Mindestens 923 Deutsche wurden zwischen 1950 und 1953 von sowjetischen Militärtribunalen in der DDR zum Tode verurteilt, nach Moskau verschleppt und dort hingerichtet. Die Angehörigen wurden im Ungewissen gelassen. Viele versuchten jahrzehntelang vergeblich, Aufklärung zu erlangen. Im Westen gab es über diese späten Auswüchse des stalinistischen Terrors mitten in Deutschland bis vor wenigen Jahren nahezu keine Informationen. Mit einer Ausstellung im Potsdamer Truman-Haus sowie einer Vortrags- und Diskussionsveranstaltung machte im September die Friedrich-Naumann-Stiftung auf dieses dunkle Kapitel der Nachkriegsgeschichte aufmerksam.
In seiner flammenden Begrüßungsansprache geißelte der stellvertretende Vorsitzende des Kuratoriums der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, Peter Menke-Glückert, den Kommunismus und die von ihm ausgehende Bedrohung. Er zog eine Linie vom stalinistischen Terror bis zu den Morden der Roten Armee-Fraktion. Eindringlich plädierte er dafür, sich auch mit diesem anderen Totalitarismus auseinanderzusetzen, und griff die überall anzutreffende Tendenz zur Verharmlosung des kommunistischen Gewaltsystems scharf an.
Menke-Glückert wandte sich zudem entschieden gegen eine kritiklose Auswertung der Archivbestände von Diktaturen. Diese Akten gaukelten eine Objektivität vor, die sie nicht besäßen: Aus vielerlei Motiven heraus seien sie zu Gegenständen der Manipulation geworden. Für die Ermittlung der historischen Wahrheit seien Zeitzeugen deshalb unverzichtbar.
Drei Zeitzeugen waren es dann auch, die dem Publikum aus eigener Anschauung ein Bild von der politischen Situation in der Entstehungs- und Frühphase der DDR vermittelten: von massiver Unterdrückung, systematischer Wahlfälschung, enttäuschten Hoffnungen auf Freiheit. Zahlreiche Menschen trieb diese Entwicklung in den Widerstand. Einige versuchten, durch politisches Engagement in den zugelassenen (ursprünglich) demokratischen Parteien CDU, LDP(D) und NDPD ein Gegenmodell zum staatlich verordneten Sozialismus zu entwickeln.
Erst in der Gorbatschow-Ära begann in der damaligen Sowjetunion die Beschäftigung mit den Verbrechen des Stalinismus. Im Jahr 2004 schließlich nahm das Forschungsinstitut Memorial International Moskau in Zusammenarbeit mit Facts&Files Berlin und der Stiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur Berlin systematisch die Recherche zu diesem Komplex auf.
Die Opfer stammten aus allen gesellschaftlichen Schichten und gehörten den verschiedensten politischen Richtungen an. Allen gemeinsam war, daß sie sich dem Herrschaftsanspruch der Einheitspartei widersetzten und auf die eine oder andere Art Widerstand leisteten.
Ein Beispiel unter vielen ist die Gruppe kritischer LDP(D)-Mitglieder um den Jurastudenten Arno Esch in Mecklenburg-Vorpommern. Ihr „Verbrechen“ bestand darin, offen Kritik an der Besatzungsmacht und an der SED sowie an der eigenen Parteiführung zu üben. Sie wurden vom sowjetischen Geheimdienst MGB verfolgt und von sowjetischen Militärtribunalen zweimal zum Tode verurteilt. Arno Esch und zwei seiner politischen Freunde wurden am 24. Juli 1951 in Moskau hingerichtet.
<---newpage---> Mindestens 293 ermordete Deutsche
Gerade Jugendliche gerieten in das Visier der sowjetischen und DDR-Behörden. Für sie war nach dem Willen der Staatsführung keine Alternative zur Mitgliedschaft in der FDJ und den anderen sozialistischen Massenorganisationen vorgesehen. Versuche, innerhalb der Kirchen oder der zugelassenen demokratischen Parteien unabhängige Jugendorganisationen aufzubauen, wurden massiv verfolgt.
Viele politisch interessierte Jugendliche gründeten informelle Zirkel und nahmen Kontakt zu westlichen Medien und DDR-kritischen Organisationen wie der Kampfgruppe gegen Unmenschlichkeit oder den Ostbüros der westlichen Parteien auf, um so an Informationsmaterial und logistische Hilfe für Widerstandsaktionen zu gelangen. Viele von ihnen bezahlten dafür mit ihrem Leben. Insgesamt ermordete der sowjetische Geheimdienst in den Jahren 1950 bis 1953 mindestens 293 Deutsche der Jahrgänge 1925 bis 1933.
Nicht nur Bürger der DDR und Ost-Berlins, auch zahlreiche Westberliner waren unter den Opfern. Nicht einmal vor brutalen Entführungsaktionen im Westen schreckte die DDR-Staatssicherheit zurück, so im prominenten Fall Walter Linse: Er wurde am 8. Juli 1952 von Bewaffneten vor seiner Wohnung überwältigt. Das Fahrzeug der Entführer durchbrach mit hoher Geschwindigkeit den Grenzkontrollpunkt und verbrachte das Opfer in ein Stasi-Untersuchungsgefängnis. Am 23. September 1953 wurde Linse von einem sowjetischen Militärtribunal zum Tode verurteilt und am 15. Dezember 1953 in Moskau hingerichtet.
In vielen Fällen waren die Anklagen der sowjetischen Militärbehörden fingiert, häufig lauteten sie auf „Spionage“. Die Verfahren fanden in Deutschland statt, nach ihrer Verurteilung wurden die Todeskandidaten in Geheimtransporten nach Moskau verbracht. Gnadengesuche an den Obersten Sowjet hatten in den seltensten Fällen Erfolg (der dann in der Umwandlung des Urteils zu 25 Jahren Zwangsarbeit bestand). Die Hinrichtungen wurden im Butyrka-Gefängnis durch Erschießen vollzogen. Anschließend ließ das MGB die Leichen in einem Krematorium auf dem Gelände des früheren Klosters Donskoje verbrennen und die Asche in Massengräbern verscharren.
Arsenij Roginskij, Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Anne Kaminsky (Hrsg.): Erschossen in Moskau… Die deutschen Opfer des Stalinismus auf dem Moskauer Friedhof Donskoje 1950-1953. Metropol Verlag, gebunden, 400 Seiten, Abbildungen, 22 Euro
Jörg Rudolph, Frank Drauschke und Alexander Sachse (Hrsg.): Hingerichtet in Moskau. Opfer des Stalinismus aus Berlin 1950-1953. (Band 23 der Schriftenreihe des Berliner Landesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR), Berlin 2007, broschiert, 136 Seiten, Abbildungen, kostenlos