Salbungsvollen Ansprachen ist in diesen Tagen kaum zu entrinnen. Vom Papst bis zum neuen Internet-Messias Edward Snowden werden wir mit wohlmeinenden Botschaften beglückt. Selbst Nordkoreas Kim Jong Un läßt sich nicht lumpen und erklärt uns nochmal die jüngste dynastische Säuberung im herrschenden Clan seiner kommunistisch verbrämten Militärdiktatur.
Zur Weihnachtspredigt des Bundespräsidenten – „Machen wir unser Herz nicht eng mit der Feststellung, dass wir nicht jeden, der kommt, in unserem Land aufnehmen können. […] Tun wir wirklich schon alles, was wir tun könnten?“ – hat ja Henryk Broder bereits das Notwendige gesagt: „Joachim, denk nicht, tu lieber was, mach das Tor auf! Das Schloß Bellevue, in dem Du amtierst, liegt in einem großen Park, der seinerseits Teil des Berliner Tiergartens ist. Der Park wird nur selten benutzt. […] Auf diesem Gelände könnte man mühelos ein paar Hundert Zelte aufbauen oder auch Wohnwagen hinstellen, um Flüchtlingen eine Zuflucht zu bieten.“ Bis dato dürfte das Tor allerdings noch verschlossen geblieben sein. Wer im übrigen nach der Gauck-Rede vorschnell nostalgische Regungen verspürt haben sollte, möge sich die Multikulti-Inszenierungen von Amtsvorgänger Wulff ins Gedächtnis zurückrufen.
Alternativlose Gouvernantenpose
Weihnachten gehört dem Bundespräsidenten, Silvester der Kanzlerin – so sind die Reviere hierzulande aufgeteilt. Wie Gauck lobt Angela Merkel in ihrer Neujahrsansprache emphatisch die Freiwilligen, Ehrenamtlichen und Unternehmungslustigen, denen das Land so viel verdanke. Ein regelmäßiger Topos übrigens in derartigen Ansprachen. Aus dem Munde einer Regierungschefin, die bevorzugt die alternativlose Gouvernantenpose einnimmt und soeben eine ganz große Koalition der Regulierungen, Bevormundungen und Enteignungen gebastelt hat, klingt das noch einen Tick merkwürdiger als von seiten des Bellevue-Hausherren, dessen Mutation zum angepaßten politischen Wellness-Onkel noch nicht ganz so lange zurückliegt. Beide ahnen wohl, daß es in Deutschland trotz und nicht wegen des Herumfuhrwerkens seiner Politiker noch immer ganz leidlich läuft.
Im Demokratieabgaben-Bezahlfernsehen wird die Ansprache der immerhin einflußreichsten politischen Persönlichkeit schön unauffällig hinter den Abendnachrichten versteckt, damit sie das Party-Dauerfeuer auf allen TV-Kanälen nicht stört. Bei den russischen Sendern ist das anders gelöst: Da sind die Unterhaltungsprogramme in den letzten Stunden des alten Jahres zwar genauso seicht, aber der Präsident spricht selbstverständlich kurz vor Mitternacht zu seinen Landsleuten, stößt mit ihnen an, und dann erklingt die Nationalhymne.
Die bessere Neujahrsansprache
Nicht nur der Sendeplatz, auch der Ton unterscheidet die Neujahrsansprachen Angela Merkels und Vladimir Putins. Kostprobe? Merkel: „Wir wollen die Familien unterstützen –sie sind das Herzstück unserer Gesellschaft.Wir wollen, daß alle Kinder und Jugendlichen die bestmögliche Bildung und damit die bestmögliche Chance auf ein gutes Leben erhalten können.“ – Putin: „Wenn man um seine Familie, um seine Kinder und Eltern sorgt, hängt dies unzertrennlich mit der Verantwortung für Rußland zusammen, für jenes Land, in dem wir leben und das wir lieben.“ Mutti und der Staat kümmern sich schon auf der einen Seite, Appelle an Eigenverantwortung und Patriotismus auf der anderen. Putin mag ja kein lupenreiner Demokrat sein, aber seine Neujahrsansprachen sind definitiv staatsmännischer.