Selbst das von Karl Lauterbach geführte Bundesgesundheitsministerium (BMG) kann oder will die Behauptungen des Sozialdemokraten nicht mehr stützen. „Aussagen des Ministers kommentieren wir nicht,“ schreibt die Pressestelle des BMG auf Anfrage der JUNGEN FREIHEIT. Dabei war die gestellte Frage eigentlich simpel: Mit welchen Studien belegt Lauterbach die zuvor medial verbreitete Erkenntnis, „daß angesteckte Geimpfte schneller Symptome zeigen als angesteckte Ungeimpfte“?
Auf einer Bundespressekonferenz Ende August zum Infektionsschutzgesetz hatte der Minister mal wieder höchstfragliche Behauptungen aufgestellt: „Bei Geimpften ist es so, daß man oft schon Symptome hat, bevor man überhaupt ansteckend ist.“ Dies sei so, weil die Impfung dazu führe, daß der Körper schneller reagiere. „Das ist übrigens auch einer der Gründe, weshalb die Impfungen die Pandemie begrenzen“, führte der Professor aus. Geimpfte blieben so schneller nach der Ansteckung zu Hause. Die für die Ansteckungswahrscheinlichkeit wichtige Viruslast sei da oftmals noch nicht so hoch. „Das ist bei Ungeimpften ganz anders. Bei Ungeimpften ist zuerst die Viruslast sehr hoch und dann kommen die Symptome“, glaubte der Minister zu wissen.
Nach mehrfacher Ermahnung antwortet das Ministerium
Ganze drei Wochen ließ sich das BMG Zeit für seine Antwort. Erst mehrmalige Nachfragen führten zu einer Reaktion, die jedoch mehr Fragen aufwirft, als sie beantwortet. Das Ministerium läßt Lauterbachs Aussagen unkommentiert, sendet aber trotzdem „einige Studien zum Thema“ mit. Die erhaltene Antwort ist die Reaktion auf eine Anfrage vom 25. August 2022. Sie ist ein weiteres Eingeständnis, daß der Minister sich die Studienlage hindreht, wie er es braucht. Wer, wenn nicht wenigstens seine unterstellten Beamten, sollen die Corona-Politik noch nachvollziehen können? Zum Unbill von Lauterbach dürfte allerdings die Tatsache betragen, daß das BMG es nicht bei der Absage an eine Kommentierung belassen hat.
Was ist nun das Problem mit den mitgeschickten Studien? Keine davon beweist tatsächlich, ob geimpfte Corona-Erkrankte tatsächlich schneller Symptome entwickeln als Ungeimpfte. Es wirkt, als sei einfach kein Beleg der Behauptungen Lauterbachs aufzutreiben gewesen. Aufgeführt werden drei wissenschaftliche Arbeiten, die die Pressestelle des Bundesgesundheitsministers freundlicherweise auch gleich zusammenfaßt.
Studien könnten Lauterbachs Aussagen beweisen
In der ersten Studie behandelte eine Gruppe von US-Wissenschaftlern aktuelle Informationen zum Krankheitsverlauf, zur Immunreaktion, und zu Impfstoffen und Behandlung bei Alphaviren – ein anderer Stamm von RNA-Viren. Damit könne man belegen, daß ein Teil der Krankheitssymptome auf die Immunantwort zurückzuführen ist, schreibt das BMG. „Wenn dies im frühen Infektionsverlauf auftritt, besteht möglicherweise nur eine niedrige Viruslast. Später im Infektionsverlauf, wenn auch die Viruslast steigt, können dann die Erregerbezogenen respiratorischen Symptome wie Husten und Halsschmerzen auftreten.“ Diese Studie belegt aber höchstens die Möglichkeit, daß Lauterbachs Aussage stimmen könnte.
Die zweite Studie aus der Schweiz erklärt das BMG so: „Kürzlich konnte gezeigt werden, daß eine Impfung die Lasten mit infektiösen Viren bei Breakthrough-Infektion signifikant reduziert.“ Eine Breakthrough-Infektion ist eine Ansteckung trotz Impfung. Schweizer Forscher haben in Genf die infektiöse Viruslast bei ungeimpften und geimpften Personen unter der Wuhan-, der Delta- und der Omikron-Variante des SARS-CoV-2 verglichen. Laut der Studie ist die Viruslast bei geimpften Menschen geringer. Über die Selbstisolation der Angesteckten ist auch hier keine Information enthalten.
Ähnliche Fälle sind dokumentiert
Als dritter möglicher Beleg wird ein „Preprint“ – also eine noch nicht von anderen Wissenschaftlern gegengelesene Studie – aus der Berliner Charité angeboten. Der Studie zufolge weisen Geimpfte eine verkürzte Inkubationszeit auf. Die Zeit zwischen Ansteckung und dem Auftreten der ersten Symptome könnte also verringert sein. Bei näherer Betrachtung wird allerdings klar, daß hier nicht die Impfung sondern der tatsächliche Antikörperstatus als Vergleichspunkt herangezogen wird. Das heißt, Geimpfte und Menschen, die bereits eine Infektion durchgemacht haben, weisen möglicherweise eine kürzere Zeit von der (Wieder)-Ansteckung bis zum Ausbruch der Symptome auf.
Ähnliche Erfahrungen mit dem BMG haben jüngst auch schon Journalisten Tim Röhn von der Welt und Andrej Hunko von der Linkspartei gemacht. Röhn fragte bezüglich eines Tweets von Lauterbach zu einer Aussage im sogenannten Faktenbooster – einer Millionen Euro teuren Werbekampagne für die Impfung. „Der zweite Booster schütze vor Hirnschäden“, hieß es dort und wie im Fall der JF antwortete das BMG erst gar nicht und dann umso erstaunlicher.
BMG muß hinter dem Minister aufräumen
„Die Aussage von Herrn Lauterbach kann man auf Ergebnisse mehrerer Studien stützen“, zitiert Röhn das BMG und schreibt, daß dies letztlich die fraglichen Studien nicht mitsendet. Auch gegenüber der Welt argumentiert das BMG weiter: Aus den Arbeiten sei „abzuleiten, daß eine vollständige Immunisierung in Bezug auf Long COVID vorteilhaft sein könnte“. „Könnte,“ kommentiert Röhn süffisant.
Ebenfalls zum Faktenbooster hakte der Linken-Abgeordnete Andrej Hunko in der Fragestunde im Bundestag nach, auf welche Evidenz sich die Aussage stütze, daß „etwa zehn Prozent der in Deutschland erkrankten Personen aufgrund eines schweren Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt“ werden.
„Dieser Satz ist mißverständlich“, erklärte ein Sprecher des BMG. Es müsse vielmehr richtig heißen, daß „bis zu zehn Prozent“ der in Deutschland erkrankten Personen aufgrund eines schweren Covid-19-Verlaufs im Krankenhaus behandelt wurden. „Aktuell liegt der Anteil laut RKI deutlich niedriger – und zwar zwischen vier bis fünf Prozent.“ Die Kampagne habe man korrigiert. Bis das Ministerium hinter Lauterbach abermals vermeintliche Fakten ausbessern muß, ist es wohl nur eine Frage der Zeit.