlichkeit. Aber für de Gaulle ging es um noch mehr.

Aus Deutschland sollten viele „Deutschländer“ werden

Am 1. August 1948 legte er den Grundstein für ein monumentales Lothringer Kreuz oberhalb der elsässischen Stadt Thann. Dessen Inschrift lautete in Übersetzung: „Im Angesicht des Eindringlings hat unsere Treue die Gewalt überwunden, drei Jahrhunderte bezeugen es, 1648-1948“. Auch dieser historische Bezug war kein Zufall, denn die Jahreszahl 1648 stand für den Westfälischen Frieden, der nicht nur den Dreißigjährigen Krieg beendet, sondern Frankreich die Möglichkeit eröffnet hatte, nach Westen vorzudringen.

Deckengemälde aus der Regierungszeit Ludwigs XIV. im "Salon des Krieges", Versailles. Germania und Reichsadler ducken sich angstvoll unter den Blitzen Jupiters, der die Gestalt des Königs hat, vor ihnen die herrenlose Kaiserkrone Foto: Privat
Deckengemälde aus der Regierungszeit Ludwigs XIV. im „Salon des Krieges“, Versailles. Germania und Reichsadler ducken sich angstvoll unter den Blitzen Jupiters, der die Gestalt des Königs hat, vor ihnen die herrenlose Kaiserkrone Foto: Privat

Vor allem die Politik Ludwigs XIV. verfolgte dieses Ziel und die weitergehende Absicht, das Reich zu schwächen, indem er dessen innere Zersplitterung nach Kräften förderte. Dem Zweck diente auch ein erster Rheinbund, der den König von Frankreich zum Schutzherrn deutscher Fürsten und zu einer Art Gegen-Kaiser machte. Die damals entwickelte Linie hat die Außenpolitik Frankreichs bis ins 20. Jahrhundert bestimmt. Welche Verfassung gerade galt, ob Monarchie oder Republik, spielte dabei keine Rolle, und auch de Gaulle fühlte sich dem verpflichtet, was man „Richelieus Testament“ genannt hat. Seine Versuche, die anderen Siegermächte 1945 von der Notwendigkeit einer dauerhaften Zerteilung des Reichsgebietes zu überzeugen – und aus dem einen Deutschland viele „Deutschländer“ zu machen -, gehörten genauso in diesen Zusammenhang, wie die Forderung nach einer „Amputation“ nicht nur der Ostgebiete, sondern auch westlicher Regionen unter Einschluß der Ruhr und des Saarlandes.

De Gaulle fand sich deshalb nur schwer mit der Gründung der Bundesrepublik ab, und die von ihm zu Beginn der sechziger Jahre betriebene Annäherung zwischen Paris und Bonn hatte in Wirklichkeit wenig zu tun mit dem Projekt eines „karolingischen Europa“. Hier galt de Gaulles Satz: „Ein Mann hat Freunde – eine Nation kann sie nicht haben.“ Faktisch ging es ihm darum, die deutsche Wirtschaftskraft für die französische Atomrüstung zu nutzen.

An eine echte Zusammenarbeit dachte er nicht. Was schon daran zu erkennen war, daß er die entscheidenden außenpolitischen Schritte nie mit Bonn abstimmte. Das galt auch und gerade im Hinblick auf die „Entspannung“ (der Begriff – détente – ging im Grunde auf ihn zurück), durch die er die Blockkonfrontation des Kalten Krieges beenden wollte. Auf diesem Weg sollte Frankreich dem Einfluß der USA entzogen und mehr Spielraum für eine neue Großmachtstellung gewonnen werden.

Die Einwanderung aus Nordafrika lehnte de Gaulle ab

Selbstverständlich hatte de Gaulles Annäherung an die Sowjetunion nichts mit irgendeiner sentimentalen Einschätzung des dortigen Regimes zu tun. Vielmehr nahm de Gaulle ein Konzept wieder auf, das schon im Hinblick auf die „Einkreisung“ Deutschlands vor dem Ersten Weltkrieg gute Dienste geleistet hatte und nun helfen sollte, eine geopolitische Alternative ins Spiel zu bringen: „Europa vom Atlantik bis zum Ural“. Was de Gaulle vorschwebte, war letztlich ein französisch-sowjetisches Kondominium, das seiner Meinung nach in der langfristigen Logik der Entwicklung lag, da Rußland – Kommunismus hin oder her – ein „Land weißer Rasse“ sei.

Wie die meisten seiner Zeitgenossen hielt de Gaulle nicht nur die Existenz, sondern auch die Verschiedenheit von „Rassen“ für eine Tatsache. Deutlich wurde das bereits daran, daß er am 12. Juni 1945 als Regierungschef eine Anweisung an den Justizminister erteilte, die Einwanderung aus dem Orient und den Mittelmeergebieten nach Frankreich zu unterbinden, die aus Dänemark, Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz zu fördern, um das „nordische“ Element zu stärken, von dem er sich eine positiven Einfluß auf die französische Mentalität und die französische Geburtenrate versprach. Umgekehrt stand de Gaulle dem Kolonialbesitz schon deshalb mit Ablehnung gegenüber, weil er der Auffassung war, daß die einheimische Bevölkerung der Überseegebiete sich niemals europäischen Lebensgewohnheiten und Wertvorstellungen anpassen werde.

Die zunehmende Einwanderung aus Nordafrika hielt er für entsprechend fatal: „Wir sind nichtsdestotrotz vor allem ein europäisches Volk weißer Rasse, griechischer und lateinischer Kultur und christlicher Religion. Versuchen Sie Öl und Essig zusammenzubringen. Schütteln sie die Flasche. Nach einem Augenblick trennen sie sich aufs Neue. Die Araber sind die Araber, die Franzosen sind die Franzosen.“ Zuletzt gehört in diesen Zusammenhang auch de Gaulles berüchtigter Satz, der 1967 nach dem Ende des Sechstagekriegs fiel: „.. die Juden … sind geblieben, was sie immer waren, das heißt ein Elitevolk, selbstsicher und herrschsüchtig“. Allerdings haben selbst seine schärfsten Kritiker nie behauptet, daß de Gaulle die in der französischen Oberschicht verbreiteten antisemitischen Affekte teilte.

Der General sprach vom „ewigen Frankreich“

Entscheidend dafür war, daß de Gaulles „gewisse Vorstellung von Frankreich“ in erster Linie positiv bestimmt war. Rückblickend auf seine Kindheit schrieb er: „Nichts beeindruckte mich mehr als die Symbole unseres Ruhms: die Nacht, die sich auf Notre-Dame senkte, die Majestät des Abends in Versailles, der Triumphbogen im Sonnenlicht, die eroberten Fahnen, die sich unter dem Gewölbe der Invalidenkirche leise bewegten“. De Gaulle konnte sogar vom „ewigen Frankreich“ sprechen, was allerdings nichts daran änderte, daß er sein Leben lang von der Sorge um dessen Fortexistenz erfüllt war.

Aufkleber der Linksroyalisten in Rennes, 2018 Foto: Privat
Aufkleber der Linksroyalisten in Rennes, 2018 Foto: Privat

Diese Sorge erklärt auch eine sibyllinische Äußerung im Hinblick auf Pétains Politik während der Vichy-Zeit. Seinem früheren Mentor warf er vor, ein Programm beschädigt zu haben, das der Regeneration Frankreichs hätten dienen können. Ihm blieb nur das Vertrauen in die Substanz des Volkes und die Funktionstüchtigkeit der großen Institutionen wie der Armee oder Beamtenschaft.

Aber de Gaulle ahnte, daß das auf die Dauer nicht genügen werde. Für jemanden seiner Herkunft konnte deshalb der Gedanke der Restauration naheliegen. Zwar hat de Gaulle nie irgendeiner legitimistischen Organisation oder der Action Française angehört. Aber seine Haltung zur Monarchie gab immer wieder Anlaß zu Spekulationen. In der Regel endeten die mit dem Hinweis auf eine Äußerung, die nach Gründung der Fünften Republik fiel: „Die Monarchie haben wir schon wiederhergestellt. Nur ist sie nun eine Wahl-, keine Erbmonarchie.“ Doch war das kaum die ganze Wahrheit.

Frankreich begehe Selbstmord

Bezeichnend jedenfalls, daß sich de Gaulle zwischen 1954 und 1966 ein Dutzend Mal mit dem Grafen von Paris, dem Chef des Hauses Orléans, getroffen hat. Bei einer Unterredung im Oktober 1961 soll de Gaulle gegenüber dem Thronanwärter – „Heinrich V.“ – das Gedankenspiel entwickelt haben, ihn nach dem Ende seiner eigenen Präsidentschaft als Nachfolger vorzuschlagen. Geworden ist daraus nichts. Was wahrscheinlich auch darauf zurückzuführen war, daß de Gaulle erkannte, wie weit sich das französische Volk von der Idee des Königtums entfernt hatte.

Mittlerweile hat es sich sogar weit von dem entfernt, was de Gaulles „gewisse Vorstellung von Frankreich“ war. Eric Zemmour, einer der klugen Verehrer des „Generalpräsidenten“, meint, daß das Land „Selbstmord“ begehe, einen Selbstmord auf Raten, und daß es nur noch auf einem Weg davon abgehalten werden könne: durch einen zweiten de Gaulle.

Statue von Charles de Gaulle in Paris Foto: picture alliance / AP Photo
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