Anzeige
Anzeige

Vorabdruck: Die deutsche Rechte „zwischen Reich und Republik“

Vorabdruck: Die deutsche Rechte „zwischen Reich und Republik“

Vorabdruck: Die deutsche Rechte „zwischen Reich und Republik“

Auf dem Foto befindet sich Historiker Karlheinz Weißmann, der mit „Zwischen Reich und Republik“ ein Standard-Werk zur politischen Nachkriegsrechten vorlegt. Daneben dargestellt wird das Cover. (Themenbild/Collage)
Auf dem Foto befindet sich Historiker Karlheinz Weißmann, der mit „Zwischen Reich und Republik“ ein Standard-Werk zur politischen Nachkriegsrechten vorlegt. Daneben dargestellt wird das Cover. (Themenbild/Collage)
Historiker Weißmann, Buchtitel: „Sogar die FDP warb damals mit ‘Rechts ran!‘“, Foto: Derksen/JF JF-Montage
Vorabdruck
 

Die deutsche Rechte „zwischen Reich und Republik“

Von wegen „linkes Land“: In seinem neuen Standardwerk zur Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten rechnet Karlheinz Weißmann mit zahlreichen Mythen ab. Die JUNGE FREIHEIT veröffentlicht einen exklusiven Auszug.
Anzeige

Die Lage ist unübersichtlich. Auf der einen Seite wird „die Rechte“ in Deutschland mit einer Vehemenz bekämpft, die alles überbietet, was man bei entsprechenden Kampagnen seit den 1990er Jahren erlebt hat. Dabei geht ein von der örtlichen Antifa über das Juste Milieu bis in die Regierung reichendes Bündnis mit einer Undifferenziertheit vor, die den Eindruck erweckt, als ob es in Wirklichkeit nicht um die Verhinderung eines „neuen ’33“, sondern darum geht, „ein ganzes Segment von Anschauungen, Wertüberzeugungen, Lebensgewohnheiten zu delegitimieren“ und für „die eigenen politischen Überzeugungen ein Legitimitätsmonopol zu etablieren“.

Auf der anderen Seite ist seit Beginn des Jahres 2023 in Deutschland eine erstaunlich sachliche Debatte über „die Rechte“ zu beobachten. Sie unterscheidet sich von früheren dadurch, daß es weniger um die hysterische Beschwörung der „braunen Gefahr“, eher um den Versuch geht, das unerwartete Erstarken rechter oder rechtspopulistischer Parteien zu begreifen, die wie der Rassemblement National in Frankreich, die spanische Vox, die Schwedendemokraten, die Basisfinnen, die Nationale Allianz und die Vereinigte Liste in Lettland, die Lega oder die Fratelli d’Italia nicht nur Wählerstimmen gewinnen, sondern an die Macht drängen.

In Spanien, Italien, Finnland und Lettland konnte der entscheidende Schritt bereits vollzogen werden, in Schweden ist eine bürgerliche Minderheitsregierung auf die Duldung der Schwedendemokraten angewiesen. Für viele Beobachter ist diese Entwicklung um so verstörender, als sie gleichzeitig registrieren, daß Politiker wie Viktor Orbán in Ungarn eine Art „illiberaler Demokratie“ so erfolgreich entwickelt haben, die auf breite Unterstützung setzen können. Das alles widerspricht der Erwartung derer, die bisher glaubten, daß das, was sie als „Fortschritt“ betrachten, immer nur eine Richtung kennt: nach links. Damit scheint es vorbei zu sein.

Die AfD bildet je länger je mehr den einzigen Widerstandsfaktor

Was auch die Entwicklung der Alternative für Deutschland (AfD) in ein anderes Licht rückt. Noch zu Beginn der 2020er Jahre waren selbst manche ihrer Sympathisanten überzeugt, daß die AfD ihre Zukunft bereits hinter sich habe. Die massive Bekämpfung durch staatliche wie parastaatliche Akteure, der Abgang von Führungspersonal – im Lauf der Zeit haben immerhin vier ihrer Bundessprecher der AfD den Rücken gekehrt –, permanente innere Streitigkeiten und der eine oder andere Skandal schienen für ein Schicksal zu sprechen, wie es alle Gruppierungen rechts der Mitte in den letzten Jahrzehnten erlitten hatten.

Doch diese Einschätzung war wohl verfrüht. In den Umfragen überholte die Alternative zuerst die Grünen, dann die Sozialdemokraten, begann sich auf Bundesebene dem Stimmenanteil der Union zu nähern und ihn im Osten – in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern – sogar zu überbieten. Dabei spielte der wachsende Unmut über die schlechte Arbeit der „Ampelkoalition“ eine Rolle, aber auch die Beobachtung, daß CDU und CSU keine echte Opposition bildeten, sondern die Regierung schonten, um sich nicht die rasche Rückkehr an die Macht zu verbauen. So erschien die AfD je länger je mehr als einziger Widerstandsfaktor gegen ein Kartell der „Altparteien“, die „Energiewende“, hemmungslose Ausgabenpolitik und den Plan, die Bevölkerung im Sinne „woker“ Ideologie umzuerziehen.

Deutschland war nie ein wirklich linkes Land

Aber auch diese Faktoren hätten wohl nicht genügt, um die Partei auf einen stabilen Sockel von 20 Prozent der Befragten zu bringen. Hier spielte auch der Realitätsschub eine Rolle, den Corona-Krise, Ukrainekrieg und die Aufstände in den französischen Städten auslösten. Vorgänge, die einen Mentalitätswandel eingeleitet haben.

Dessen notwendige Konsequenz formulierte der Journalist Patrick Bahners – alles andere als ein Parteigänger der politischen Rechten – dahingehend, es müßte nun „Kongresse über die Aussichten rechter Politik so selbstverständlich geben wie im akademischen Umfeld linker Parteien solche über linke Perspektiven. Dann müßte der rechte Flügel der Union sich organisieren. Und dann müßten CDU und CSU ein Interesse an einer rechten Konkurrenzpartei haben, wie es der SPD nutzt, daß es Parteien links von ihr gibt, die erstens als Bündnispartner bereitstehen und zweitens die kulturelle Plausibilität des linken Projekts dadurch belegen, daß sie die SPD als nicht links genug kritisieren.“

Flankiert wird diese Einschätzung von der eines Unionspolitikers, der nüchtern feststellte, daß „Deutschland kein linkes Land mehr“ ist. Allerdings war Deutschland, wenn überhaupt, dann nur für relativ kurze Zeit ein „linkes Land“. Eine Feststellung, die gilt, obwohl regelmäßig behauptet wird, der Begriff „rechts“ sei aufgrund der Belastung durch den Nationalsozialismus seit jeher tabu gewesen.

Karlheinz Weißmann: Zwischen Reich und Republik. Geschichte der deutschen Nachkriegsrechten. 325 Seiten, JF-Edition. Jetzt im JF-Buchdienst bestellen.

Die nationalistische Rechte war von Beginn an marginalisiert

Eine Annahme, die relativ rasch widerlegt werden kann. So kommentierte die Times das Ergebnis der ersten Bundestagswahl am 14. August 1949 mit der lapidaren Feststellung „Erfolg der Rechten“, und dem dürfte kaum ein Zeitgenosse widersprochen haben. Denn der „Erfolg“, von dem die Beobachter in London sprachen, war der des „antimarxistischen“ oder „Bürgerblocks“, bestehend aus der Christlich Demokratischen Union (CDU), ihrer bayerischen „Schwester“, der Christlich-Sozialen Union (CSU), der Deutschen Partei (DP) und der Freien Demokratischen Partei (FDP); später trat noch der Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) hinzu.

Diese Rechte sollte für zwei Jahrzehnte die bestimmende politische Kraft Westdeutschlands sein. Zu betonen ist, daß es sich um eine gemäßigte Rechte handelte. Sie grenzte sich gegenüber der „Nationalen Opposition“ ab, die ein zwar breites, doch einflußloses Spektrum von der Deutschen Rechtspartei (DRP*) über die Deutsche Reichspartei (DRP) und diverse nationalneutralistische Gruppen bis zur Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) umfaßte. Und sie zog eine noch schärfere Trennlinie gegenüber den Ultras – in den Reihen der Sozialistischen Reichspartei (SRP) oder der Neo-Nationalsozialisten –, die immer von Verboten bedroht und marginalisiert blieben.

Die Ursache dafür ist unschwer festzustellen, obwohl das herrschende Geschichtsbild anderes behauptet: Das deutsche Volk in seiner ganz überwältigenden Mehrheit wollte „nichts mehr mit Hitler zu schaffen haben […] Die Menschen fühlten sich wirklich von ihrem Führer verraten und mit Recht.“

Die frühe Nachkriegsrechte war konsequent antitotalitär

Wenn trotz dieser deutlichen Fraktionierung von einer relativen Einheit der Nachkriegsrechten ausgegangen wird, geschieht das nicht in denunziatorischer Absicht. Es geht vielmehr um die möglichst exakte Beschreibung und Analyse eines historischen Phänomens, das zwar durch innere Vielgestaltigkeit, auch Gegensätzlichkeit, gekennzeichnet war, doch einen politischen Minimalkonsens teilte, der sie von der Mitte wie der Linken trennte und sich folgendermaßen umreißen läßt:

  • Die Strömungen der Nachkriegsrechten hielten an dem fest, was man die Axiome rechter Weltanschauung nennen kann, also ein skeptisches Menschenbild, das agonale Verständnis der Geschichte, den Vorrang des Ordnungsprinzips, die Ablehnung des Egalitarismus; man sah sich in ihren Reihen keineswegs historisch widerlegt. (…)
  • Der Kollaps des NS-Regimes wurde von der Nachkriegsrechten mehrheitlich als Scheitern des Kollektivismus gewertet. Sieht man von den „Vernagelten“ ab, war die Nachkriegsrechte antitotalitär, aber in erster Linie antikommunistisch und antimarxistisch, insofern als man die Überzeugung teilte, daß die Sozialdemokratie Moskau den Weg bereite.

Hinzu kam die Ablehnung der „Ideen von 1945“, der fortdauernden „Naziriecherei“ – eine Formulierung Konrad Adenauers (1876–1967) – und der Behauptung, es bedürfe einer Umerziehung, die praktisch die gesamte deutsche Tradition ausmerzen sollte. Man beharrte auf dem „Recht der Besiegten“, wies die „Wahnlehre von der Kollektivschuld“ zurück und verteidigte „Würde und Gleichberechtigung“ der Deutschen als „Kulturnation“. Dagegen fand das plumpe Vorgehen der Sieger ein ebenso scharfes Urteil wie die Eilfertigkeit der „Quisling-Naturen und Handlanger“ auf deutscher Seite, jene „eilfertigen Geister, die hämisch und ehrfurchtslos alles zu zerstören suchten, was in den letzten zweihundert Jahren sich aufgerichtet hatte an bleibender Erinnerung“.

Auf Tabubruch-Versuche wurde scharf reagiert

Diese Einschätzung erklärt die Generalkritik der Alliierten, das heißt nicht nur der Sowjets, sondern auch der Westmächte, wegen der Inanspruchnahme moralischer Überlegenheit, die man ihnen nicht zubilligte, weil sie durch die Anordnung oder Duldung von Massenmorden und -vertreibungen, gewaltsame Grenzänderungen und Aufhebung rechtsstaatlicher Normen versagt hatten. Mit außerordentlicher Schärfe stellte Hans-Joachim ­Schoeps (1909–1980), ein deutsch-jüdischer Remigrant, dessen Eltern der „Endlösung“ zum Opfer gefallen waren, 1949 fest: „Haben die Bolschewiki, deren Hände vom Blut triefen (vom Zaren Nikolaus bis zu Trotzkij), die heuchlerischen Engländer, die Geldsack-Amerikaner ein Recht zu Gericht zu sitzen? Sie haben es nicht; es ist nicht ihr Verdienst, daß Gott sie zur Zuchtrute bestimmt hat.“

Angesichts der Bedeutung der Nation als entscheidendem Bezugspunkt verstand sich für die Nachkriegsrechte von selbst, daß Wiedervereinigung – unter Einschluß der Ostgebiete – und Wiederherstellung eines souveränen Staates zu den vorrangigen Zielen deutscher Politik gehörten. Das bedeutete nicht nur, daß man der „Zone“, dann der DDR die Anerkennung verweigerte, sondern auch, daß der provisorische Charakter der westdeutschen Verfassung betont wurde. (…)

Wer sich im Rahmen der genannten Vorstellungen bewegte, vertrat in der Nachkriegszeit eine als legitim betrachtete Position. Auf Grenzverletzungen wurde allerdings scharf reagiert. Das galt vor allem, wenn die Kritik an der „Scheinwelt von 1945“ dazu führte, auch den Aufbau oder das Existenzrecht des westdeutschen Staates in Abrede zu stellen, die „Rassenfrage“ aufgeworfen oder das NS-Regime gerechtfertigt oder die historische Verantwortung Hitlers in Abrede gestellt wurde. Positionen, die von den Ultras mehr oder weniger unverhohlen vertreten wurden, aber schon in der Nationalen Opposition umstritten waren.

Aus der JF-Ausgabe 48/24.

Historiker Weißmann, Buchtitel: „Sogar die FDP warb damals mit ‘Rechts ran!‘“, Foto: Derksen/JF JF-Montage
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag