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Die Ideologie als Bauherr

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Cato, Palmer, Exklusiv

Ein ungewöhnlicher Baustreit hatte in den letzten Monaten die Mainmetropole Frankfurt berührt. Abseits der erörterten rein baulichen Fragen traten dabei interessante Aspekte kulturpolitischer Symbolik zutage.

Konkret ging es nicht um die städtisch weitaus bedeutsamere Beschäftigung mit derzeitigen Rekonstruktionsplänen zur mittelalterlichen Altstadt am Kaiserdom. Statt dessen geriet ein großes Grundstück am östlichen Rand der Innenstadt ins Blickfeld der Diskussion. Auf dem Gelände der ehemaligen Großmarkthalle soll bis 2012 der Neubau der Europäischen Zentralbank (EZB) entstehen. Gegenüber allerlei grausigen Architekturklotzereien von etwa 80 Konkurrenten gewann ein gemäßigt-dekonstruktivistischer Entwurf des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au  den Wettbewerb. Der Entwurf sieht ein Zwillingshochhaus in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Großmarkthalle vor. Der gedrehte, polygonale Doppelturm wird mit 180 Metern Höhe die alte Halle überschatten. Mit Baukosten von stolzen 500 Millionen Euro ist der Hochhauskomplex veranschlagt.

Die alte Großmarkthalle von 1928 ist ein bekanntes Beispiel expressionistischer Architektur der Weimarer Republik. Errichtet wurde die 220 Meter lange, von fünf Tonnengewölben überdachte, Verkaufshalle vom ehemaligen Stadtbaudirektor Martin Elsaesser (1884-1957). Zwei verklinkerte Kopfbauten halten den Koloß an West- und Ostende zusammen. Dem monumentalen Bauwerk der frühen Moderne wurde in der Vergangenheit immer eine sakrale Ausstrahlung zuerkannt. 1972 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Seit 2004 leerstehend, wurden die Halle und ihre geräumige Umgebung schließlich als neuer Standort für die EZB festgelegt.

Ursprünglich beabsichtigten die Dekonstruktivisten von Coop Him­melb(l)au, Elsaessers Altbau einfach ihrem neuen EZB-Gebäude einzuverleiben. Dieser wenig sensible Umgang mit Geschichte zwang das Büro aber bald zur Modifizierung des Entwurfs. Nunmehr werden die Türme neben die Halle gesetzt, letztere aber von einem Stahl-Glas-Bügel durchstoßen, um im Norden einen neuen Haupteingang und einen lichtdurchfluteten Übergang zum Doppelturm zu schaffen.

Gegen diese Zweiteilung und Teilzerstörung des alten Baus wandten sich die Erben des seinerzeitigen Architekten Elsaesser in offenen Briefen und einer Gerichtsklage. Die Klage scheiterte. Die Denkmalbehörde übte sich in fragwürdiger, dogmatisch erstarrter Zurückhaltung, schließlich würden – so ihr Argument – nur nach dem Krieg wiederaufgebaute Betonteile des Komplexes von dem Riegel durchschnitten, somit also keine „Originalsubstanz“ gefährdet.

Der Riegel, der Keil, das Motiv des „Sperrigen“ ist ein fester Bestandteil der Moderne und vor allem mittlerweile auch ein symbolischer Ausdruck linker politischer Inhalte in der Baukunst.

Beispielsweise der Hamburger Politologe Peter Reichel, Jahrgang 1942, ein ins Lächerliche abgeglittener Hauptverfechter von NS-Vergangenheitsbewältigung und deren baulicher Manifestation, beschäftigte sich 1995 mit allerlei „Brüchen“ und Asymmetrien in der Konzeption von NS-Gedenkstätten. In seinem Buch „Politik mit der Erinnerung“ forderte er diesbezüglich: „…nur was nicht aufhört wehzutun, bleibt im Gedächtnis.“ Die bauliche Verhäßlichung wird demnach von Ideologen als ein übersteigerter Ausdruck und eine stete Dokumentation der Häßlichkeit des Menschen gewertet wie auch als kämpferisches Symbol wider das Alte.

Spektakuläre „Brüche“

Vielleicht nicht unbeeinflußt von diesem Zeitgeist hat die bundesdeutsche Architekturelite derartige Ideen verinnerlicht, wenn sie bei ihrer Begegnung mit Altbausubstanz selten harmonisierend vorgeht, sondern statt dessen stets den „Bruch“ oder entstehende „Spannungen“ zwischen Alt und Neu betont.

Spektakuläre Beispiele der letzten Jahre verdeutlichen diese Absicht: 2001 errichtete die Stadt Nürnberg auf dem ehemaligen NS-Parteitagsgelände für 21,5 Millionen Mark ein kritisches Dokumentationszentrum zur NS-Geschichte der Stadt. Als Ort dafür wurde der unvollendete Torso der ehemaligen NS-Kongreßhalle, ein Monumentalbau von Ludwig und Franz Ruff, gewählt. Das durch den damaligen Bundespräsidenten Johannes Rau vor sechs Jahren eröffnete Zentrum war von dem österreichischen Architekten Günther Domenig umgebaut worden. Domenig hatte dazu den nördlichen Kopfbau durch einen begehbaren Pfahl aus Glas und Stahl diagonal durchbohrt.

Daniel Libeskind, der 1999 das gezackte Berliner Jüdische Museum errichtet hatte, baut derzeit das intakte, zwischen 1873 und 1877 errichtete Militärhistorische Museum in Dresden um. Der Entwurf sieht vor, das historische Gebäude mit einem V-förmigen Einbau zu durchstoßen. Dieser ist sowohl als Erinnerung an die Bombardierung Dresdens wie auch als antimilitärisches Symbol zu interpretieren. In der Form eines V hatten die britischen Bomberflugzeuge im Februar 1945 die Altstadt Dresdens bombardiert. Mit dem Keil wird auch eine inhaltliche Neukonzeption verfolgt. Das Althergebrachte, die chronologische Ausstellung im historischen Arsenalgebäude, werde zugunsten eines thematischen Parcours durchbrochen.

Seinen modernen Ursprung hat dieses Spiel mit dem Keil, der das Alte durchstoßenden Lanze, in der Sowjet-Propagandakunst. 1920 schuf der Sowjet-Propagandist El Lissitzky sein berühmtes abstraktes Plakat „Schlag die Weißen mit dem roten Keil“. Es zeigt einen weißen Kreis als Symbol für die Feinde der jungen Sowjetunion, der von einem roten Keil durchbohrt wird. Das Motiv findet sich bis heute wieder in der „antifaschistischen“ Symbolik, wenn beispielsweise auf Aufklebern und Buttons rote Dreiecke durch kleine Hakenkreuze stoßen.

Die konsequenten Pläne von Coop Himmelb(l)au für das Frankfurter EZB-Zentrum sind wohl nicht mehr aufzuhalten. Architektur müsse leuchten, brennen, schmerzen, stechen und fetzen, hatten bereits zu Beginn der 1980er Jahre die Gründer des Architekturbüros, Wolf D. Prix und Helmut Swiczinky, gefordert. Sie stellten sich damit eindeutig in eine futuristisch-revolutionäre „Tradition“ der Moderne, die in radikalem Bruch zu überlieferten ästhetischen Anschauungen steht. Daß derartige Positionen mittlerweile für die Repräsentation der Währungsbehörde der Mitgliedstaaten der Europäischen Währungsunion taugen, zeigt einmal mehr die nahe Verwandtschaft marxistischen und liberal-kapitalistischen Gedankenguts.

Die Frankfurter Großmarkthalle wird sich in diese Architekturkonzeptionen mit Zerstörungssymbolik einreihen, wird womöglich „brennen, schmerzen, stechen“. 2008 werden die Bauarbeiten beginnen, 2012 ziehen die 1.300 EZB-Mitarbeiter in den Osten Frankfurts.

Damit dennoch die Historie nicht allzu kurz kommt, wird man sich der deutschen Geschichte in einer Gedenkstätte annehmen. Der informierte Leser ahnt angesichts der bundesdeutschen Reduktion historischen Verständnisses bereits, was das bedeutet: Vorhandene Gleisanlagen auf dem Gelände werden sorgsam konserviert, denn während der NS-Zeit trieb die Gestapo im Keller der Großmarkthalle Frankfurter Juden zusammen, um sie in Waggons in Konzentrationslager fahren zu lassen. Die EZB hat für diese geplante Gedenkstätte neben dem durchstoßenen Koloß einen erneuten Architekturwettbewerb ausgeschrieben.

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