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Geschichtspolitik: Flucht, Vertreibung, Verzerrung

Geschichtspolitik: Flucht, Vertreibung, Verzerrung

Geschichtspolitik: Flucht, Vertreibung, Verzerrung

Vertreibung der Deutschen 1945: Die deutschen Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges werden bei der Stiftung immer mehr ausgeklammert.
Vertreibung der Deutschen 1945: Die deutschen Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges werden bei der Stiftung immer mehr ausgeklammert.
Die deutschen Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges werden bei der Stiftung immer mehr ausgeklammert Foto: picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection
Geschichtspolitik
 

Flucht, Vertreibung, Verzerrung

Im Dokumentationszentrum„Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ ist an alle und doch niemanden gedacht – schon gar nicht die deutschen Vertriebenen. Dafür feiern sich die Verantwortlichen in einer neuen Broschüre. Eine Analyse von Stefan Scheil.
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In den heftigen geschichtspolitischen Debatten der 1990er Jahre entwickelte sich neben manch anderen Vorhaben auch der Gedanke, der deutschen Nation einen Ort zur Aufarbeitung der nationalen Katastrophe von 1945 zu geben. Dieser Ort sollte sich, im Grundgedanken der Versöhnung, vor allem der Vernichtung deutschen Lebens auf einem Viertel des früheren Siedlungsgebietes widmen. Damit war die in Deutschland stets etwas verharmlosend sogenannte „Vertreibung“ gemeint. Getragen wurde dieses Vorhaben seinerzeit vor allem von Erika Steinbach als CDU-Bundestagsabgeordnete und Präsidentin des Bundes der Vertriebenen, zusammen mit SPD-Generalsekretär Peter Glotz. Dies geschah unter dem Stichwort „Zentrum gegen Vertreibung“.

Jahrzehnte später ist aus diesem Projekt heraus inzwischen eine Ständige Ausstellung in einem Dokumentationszentrum entstanden, das von einer Bundesstiftung mit dem Namen „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ betrieben wird. Es liegt dazu jetzt ein Katalog vor, gefördert von der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien, also der Grünen-Politikerin Claudia Roth.

Die deutsche Perspektive muß weichen

Schon der Wechsel in Namen und Parteibindung deutet an, wie sehr das ursprüngliche Projekt durch den politischen Fleischwolf gedreht wurde. Das von Steinbach und Glotz initiierte Zentrum wurde zeitgleich mit dem Antritt der Bundesregierung Schröder/Fischer 1998 zur Bundessache erklärt, als parallel dazu die finanzielle Ausstattung der bisherigen Vertriebenenorganisationen in Richtung Null gesetzt wurde. Es folgte jahrelanges Gezerre, da vor allem aus Polen lebhaft Mitsprache an dem eingefordert wurde, was in Berlin präsentiert werden würde.

Die heutige Stiftungsleiterin Gundula Bavendamm deutet das im Vorwort des Ausstellungskatalogs an. Im Mittelpunkt der Präsentation steht jetzt im Endstadium keine deutsche, sondern „eine europäische Geschichte“. Das geschieht in einer sehr weiten Auslegung des Begriffs, die sich teilweise auf den Nahen Osten erstreckt und auch auf die Migrantenströme des Jahres 2015. Kurz gesagt: Alles wird mit allem vermischt, bis die Kernfrage im Nebel zu verschwinden droht.

So haben die Ausstellungsmacher denn auch bezeichnenderweise Schwierigkeiten mit dem Begriff deutsch selbst. Allen Ernstes wird eine Karte mit „deutschen Siedlungsgebieten in Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa“ präsentiert, auf der von den Sudetengebieten über Ungarn und Rumänien bis an die Wolga solche Gebiete verzeichnet sind. Es fehlt jedoch Österreich. In Eger, in Brünn und der Gottschee wohnten also Deutsche und werden brav registriert, in Linz und Wien aber nicht. So kann man natürlich auch versuchen, die deutsche Nation der Kriegszeit zu dekonstruieren, demonstriert aber eher noch einmal unfreiwillig, daß die Verbreitung von Desinformation über die Konflikte und die Frontstellungen der Weltkriegsära weiterhin zum täglichen Geschäft der offiziellen bundesrepublikanischen Geschichtspflege gehört.

Stellenweise wird Vertreibung als „Realpolitik“ gebilligt

Eigentlich steht zur Beschreibung der Tatsachen statt „Vertreibung“ seit eh und je der Begriff des Völkermords im Raum. Das wissen auch die Ausstellungsmacher und widmen dieser Frage einen eigenen Abschnitt. Vertreibungen, so lassen sie wissen, könnten auch in Völkermord abgleiten. Da fallen ihnen als erstes Beispiel allerdings nicht Millionen Vertriebene und Hunderttausende 1945 getötete Deutsche ein, sondern die afrikanischen Hereros. An denen habe das Deutsche Kaiserreich den „ersten Völkermord des zwanzigsten Jahrhunderts zu verantworten“. Sodann geht es in der Beispielreihe weiter, über die türkischen Armeniermassaker hin zu den nationalsozialistischen Taten während des Zweiten Weltkriegs. Andere Beispiele fehlen. Was allerdings nicht fehlt, ist die Andeutung deutscher Verantwortung auch im Fall der Armenier.

Auf der anderen Seite werden verschiedene Anläufe unternommen, vergangene Vertreibungsverbrechen stillschweigend nahezu zu billigen, wenn sie nur von der politisch korrekten Seite ausgegangen sind. So erfährt der Leser mit Blick auf den türkisch-griechischen Krieg Anfang der 1920er Jahre, „die internationale Politik akzeptierte gegenseitige Vertreibungen als realpolitische Lösung“. Und in weiterer Steigerung: „Bis nach dem Zweiten Weltkrieg galten Zwangsumsiedlungen in der internationalen Politik als probates Mittel zur Lösung ethnischer Konflikte.“ Als Beispiel wird an dieser Stelle Winston Churchills öffentliche Rechtfertigung des kommenden Endes deutschen Lebens in Ostpreußen aus dem Jahr 1944 genannt. Immerhin werden dann im Katalog leise Zweifel am Erfolg dieser Methode angemeldet, da es schließlich weiterhin und bis heute türkisch-griechische Konflikte gebe.

Wenn Zwangsumsiedlung aber bis nach 1945 selbst im demokratischen Westen als ein schlicht „probates Mittel“ gegolten habe, was bleibt dann eigentlich von der einführenden Behauptung übrig, „Flucht und Vertreibung sind historisch, politisch und moralisch nicht von den deutschen Verbrechen zu trennen“? Wo genau sind die Moral und die Differenzen zu finden, wenn Stalin, Roosevelt und Churchill sozusagen in probater Weise die Vernichtung und Neuschaffung einer Zufallsauswahl von ethnischen Siedlungsgebieten umsetzten, wie sie in den radikalsten Varianten des nationalsozialistischen „Generalplans Ost“ für andere Gebiete geplant waren? Diese Assoziation kommt unwillkürlich, da sich die Ausstellung dann sogar einen nationalsozialistischen Standardbegriff der Siedlungspolitik zu eigen macht: Ordnung.

Das Ausstellungsprojekt ist restlos unbrauchbar

„Neuordnung durch Vertreibungen“ heißt das entsprechende Kapitel über die Nachkriegszeit. Darin wird völlig unkritisch referiert, die tschechische Exil-Regierung hätte schon ab 1940 „rechtliche Grundlagen“ für die spätere Zerstörung der sudetendeutschen Siedlungsstruktur geschaffen. Über die moralische und völkerrechtliche Tragfähigkeit solcher angeblichen Grundlagen fällt hier kein Wort, wie auch weder die tschechischen noch die polnischen Eroberungs- und Vertreibungspläne gegenüber Deutschen aus der Vorkriegszeit in der Ausstellung thematisiert werden. Es ist jedoch empirisch falsch, solche Pläne in zeitlicher Umkehrung lediglich als Konsequenz der Kriegszeit darzustellen. Wer aber weder die politische noch die juristische oder die moralische Dimension des Völkermordes nach 1945 umfassend ansprechen will, der sollte ein solches Projekt doch eher anderen überlassen.

Nun soll damit nicht gesagt werden, das Ausstellungsprojekt als solches sei restlos unbrauchbar. Es spricht tatsächlich viele Fragen wenigstens überhaupt einmal an. Auch führen die Ausstellungsmacher einige persönliche Schicksale von Vertriebenen an und können die Zustimmung betroffener Ausstellungsbesucher und Zeitzeugen zu ihrem Konzept zitieren. 

Im Ergebnis glauben die Verantwortlichen jedenfalls, mit ihrer Produktion das letzte Wort gesprochen und den Streit über einen Ort zur öffentlichen Erinnerung an die Vertreibung zu einem „Abschluß“ gebracht zu haben. Doch legt man den Ausstellungskatalog mit reichlich gemischten Gedanken beiseite. Versöhnliche sind eigentlich kaum dabei.

Aus der JF-Ausgabe 06/25. 

Die deutschen Vertriebenen des Zweiten Weltkrieges werden bei der Stiftung immer mehr ausgeklammert Foto: picture alliance / Everett Collection | Courtesy Everett Collection
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