Vor 75 Jahren, am 22. März 1946, wurde in der Britischen Besatzungszone die Deutsche Konservative Partei – Deutsche Rechtspartei (DKP*-DRP*) gegründet, in der „alle konservativ, christlich und national eingestellten Deutschen ihre politische Heimstatt finden“ sollten. Sie entstand aus der Vereinigung der bereits im Vorjahr gebildeten Deutschen Konservativen Partei (DKP*) und der Deutschen Aufbau-Partei (DAP*).
Erstere wandte sich bevorzugt an frühere Mitglieder der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), der Deutschen Volkspartei (DVP) und des Stahlhelms. Letztere war ein buntscheckiger Zusammenschluß von Völkischen, Monarchisten und Anhängern deutsch-sozialer Ideen.
Für die Entscheidung der Besatzungsbehörden, der DKP* und der DAP* überhaupt Lizenzen zu erteilen, gab den Ausschlag, daß deren führende Köpfe – Otto Schmidt-Hannover und Reinhold Wulle – zwar der politischen Rechten zuzuordnen waren, aber nicht zu den „Belasteten“ gehörten. Schmidt-Hannover, einer der engsten Vertrauten des DNVP-Vorsitzenden Alfred Hugenberg, hatte die Koalition mit den Nationalsozialisten für einen fatalen Fehler gehalten, den ihm von Hitler angebotenen Kabinettsposten abgelehnt und sich nach 1933 ins Privatleben zurückgezogen.
Anders lag der Fall Wulles. Dessen unversöhnliche Feindschaft gegenüber Hitler resultierte daraus, daß er meinte, selbst der berufene Führer der völkischen Bewegung zu sein und auf die Idee einer Restauration des Kaiserreichs fixiert war. Auch nach der „Nationalen Revolution“ hielt er unbeirrt an seinen Vorstellungen fest und geriet immer wieder in Konflikt mit dem Regime. 1938 wurde Wulle aus der Reichsschrifttumskammer ausgeschlossen, dann zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und zuletzt für mehrere Jahre im KZ Sachsenhausen inhaftiert.
„Für das Volk ohne Raum und Brot, ohne Staat und Flagge“
Schon wenige Wochen nach der Kapitulation der Wehrmacht hatte Schmidt-Hannover mit Hans Zehrer, vormals Herausgeber der einflußreichen Wochenschrift Die Tat, ein „Manifest der Rechten“ oder „Konservatives Manifest“ in Umlauf gebracht. Auch Zehrer gehörte zu den Gegnern Hitlers, was ihm (zusammen mit der Weigerung, sich von seiner jüdischen Ehefrau scheiden zu lassen) in der NS-Zeit ein Berufsverbot als Journalist einbrachte.
Mit Schmidt-Hannover verband ihn die Überzeugung, daß man den Zusammenbruch nicht nur als militärische Niederlage zu verstehen habe, sondern als geschichtliches Urteil gegen Kollektivismus wie Massendemokratie. An ihre Stelle sollte etwas anderes, eine „organische“ Staatsform, treten.
Das „Manifest“ nahm zwar auch zu praktischen Fragen Stellung, wie der Bildung einer deutschen Exekutive, dem föderativen Aufbau des Reichs und der Wiederherstellung der Monarchie. Aber im Zentrum stand für Schmidt-Hannover und Zehrer eine grundsätzliche Frage: „Für das Volk ohne Raum und Brot, ohne Staat und Flagge, geht es heute um mehr als um Organisationsformen und Sozialisierungsfragen. Es geht um den innersten Entscheid jedes Deutschen zur Umkehr und sittlichen Erneuerung.“
Im Oktober 1945 nahm die DKP* das „Manifest“ als ihr Programm an. Aber es zeigte sich rasch, daß die Vorstellung, man könne eine breite konservative Sammlung zustande bringen, unrealistisch war. Eine wesentliche Ursache dafür lag in der Beschädigung oder Zerstörung aller sozialen Strukturen, auf die sich die traditionelle Rechte einmal hatte stützen können, eine zweite in der Konkurrenz zu den Parteien des sogenannten „Bürgerblocks“.
Als die Londoner Times am 16. August 1949 das Ergebnis der ersten Bundestagswahl mit der Feststellung „Erfolg der Rechten“ kommentierte, hatte das jedenfalls nichts mit dem Stimmenanteil der DKP*-DRP* zu tun. Der „Erfolg“ war vielmehr einer der gemäßigten Rechten, die sich in erster Linie aus der Christlich-Demokratischen Union (CDU), ihrer bayerischen „Schwesterpartei“, der Christlich-Sozialen Union (CSU), der Freien Demokratischen Partei (FDP), der Deutschen Partei (DP) und dem Block der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE) zusammensetzte.
SPD blieb hinter Erwartungen
Der BHE war eine Klientelpartei der Flüchtlinge und tatsächlichen oder vermeintlichen Entnazifizierungsopfer. Was auch erklärt, warum er nach dem Einsetzen der wirtschaftlichen Erholung in der Bedeutungslosigkeit versank. Anders die CDU / CSU, die FDP und die DP, die für die beiden folgenden Jahrzehnte zu den bestimmenden politischen Kräften Westdeutschlands werden sollten.
Das hatte wesentlich damit zu tun, daß der „Erfolg der Rechten“ in erster Linie ein Mißerfolg der Linken – der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) und der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD) – war. Ein für zeitgenössische Beobachter unerwartetes Ergebnis. Zwar glaubte niemand, daß die KPD als „Russenpartei“ Aussicht auf Erfolg habe. Aber in der Sozialdemokratie sahen nach dem Ende des „Faschismus“ viele etwas wie die natürliche Regierungspartei eines demokratischen Deutschlands.
Sie konnte einerseits auf ihre Integrität hinweisen, die sie im Widerstand gegen das NS-Regime bewiesen hatte, und gleichzeitig mit der Forderung nach Planwirtschaft und Sozialisierung den „antikapitalistischen Affekt“ (Gregor Strasser) bedienen, der im Elend der ersten Nachkriegsjahre immer noch wirksam war. Hinzu kam, daß sich die SPD in dieser Zeit bei Verteidigung des nationalen Standpunktes von niemandem überbieten ließ.
Wenn sie 1949 trotzdem nur auf enttäuschende 29,2 Prozent der Stimmen kam, hatte das in erster Linie mit dem zu tun, was man Kollektivskepsis nennen könnte. Die Deutschen sahen mit Vorbehalten auf eine Partei, die unter roten Fahnen aufmarschierte, vom Marxismus nicht lassen wollte, in der Propaganda wie den Parlamentsdebatten zu scharfer, auch überscharfer Polemik neigte und einen moralischen Anspruch erhob, durch den sich viele verurteilt fühlten.
Demgegenüber hat es der Bürgerblock verstanden, auf die „Grundemotionen“ (Ernst Nolte) des Nachkriegsdeutschen Rücksicht zu nehmen: sein Sicherheitsbedürfnis, seine Sehnsucht nach Privatheit, seinen Widerwillen gegenüber jeder Art von Radikalismus. Daß die CDU / CSU bei der Bundestagswahl von 1957 mit dem Slogan „Keine Experimente“ antrat und die absolute Mehrheit der Stimmen – 50,2 Prozent – gewann, war insofern kein Zufall, sondern Konsequenz eines politischen Angebots, das auf große Teile der Bundesbürger attraktiv wirkte.
Umgekehrt scheiterte die DKP*-DRP* nicht nur daran, daß in ihr zu viele „Mandat-Süchtige, Spalter, Neugründer, Phantasten“ (Otto Schmidt-Hannover) den Ton angaben, sondern auch an einem latenten Gegensatz zwischen denen, die ein Zusammengehen mit dem Bürgerblock favorisierten und denen, die sich als „Nationale Opposition“ betrachteten. Was die erste Gruppe betraf, lief sie Gefahr, vom stärkeren Partner aufgesogen zu werden: Schon Ende 1947 existierte die DKP*-DRP* in ihrer Hochburg Schleswig-Holstein nicht mehr, da der Landesverband fast geschlossen zur DP übertrat. Kurz darauf folgte diesem Beispiel Hamburg, dann auch Nordrhein-Westfalen.
Faktisch war damit nur noch der niedersächsische Landesverband der DKP*-DRP* handlungsfähig. In seiner Führung hatte sich die „Nationale Opposition“ durchgesetzt. Sie planten, die Kräfte der DKP*-DRP* punktuell zu konzentrieren. Ein Kalkül, das anfangs aufzugehen schien. Im Spätherbst 1948 konnte die Partei bei einigen Kommunalwahlen spektakuläre Erfolge erringen.
In Wolfsburg fielen ihr fast zwei Drittel der Stimmen zu. Das hatte aber in erster Linie mit lokalen Besonderheiten zu tun. Wolfsburg war nationalsozialistische Musterstadt gewesen, dann Anziehungspunkt für eine große Zahl von Vertriebenen. Demütigung und Enttäuschung bestimmten die Wahlentscheidung mit, aber stärker noch Wohnungsnot, Verelendung, Verwahrlosung und steigende Kriminalitätsraten; „hier triumphiert der Radikalste“, hieß es in einem Kommentar des Spiegel, „und der Ostflüchtlinge wegen können das nicht die Kommunisten sein“.
Allerdings wußte die DKP*-DRP* ihren Triumph nicht zu nutzen. Was weniger am Wankelmut der Wähler lag, eher am Mangel geeigneter Parteivertreter und am massiven Widerstand der übrigen Parteien, die zuletzt dafür sorgten, daß das Wolfsburger Ergebnis kassiert wurde. Die Führung des niedersächsischen Landesverbandes hat das aber nicht irregemacht. Vielmehr zeigte sie sich je länger je mehr entschlossen, nicht nur um jeden „ehrlichen nationalen Sozialisten“, sondern auch um jeden Unbelehrbaren zu werben.
Wachsende Handlungsunfähigkeit
Eine Strategie, mit der sie allerdings gegen die Parteispitze stand, die im Vorfeld der ersten Bundestagswahl die Schaffung einer „großen Rechten“ unter Einbeziehung von FDP und DP ins Auge faßte. Erst nachdem diese Pläne gescheitert waren, sah man sich gezwungen, mit der nur in Hessen aktiven Nationaldemokratischen Partei (NDP) zu kooperieren. In Niedersachsen erzielte die so gebildete „Nationale Rechte“ immerhin 8,1 Prozent der abgegebenen Stimmen, auf Bundesebene reichte es aber nur für einen Anteil von 1,8 Prozent und fünf Abgeordnete, die man in den Bundestag entsenden konnte.
Aber nicht einmal die waren handlungsfähig, da die Auseinandersetzung zwischen den Lagern weiter schwelte. Während die Führung der DKP*-DRP* die aus Union, FDP und DP gebildete Regierung grundsätzlich zu stützen bereit war, forderten die Verfechter der „Wolfsburger Linie“ strikte Konfrontation. Zu ihnen gehörte neben dem niedersächsischen Landesvorsitzenden Fritz Rößler, der unter dem falschen Namen „Dr. Franz Richter“ auftrat, auch der Abgeordnete Fritz Dorls.
Rößler / Richter und Dorls hatten schon während des Wahlkampfes erkennen lassen, daß sie nicht länger bereit waren, die Autorität der Parteiführung anzuerkennen. Deutlich wurde das vor allem an ihrer Tendenz, zu „remern“. Ein Begriff der sich auf den ehemaligen Generalmajor Otto Ernst Remer bezog, der wesentlich zur Niederschlagung des Aufstands vom 20. Juli 1944 beigetragen hatte. Remer spielte eine immer stärkere Rolle in der Partei und zog alle an, die gegen deren „reaktionären“ Kurs standen und für das eintraten, was die Ultras als „klare sozialistische, aber antimarxistische Politik, verbunden mit einer kompromißlosen nationalen Haltung“ verstanden.
Eine Bereinigung des Konflikts zwischen den Parteiflügeln erwies sich als unmöglich. Ihrem Ausschluß kamen Rößler / Richter, Dorls und Remer durch Austritt zuvor und gründeten nach Aufhebung des Lizenzzwangs am 2. Oktober 1949 die „Sozialistische Reichspartei“ (SRP). Von der DKP*-DRP* blieb nur ein Rumpf, der im Januar 1950 als „Deutsche Reichspartei“ (DRP) reorganisiert wurde.
*Die Markierung wird verwendet, um Verwechslungen mit anderen – gebräuchlicheren – Parteikürzeln zu vermeiden
> Der Beitrag ist der Auftakt zu einer Serie des Autors über die deutsche Nachkriegsrechte. Der nächste Teil erscheint am Mittwoch.