Sie brachte den Sieg, aber noch nicht den Frieden. Sie stand am Ende eines Kaiserreiches und ebnete den Weg für ein neues. Für fast ein halbes Jahrhundert war sie Anlaß für patriotische Feiern und ist heute doch fast vergessen: die Schlacht von Sedan während des Deutsch-Französischen Kriegs von 1870/71, deren Ende sich am 2. September zum 150mal jährt.
Die Schlacht rund um die an der Maas nahe der belgischen Grenze gelegene alte Festungsstadt Sedan faßt wie in einem Brennglas die großen Linien des Krieges von 1870/71 zusammen: die taktischen und strategischen Mängel und das zögerliche, ja planlose Vorgehen auf französischer Seite ebenso wie die überlegene Führung und das entschlossene Handeln der deutschen Truppen durch den preußischen Generalstab unter Helmuth von Moltke.
Nach den verlustreichen Grenzschlachten bei Weißenburg, Wörth und Spichern Anfang August 1870 hatten die zum Entsetzen der Franzosen viel schneller als erwartet an der Grenze aufmarschierten deutschen Truppen alle Träume von einem Vorstoß der französischen Armee entlang des Mains nach Deutschland hinein zunichte gemacht.
Schleppende Mobilmachung
Die Armee des französischen Kaiserreichs hatte durch die verlorenen Grenzschlachten nicht nur die Initiative an die zahlenmäßig überlegenen deutschen Truppen verloren und war auf heimischem Territorium in die Defensive gedrängt worden, sie war auch in helle Unordnung geraten, wodurch das durch die mangelhafte und schleppende Mobilmachung sowieso schon bestehende Chaos während des Aufmarsches noch verstärkt wurde.
Mitte August spitzte sich die militärische Lage im Vorfeld der Schlacht von Sedan daher weiter zu: Der französische Marschall François-Achille Bazaine hatte sich auf Druck der vorrückenden deutschen Truppen mit seiner „Armée du Rhin“ auf die Festung Metz zurückziehen müssen.
Ein Erfolg, den das deutsche Heer allerdings mit immensen Verlusten erkauft hatte. Während die Franzosen 12.300 Tote und Verwundete vor Metz zu beklagen hatten, verzeichneten die deutschen 36.000 Mann an Verlusten. Durch die folgende Einkesselung der Armee in Metz, die erst im Oktober kapitulieren sollte, waren aber auf einen Schlag 130.000 französische Soldaten praktisch aus dem Spiel genommen.
Kompetenzwirrwar auf französischer Seite
Der Versuch der restlichen Armee unter Patrice de MacMahon, Bazaine noch zu Hilfe zu kommen, scheiterte am 30. August kläglich im Gefecht bei Beaumont, dessen Ausgang MacMahon zwang, sich Richtung Sedan zurückzuziehen, um seine Truppen neu zu ordnen.
Doch dieser Plan endete angesichts militärischer Unzulänglichkeiten und eines Kompetenzwirrwar auf französischer Seite im Desaster und der Einkesselung der französischen Truppen, zu denen mittlerweile auch der durch die Niederlagen innenpolitisch stark unter Druck geratene Kaiser Napoleon III. gestoßen war.
Bayerischen Truppen gelang es am 1. September südlich von Sedan, die Franzosen in blutigen und verlustreichen Häuserkämpfen aus der Ortschaft Bazeilles zu werfen und damit den Weg nach Sedan zu öffnen. Am westlichen Ende der Maasschleife gelangten preußische Einheiten zudem über die unzerstörte und unverteidigte Brücke von Donchéry auf die andere Flußseite. Dort marschierten sie in östlicher Richtung und standen bald im nördlich von Sedan gelegenen Floing, wodurch die Truppen MacMahons praktisch eingeschlossen waren.
Daran änderte auch der verzweifelte und zur Legende gewordene Versuch der französischen Kavallerie unter General Gaston de Gallifet nichts, die bei Floing gelegene wichtige Straße nach Mézières, wo ein weiteres französisches Armeekorps eingetroffen war, wieder freizukämpfen.
Frankreich militärisch das Rückgrat gebrochen
Nach einer halbstündigen Beschießung Sedans durch die deutsche Artillerie wurde in der Stadt schließlich die weiße Flagge gehißt. Die in den folgenden Stunden ausgehandelten Kapitulationsbedingungen führten zur Gefangennahme des Kaisers und der in Sedan befindlichen Truppen, insgesamt mehr als 83.000 Mann, darunter 39 Generäle und 2.830 Offiziere.
Da die Truppen von Marschall Bazaine in Metz eingekesselt waren, war die kaiserliche französische Armee praktisch geschlagen und dem Kaiserreich militärisch das Rückgrat gebrochen. Die nach der Niederlage von Sedan in Paris erfolgte Ausrufung der Republik sollte den Widerstand in Frankreich indes noch einmal anfachen.
Bereits nachdem sich die Nachricht über den Sieg der deutschen Truppen bei Sedan und die Gefangennahme des französischen Kaisers in den deutschen Staaten verbreitet hatte, kam es vielerorts in Deutschland zu spontanen Siegesfeiern. Schnell erwuchs daraus vor allem in national-konservativen Kreisen der Wunsch, einen Feiertag zu etablieren.
Feierliches Gedenken an die siegreiche Schlacht
So schlug beispielsweise 1872 der Pastor Friedrich Wilhelm Bodelschwingh den 2. September als Datum für ein Dank- und Friedensfest vor. Auch wenn der Sedantag trotz dieser und anderer Initiativen nie deutschlandweit offizieller Feiertag war, erfreute er sich bald vor allem beim Bürgertum großer Beliebtheit, und auch an Schulen und Universitäten wurde jährlich mit Feierstunden an die siegreiche Schlacht erinnert.
Der Sedantag war dabei immer mehr als ein Gedenktag an eine Schlacht, sondern erinnerte zugleich an die Reichsgründung von 1871, für die die Schlacht mit der Niederlage der kaiserlichen französischen Armee und die Gefangennahme Napoleons III. die militärischen Voraussetzungen geschaffen hatten.
Der eigentliche Gründungstag, der 18. Januar, traf als Reichsgründungstag bei Kaiser Wilhelm I. auf wenig Gegenliebe, da er befürchtete, daß dadurch die Erinnerung an die 1701 ebenfalls am 18. Januar begründete preußische Königswürde überlagert werden würde.
Erlaß von 1919, künftig auf Sedanfeiern zu verzichten
Gleichzeitig gab es immer wieder auch Widerstände gegen den 2. September, etwa bei der am Internationalismus orientierten Sozialdemokratie oder dem katholischen Milieu, das sich vor allem während des Kulturkampfes wenig für die „protestantischen“ Siegesfeiern begeistern konnte.
Seit der Jahrhundertwende nahm die Bedeutung des Sedantages dann insgesamt ab, um nach dem Ersten Weltkrieg schnell und endgültig seine Bedeutung zu verlieren. Die siegreiche Schlacht von 1870 wurde vollständig durch Deutschlands Niederlage im Weltkrieg überlagert.
Die patriotischen Feiern am Sedantag in der Vorkriegszeit waren angesichts der Not und des Elends und der politischen Unruhen der Nachkriegszeit nur noch eine Erinnerung an eine vergangene Zeit. Die Menschen hatten andere Sorgen, als einen Sieg zu feiern, der für die triste Gegenwart keinerlei Bedeutung mehr hatte. Folgerichtig verkündete das Reichsinnenministerium am 27. August 1919, daß es künftig keine Sedanfeiern mehr geben würde. Gelegentliche Versuche, die Erinnerung an die Schlacht dennoch wiederzubeleben, versandeten im Laufe der zwanziger Jahre weitgehend.
Heute ist der Sedantag in Deutschland praktisch vergessen. Und doch kehrte er vor einigen Jahren noch einmal für einen kurzen Augenblick zurück: Als 1993 am Deutschen Eck in Koblenz das Reiterstandbild Kaiser Wilhelms I., das am Ende des Zweiten Weltkriegs zerstört worden war, wieder aufgestellt wurde, fiel der Tag, an dem ein Kran die von einem Privatmann initiierte und finanzierte Kopie des Denkmals auf den Sockel an der Mündung der Mosel in den Rhein hob, ausgerechnet auf den 2. September. In Deutschland erregte das geschichtsträchtige Datum kaum Aufsehen – in Frankreich jedoch wurde dieser „Zufall“ durchaus registriert.
JF 36/20