Selbst während des Zweiten Weltkriegs leuchteten in dieser besonderen Sommernacht hie und da trutzig Feuer wie Sterne am Firmament. Auch die Corona-Pandemie samt ihren mit sich bringenden Beschränkungen und Verboten hätten diesen wohl schönsten aller Tiroler Bräuche nicht aufhalten können. In allen Landesteilen gab es Gruppen, die sich dazu bereit erklärten, in die Höhe zu steigen und Bergfeuer zu entzünden, wenn auch nicht in der gewohnt hohen Zahl.
Die Frage, wie viele es am Ende gewesen wären, erübrigt sich. Vor einer Woche entschied die italienische Bischofskonferenz, daß die Herz-Jesu-Prozessionen in Südtirol erlaubt sind. Und auch die Zahl der Corona-Neuinfektionen bewegt sich im südlichen Teil Tirols seit Wochen schon nahe oder auf null. Im österreichischen Bundesland Tirol war die Lage ohnehin entspannter als in Italien.
Bewegende Entstehungsgeschichte
Der Wille, auch trotz Verbot und Pandemie den Schwur auf das „Heiligste Herz Jesu“ mit den Bergfeuern zu erneuern, hat nicht nur mit der Tiroler Sturheit, sondern vor allem auch mit seiner Entstehung und immer wieder bewegenden Geschichte zu tun. Es war der 1. Juni 1796, als die höchsten Landesvertreter Tirols, die Landstände, sich in der heutigen Südtiroler Landeshauptstadt Bozen zusammenfanden und das Land Tirol dem Herz Jesu weihten.
Die Lage war ernst: Im Süden stand das Heer Napoleons bereit, seinen Feldzug in Richtung Tirol fortzusetzen. Kurz zuvor hatte es ein österreichisch-piemontesisches Armeekorps besiegt. Der AbtSebastian Stöckl griff die Idee des Pfarrers Anton Paufler auf und sprach in seiner flammenden Rede:
„Das Herz Jesu muß in dieser bedrohten Lage unser Retter sein und ich stelle den Antrag, die Vertreter des Landes beschließen einen Bund mit dem Herzen Jesu. Es soll ein rechtlicher Vertrag sein und ein Landesgesetz werden. Wir geloben, das Herz-Jesu-Fest für weltewige Zeiten in feierlichster Weise zu begehen und die Herz-Jesu-Verehrung zu einer Volksandacht unseres Landes zu machen.“
Der 24 Mitglieder umfassende Ausschuß nahm den Antrag einstimmig an. Dem Vorschlag Pauflers folgend, beschlossen die Landstände auch, Feuer auf den bis zu 3.900 Meter hohen Berggipfeln zu entzünden. Kurze Zeit später einigte man sich darauf, den zweiten Sonntag nach Fronleichnam als hohen Festtag auszuwählen. „Wie sehr da der Kongreiß aus dem Herzen des Volkes gesprochen hatte, zeigt die Tatsache, daß das Fest schon im folgenden Jahr in fast allen Gemeinden Tirols heimisch geworden war“, notierte der Volkskundler Friedrich Haider in seinem grundlegenden Werk „Tiroler Brauch im Jahreslauf“.
Heimisch blieb das Fest auch während der Weltkriege, zur Zeit des Faschismus und des Nationalsozialismus – die Herz-Jesu-Feuer waren verboten worden – aber auch in den 1960er Jahren während der sogenannten Bombenjahre und schließlich bis heute. Fest und Brauch verkümmerten nicht zur plumpen Folklore mit religiösem Touch. Die Herz-Jesu-Prozessionen sind gut besucht, die Kirchen an diesem Sonntag voll und in allen Tälern brennen die Herz-Jesu-Feuer, typischerweise auch in Form religiöser und politischer Motive: Herzkreuze, betende Hände, Tiroler Adler, Schriftzüge mit „Tirol“ oder „Herz Jesu“ oder Ketten auf den Bergkämmen.
Eindringlich beschrieb der Kaiserjägeroffizier und Rechtsanwalt Eduard Reut-Nicolussi den Abend des Herz-Jesu-Sonntags von vor 100 Jahren.
„Wie einen goldübersäten blausamtenen Mantel breitet sich das funkelnde Firmament über Tirol. Auch die Erde glimmt und leuchtet mit Tausenden von Flammen. Ist ein Sternenregen auf die Tiroler Berge niedergegangen? Sind unzählige Brände über Berg und Tal entzündet? … Da ist keine Spitze, auf der nicht ein heller Schein aufblitzt, kein Hang, über den es nicht feurig sprüht. Ist es ein Gaukelspiel, eine Sinnestäuschung? Nein, das ist eine Feier Tirols, Herz-Jesu-Sonntag, aus schwerer Kriegszeit her durch fromme Angelobung der Tiroler Stände geheiligt und alljährlich durch Feuer auf allen Höhen begangen. … Im alten Glanze flammt die Glut, auf Zinnen und Graten brennen Lichterreihen über Hänge und Felsabstürze.“
„Feuernacht“ und Protest gegen Italien heute
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden die Feierlichkeiten zunehmend auch politisch aufgeladen. Ihren Höhepunkt fand diese Entwicklung 1961. In der Herz-Jesu-Nacht sprengten Untergrundkämpfer für die Loslösung Südtirols von Italien in der später so genannten „Feuernacht“ vom 11. auf den 12. Juni 37 Hochspannungsmasten, die Teile der oberitalienischen Industrie lahmlegten. Es folgten eine großangelegte Verhaftungswelle und für manche Inhaftierte sogar Folter und Tod.
Auch in den vergangenen Wochen sorgten Feuer mit politischen Botschaften auf Südtiroler Bergen für Schlagzeilen. Teile des Südtiroler Schützenbundes bekräftigen ihre Forderung nach einem „Los von Rom“ mit flammenden Botschaften und Spruchbannern in weiten Teilen des Landes. Anlaß dafür waren die harten Corona-Maßnahmen der italienischen Regierung, wovon auch Südtirol betroffen war. Gleichzeitig sahen die Einheimischen aber bei den Ost- und Nordtiroler Nachbarn, daß es auch anders geht und Lockerungen schneller beschlossen werden können.
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Wenn an diesem Sonntag wieder zahlreiche Tiroler auf die einzigartigen Berge im „heil’gen Land“ steigen, die weiß-rote Fahne vom Balkon hängen, Banner und Statuen durchs Dorf tragen und abends Berge mit Feuern oder Fenster mit Leuchtbildern schmücken, dann ist das auch heute noch ein Einsatz für Heimat und Glaube, dies- und jenseits des Brenners. Und das kann schließlich auch in Zeiten einer Pandemie nicht schaden.