Raucherpause vor dem JF-Gebäude. Die Sonne brennt, auf dem Balkon hängt eine Deutschlandfahne. Es gibt nur ein Gesprächsthema: Fußball. Genauer gesagt, der 4:0-Triumph der Nationalmannschaft gegen die hoffnungslos überforderte Mannschaft aus Portugal. Vor dem Verlag steht ein kleiner Fiat. Deutschlandflaggen, schwarzrotgoldene Sitze, sogar die Rückspiegel sind in den Nationalfarben gehalten. Der Besitzer: ein älterer Vietnamese.
Er hat kein Problem damit, sich mit den deutschen Fahnen zu identifizieren. Er freut sich über die Fußball-WM. Er findet das Nationalgefühl, diese deutsche Euphorie, einfach klasse. Er ist nicht allein damit. Auf den Fanmeilen liegen sich wildfremde Menschen in den Armen. Die Einschaltquoten des Portugal-Spiels lagen bei über 80 Prozent. Deutschland ist im WM-Fieber.
Die Linken haben die Deutungshoheit verloren
Ganz Deutschland? Nein! Die Deutschen wären nicht die Deutschen, wenn es nicht immer eine ansehnliche Minderheit von Nörglern und Schlechtrednern gäbe. Nicht wenige Linke ärgern sich über die WM. Über die Fahnen, die Freude und den Sieg der DFB-Elf. Sie haben Angst vor einem deutschen Patriotismus und fieberten deswegen demonstrativ mit Portugal. Auf Twitter empörten sich Anhänger von Piraten, Grünen und Linkspartei über den Sieg der Nationalmannschaft.
Sie wissen, daß sie den Kampf um die Deutungshoheit verloren haben. Die Deutschen lassen sich die WM von den ewiggestrigen 68’er-Spießern nicht vermiesen. In fast jeder Kita bekommen die Kleinen schwarzrotgoldene Flaggen auf die Wangen gemalt. Für sie wird die Nationalhymne später etwas ganz normales sein. Das war vor 20 Jahren noch undenkbar. Abgesehen vom dauerknörzenden Freitag und seiner angegrauten, frühvergreisten Leser- und Autorenschaft wagt es keine Zeitung bei Verstand mehr, ernsthaft eine Debatte über die Schlechtheit des Patriotismus anzufachen.
Meckern ist keine Lösung
Doch auch auf der anderen Seite des politischen Spektrums gibt es Widerstand. Alles nur „Brot und Spiele“ von „bezahlten Söldnern“ heißt es da aus dem sogenannten konservativen Lager. Besonders schlimm: Angela Merkel war auch beim Spiel gegen Portugal. Grund genug, die ganze WM zu verdammen und sich über die blöden Fans zu beschweren, die sich wieder einmal für dumm verkaufen ließen.
Die Millionen vor den Fernsehern und auf den Straßen wollen sich nicht politisieren lassen. Ihnen ist egal, ob Özil die Hymne singt. Sie machen es im Zweifel einfach selbst. Es ist Sport. Nicht mehr und nicht weniger. Ganz nebenbei lernen viele erstmals, unverkrampft mit dem eigenen Land umzugehen. Immer nur beschweren, ist auf Dauer einfach keine Lösung.