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Asylkrise: Sisyphos-Arbeit

Asylkrise: Sisyphos-Arbeit

Asylkrise: Sisyphos-Arbeit

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Demonstration in Freiburg gegen Abschiebungen (Archivbild) Foto: picture alliance/Winfried Rothermel
Asylkrise
 

Sisyphos-Arbeit

Abschiebungen werden in Deutschland systematisch behindert und offenbaren ein totales Staatsversagen. Der politische Wille, abzuschieben, ist klein. Groß dagegen ist die Zahl der Tricks zur Erschleichung eines Daueraufenthalts. Ein Kommentar von Dieter Amann.
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Man stelle sich einmal vor, die Zahl der Unfallopfer in Deutschland würde ungeachtet der gültigen Straßenverkehrsordnung innerhalb von zwei Jahren von 3.339 auf 30.000 steigen. Und zwar, weil sich Polizei und Behörden nicht ausreichend um betrunkene Autofahrer, Rotlichtverstöße oder TÜV-Termine kümmerten, sondern die Delikte ignorierten. Wer würde in diesem Fall nicht völlig zu Recht von totalem Staats-, Justiz- und Verwaltungsversagen sprechen, welches ein rücksichtsloses Durchgreifen des Gesetzgebers und rollende Köpfe in der Administration zur Folge hätte?

Ganz anders sieht es dagegen aus, wenn sich die Verstöße nicht gegen die Straßenverkehrsordnung richten, sondern gegen die Aufenthaltsbedingungen. Nach Paragraph 50 Aufenthaltsgesetz ist ein Ausländer zur Ausreise verpflichtet, wenn er keinen erforderlichen Aufenthaltstitel besitzt. Nach Paragraph 58 ist er abzuschieben, wenn die Ausreisepflicht vollziehbar und die freiwillige Ausreise nicht gesichert ist.

Totales Staats-, Justiz- und Verwaltungsversagen

2015 kamen auf 200.000 registrierte Ausreisepflichtige – die aus Vorjahren aufgelaufen waren – etwa 20.000 Abschiebungen. Gleichzeitig befanden sich zwischen 180.000 und 520.000 „irregulär aufhältige“ Personen, also auch ohne Aufenthaltstitel, in Deutschland. Die Bundesregierung rechnet – Stand März – für 2016 mit 27.000 Abschiebungen bei 220.000 Ausreisepflichtigen. Obwohl über eine Million Asylbewerber eingereist sind, geht der Bund also nur von 20.000 Ausländern mehr aus, die das Land verlassen müssen. Was anderes ist das als das totale Staats-, Justiz- und Verwaltungsversagen?

Über die Ursachen hierfür wurde in der Vergangenheit einiges geschrieben, auch Amtliches. Noch 2011 glaubte die Politik, der Öffentlichkeit den „Bericht über die Probleme bei der praktischen Umsetzung von ausländerbehördlichen Ausreiseaufforderungen“ der sogenannten „AG Rück“, einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe, zumuten zu können. Mittlerweile wurde die Neufassung des Berichts aus dem Jahr 2015 als Komplettdokument zur Geheimsache erklärt.

Abschiebung könnte so einfach sein

Ein Grund hierfür dürfte die hohe Anzahl an gescheiterten beziehungsweise erst gar nicht versuchten Abschiebungen wegen fehlender Papiere sein. Kaum ein Staat  – es sei denn, es gibt funktionierende Rückübernahmeabkommen und der Staat hat ein eigenes Interesse an der Wiederaufnahme seiner Bürger – nimmt Menschen ohne Nachweis seiner Staatsangehörigkeit bei sich auf.

So einfach ist das. Und so einfach ist das auch den Asylbewerbern durch ihre Schlepper, ihre Anwälte, die Heerscharen linker Flüchtlingslobbyisten zu vermitteln. 73 Prozent geben demnach an, ihre Dokumente verloren oder nicht besessen zu haben – gegenüber gefühlt 99 Prozent, die ein Handy besitzen, das sie auf der Flucht nicht verloren haben.

Trotzdem sind fehlende Papiere in Deutschland immer noch kein Grund, die Einreise zu verweigern und einen Asylantrag als offensichtlich unbegründet oder gleich als unzulässig abzulehnen. Oder deswegen die Sozialleistungen von Anfang an einzuschränken. Oder deswegen die Arbeitsaufnahme zu verbieten. Auf keine Art und Weise kann nach geltender Rechtslage vor der rechtskräftigen Ablehnung Druck auf die Asylsuchenden zur Paßbeschaffung ausgeübt werden.

Lachhafte Sanktionsmöglichkeiten der Verwaltung

Und nach Ablehnung ihres Antrages steht der Verwaltung die lachhafte Möglichkeit offen, Taschengeld zu kürzen oder die Arbeitsaufnahme zu untersagen. Und auch das geschieht nur äußerst selten, denn diese Verfügungen verursachen Arbeit, welche von den unterbesetzten und überforderten Ausländerbehörden nur selten zu leisten ist. Soll dann doch einmal eine solche Sanktion verhängt werden, wird diese von ehrenamtlichen Helfern, Anwälten und auch der politischen Führung der Kommune, bei der die Ausländerbehörde angesiedelt ist, noch vor der Abfassung zerpflückt.

Trotzdem werden auch im demotivierten deutschen Abschiebesystem, dessen Mitarbeiter in ständiger Angst davor leben und arbeiten müssen, daß ihnen Behördenleitung, Ministerium, Petitionsausschüsse oder Härtefallkommissionen in den Rücken fallen, Verfahren bis zur „Abschiebereife“ geführt. Jedoch ist das Ende des Hürdenlaufs dann oft nicht erreicht.

Zahl der Tricks zur Aufenthaltserschleichung ist Legion

Denn gerade in Dublin-Verfahren, bei denen in andere europäische und damit sichere Drittstaaten abgeschoben werden soll, werden die Behörden nicht selten vom Richter belehrt, daß Überstellungsfristen abgelaufen seien oder daß im europäischen Partnerland „systemische Mängel“ herrschten, die ein Selbsteintrittsrecht des deutschen Wohlfahrts- und Wohlfühlstaates notwendig machten. Insoweit sind nicht nur Ungarn und Griechenland No-go-Areas für Abschüblinge; wer beispielsweise eine Familie mit Kindern nach Italien abschieben will, muß sich vergewissert haben, daß für die Kinder Betreuungs- und Unterbringungsmöglichkeiten vorhanden sind.

Die Zahl der Tricks, Tips und Trips, mit denen ein Asylbewerber sich in Deutschland einen Daueraufenthalt erschleichen kann, ist Legion und fast so unendlich groß, wie der politische Wille zur Durchsetzung oder gar Verschärfung geltenden Abschieberechts klein ist. Kaum einer der dafür politisch Verantwortlichen will an diesem Zustand etwas ändern. Im Gegenteil, der Phantasie der Bundesländer, ihren „Schützlingen“ den weiteren Aufenthalt zu ermöglichen, ist keine Grenze gesetzt, egal ob mit Abschiebestopp-Erlassen, mit  personellem Aushungern der Abschiebebehörden oder der Formulierung von Verwaltungsvorschriften. Abschiebungen in Deutschland durchzuführen: es wäre die Aufgabe für den Sisyphos der Neuzeit.

JF 24/16

Demonstration in Freiburg gegen Abschiebungen (Archivbild) Foto: picture alliance/Winfried Rothermel
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