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Zweiter Weltkrieg: Sieg, Zäsur und Tragödie

Zweiter Weltkrieg: Sieg, Zäsur und Tragödie

Zweiter Weltkrieg: Sieg, Zäsur und Tragödie

Fallies
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Zweiter Weltkrieg
 

Sieg, Zäsur und Tragödie

Am 20. Mai 1941 tobte die Luftlandeschlacht um Kreta. Der Sieg der deutschen Fallschirm- und Gebirgsjäger wurde von den Nationalsozialisten zum „Sieg der Kühnsten“ stilisiert – mit gravierenden Folgen: Nach der Debatte über eine angemessene Traditionspflegeder Bundeswehr durften die Fallschirmjäger der Wehrmacht nicht mehr als Vorbild dienen.
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Fallies
Deutsche Fallschirmjäger 1940 über Kreta…
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…und bei Gefechten Fotos: Wikipedia/Bundesarchiv

Die „Schlacht um Kreta“ vom 20. Mai bis zum 1. Juni 1941 wurde zum „Sieg der Kühnsten“ stilisiert. Dieses Prädikat wurde aber nicht – im Gegensatz zu anderen Einsätzen der Fallschirmtruppe im Westfeldzug 1940 oder Monte Cassino 1944 – von den alliierten Kriegsgegnern vergeben. Den bis heute wirkenden Nimbus der Fallschirmtruppe als draufgängerische kühne Luftsturmtruppe hatte sie sich im Westfeldzug 1940 bei der handstreichartigen Inbesitznahme der Schlüsselobjekte, der Albert-Kanal-Brücken und des „uneinnehmbaren“ Forts Eben-Emael erworben.

Den ebenfalls bis heute bestehenden Mythos, auch gegen einen mehrfach überlegenen Gegner, der zudem aus gut ausgebauten und vorzüglich getarnten Stellungen den Luftlandeangriff erwartete, zu siegen, schufen der Oberbefehlshaber der Luftwaffe, Hermann Göring und der für das Unternehmen „Merkur“ Verantwortliche, der Kommandierende General des Luftlande-Korps (XI. Fliegerkorps), General der Flieger Kurt Student.

1942 gab dieser einen Bildband mit dem Titel heraus: „Kreta – Sieg der Kühnsten. Vom Heldenkampf der Fallschirmjäger“. Im Geleitwort Hermann Görings steht: Kreta – „Ein Denkmal für den bedingungslosen Opfermut des Fallschirmjägers, der selbst in aussichtslosesten Lagen noch unbeirrbar an den Sieg glaubt und die Übermacht des Gegners ebensowenig fürchtet wie den Tod“.

Die „Operation Merkur“ war der Tod der Luftlandewaffe

Diese Sätze reflektieren zum einen nicht die Wahrheit. Kreta wurde schließlich durch eine äußerst risikoreiche Anlandung der 5. Gebirgsdivision unter Generalmajor Julius Ringel gewonnen. Zum anderen haben die Hinweise auf „bedingungslosen“ Opfermut und Furchtlosigkeit vor dem Tod zu dem Bild des blinden Draufgängertums und dem im Soldateneid seit 1934 verankerten, auf die Person des „Führers“ geschworenen „bedingungslosen Gehorsam“ des dem „Dritten Reich“ ergebenen Fallschirmjägers geführt.

Dies hat im Zusammenhang mit der endlosen Debatte über die Traditionswürdigkeit der Wehrmacht zu gravierenden Folgen für eine angemessene Traditionspflege in der politischen und militärischen Führung der Bundeswehr in den siebziger und achtziger Jahren geführt.

Am 20. Mai 1941 sprangen von den insgesamt 15.000 Fallschirmjägern der 7. Fliegerdivision mehr als 3.000 Fallschirmjäger in die „Hölle Kretas“ und in den Tod. Durch die Operationsidee – „Sprung und Sturmlandung mit dem Lastensegler in den Feind“ – landeten sie im Abwehrfeuer des Gegners, oftmals nur mit einer Pistole bewaffnet. 3.000 Gefallene und nochmals 3.000 Verwundete – das war das Ende, der „Tod als Luftlandewaffe“. 

Wenn im Sinne Leopold von Rankes gefragt wird, „was daraus hervorgegangen ist“, dann waren die strategischen und moralischen Folgen katastrophal. Winston Churchill hatte die ganze Tragweite klar erkannt: „Die Spitze des deutschen Speeres (des Heeres) triumphierte und zerbrach. Nie wieder traten sie in ausschlaggebender Form auf.“ Im August  und September 1941 fehlten diese Fallschirmjäger-Regimenter als Speerspitze der Panzerkorps für schnelle Operationen in die Tiefe.

Pyrrhus-Sieg der Fallschirmtruppe

Das strategische Kalkül des Unternehmens „Merkur“ zur Inbesitznahme der Felseninsel Kreta im südöstlichen Mittelmeer, einem von der maritimen englischen Suprematie gekennzeichneten Meer, ohne jede militärische Infrastruktur, sah Kreta als Plattform, Sprungbrett und „Flugzeugträger“. Im Zusammenwirken mit Rommels Afrikakorps „sollte das britische Weltreich im Mittleren Osten zum Einsturz gebracht werden“. Diese „Idee“ stand im Gegensatz zu einem der Kernsätze Clausewitzschen und Moltkeschen Denkens – der „Konzentration aller Kräfte auf das Hauptziel“ – und der Forderung, „die militärpolitischen Zwecke nie ohne das militärische Mittel zu denken“.

Der Pyrrhus-Sieg der Fallschirmtruppe auf Kreta und dessen Folgen, ihr unverantwortbarer Einsatz als Erdkampftruppe in zersplitterten Einsätzen als „Feuerwehr“ an allen Fronten, hätte unter dem Clausewitzschen Diktum „freier Erkenntnis“ und zur Schulung des Denkens des Soldaten nicht nur Gegenstand der Ausbildung in der Operationsführung, sondern auch der Reflexion über die Traditionswürdigkeit und damit der Vorbildwirkung der Wehrmacht und somit der Fallschirmtruppe sein können oder sein müssen.

Mit Beginn der Aufstellung der Bundeswehr und der neuen Fallschirmtruppe 1956/57 waren die Fallschirmjäger – die „Alten Adler“ – Teil des Selbstverständnisses der jungen Fallschirmjäger. Ihr Vorbild war eine unausgesprochene Maxime des Denkens und Handelns. Jedes Fallschirmjägerbataillon und jede einzelne Kompanie unterhielt einen „Traditionsraum“ mit dem Symbol der alten Fallschirmtruppe, dem „Stürzenden Adler“.

Die Fallschirm- und Luftlandebrigaden hatten die Wappensymbole von Fallschirmjäger-Regimentern übernommen und die herausragenden Einsätze der Fallschirmtruppe bildlich dokumentiert. Bis in die siebziger Jahre wurde unbeschwert in der Öffentlichkeit das Lied gesungen: „Narvik, Rotterdam, Korinth und das heiße Kreta sind Stätten unserer Siege. Denn, wir Fallschirmjäger gehen ran, sind bereit zu wagen.“

Keine militärische Bewertung

Militärisch wurde das „Unternehmen Merkur“ hingegen kaum kritisch reflektiert. Auch nicht die Kommandeure, hoch ausgezeichnet, haben je das „Kreta-Unternehmen“ zum Gegenstand einer Planübung mit dem Ziel gemacht, von den Wirkungen (den exorbitant hohen Verlusten) auf deren Ursachen (die katastrophale Vernachlässigung bewährter deutscher Führungstheoreme und Führungsgrundsätze) zu schließen.

Die „Schlacht um Kreta“ wurde so nicht zu einer Lektion zur Schulung des Denkens. Im Gegensatz zu den militärphilosophischen und strategischen Köpfen Carl von Clausewitz, Helmuth von Moltke oder Graf Alfred von Schlieffen, die wichtige Feldzüge und Schlachten analysierten und wie General Ludwig Beck in die Ausbildung an der Kriegsakademie integrierten, traten an der Führungsakademie der Bundeswehr an deren Stelle sozial- und organisationswissenschaftliche Elemente.

Anstatt sich beispielsweise mit einer Studie des israelischen Militärhistorikers van Creveld über die „Kampfkraft der Wehrmacht“ oder mit den „operativen“ Werken des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes (MGFA) auseinanderzusetzen und daraus Schlüsse für die Erziehung, Ausbildung und die Traditionswürdigkeit der Wehrmacht zu ziehen, oblag es der sogenannten „Wehrmachtsausstellung“ des „Hamburger Instituts für Sozialforschung“ von Jan-Philipp Reemtsma, Maßstäbe in der Beurteilung der Wehrmacht zu setzen. 

Als Folge wurde ein fast grotesk anmutender Bildersturm „von oben“ angeordnet und umgesetzt: An der Luftlande- und Lufttransportschule im oberbayrischen Altenstadt – der Alma mater der Fallschirmtruppe der Bundeswehr – wurden alle Straßenbezeichnungen, die den Namen eines Fallschirmjägers aus dem Zweiten Weltkrieg trugen, getilgt. Ein Museum der „Fallschirmjäger, Flieger und der Garnisonsgemeinde Altenstadt“ wurde dann von einem Schulkommandeur „aufgelöst“.

Wenn die politische und insbesondere die militärische Führung der Bundeswehr sich unablässig auf die Tradition Scharnhorstschen Denkens beruft, dann ist die Frage, inwieweit dessen Überzeugung, daß „allein die Geschichte das Material bereithalte, an dem sich der lebendige Geist bilde“, umzusetzen und tatsächlich ein wesentlicher Bestandteil der „Führungsphilosophie der Inneren Führung“ ist. Der Verzicht auf die „Durchdringung der Militärgeschichte“ hat in der Fallschirmtruppe der Bundeswehr dazu geführt, daß aus den Haltungen und dem Verhalten des Oberbefehlshabers der Fallschirmtruppe, dessen Kommandierenden Generalen, Kommandeuren, bis hin zum Fallschirmjäger durch die Transformation des Geschehens nicht gelernt werden konnte.

Der Erfahrungsschatz des Vergangenen, dazu zählen eben auch vorbildlicher Haltungen und beispielhaftes Verhalten der Fallschirm- und Gebirgsjäger im Kampf auf Kreta und danach, wurde nicht für die Bewältigung der militärischen Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft genutzt. Damit versündigt sich die militärische Führung der Bundeswehr an ihren Soldaten, die sie in einen Kampfeinsatz schickt. Dabei ähnelt zum Beispiel die Kampfführung in Afghanistan in mancher Weise jener der Fallschirm- und Gebirgsjäger in der Schlacht um Kreta. 

„Vergiß, mein Volk die teuren Toten nicht“

Die Traditionswürdigkeit des deutschen Soldaten nicht nach einer Sentenz Joseph Kardinal Ratzingers auf dem Deutschen Soldatenfriedhof La Cambe im Jahre 2004 zu erhellen, hat angesichts der Defizite geschichtlichen Wissens zu einer tiefgreifenden Unkenntnis historisch-politischer Zusammenhänge geführt: „In dieser Stunde verbeugen wir uns in Ehrfurcht vor den Toten des Zweiten Weltkrieges; wir gedenken der vielen jungen Menschen aus unserer Heimat, deren Zukunft und Hoffnung in den blutigen Schlachten des Krieges zerstört wurde. Es muß uns als Deutsche schmerzlich berühren, daß ihr Idealismus und ihr Gehorsam dem Staate gegenüber von einem ungerechten Regime mißbraucht wurden. Aber das entehrt diese jungen Menschen nicht (…). Sie haben ganz einfach ihre Pflicht – wenn auch oft unter furchtbarem inneren Ringen, Zweifeln und Fragen – zu tun versucht.“

Die Auswirkungen dieser Defizite waren bei der Toten- und Gedenkfeier des Bundes Deutscher Fallschirmjäger in der Basilika zu Altenstadt anläßlich der 70. Wiederkehr der Schlacht um Kreta Anfang Mai 2011 unübersehbar: Obwohl die Basilika im Mittelpunkt der Garnisongemeinde Altenstadt steht und dem Schutzpatron der Fallschirmjäger, dem Erzengel Michael, geweiht ist, nahm an diesem Gedenken kein einziger Offizier und Unteroffizier der Luftlande- und Lufttransportschule teil. Dies ist um so erstaunlicher, weil ein ausführlicher Artikel in der Regionalzeitung Schongauer Nachrichten erschienen war, der den Stammsoldaten unschwer verborgen geblieben sein konnte.

Die in der Ansprache zum Gefallenen- und Totengedenken geäußerte Hoffnung, die soldatischen Leistungen und Tugenden der Fallschirm- und Gebirgsjäger und Flieger in der Schlacht um Kreta und in den nachfolgenden Erdeinsätzen dadurch anzuerkennen, daß ihre Leistungen durch die Übertragung auf die Gegenwart und Zukunft „doch noch fruchtbar würden“ (Josef Pieper), würde diesen „die größte Ehre erweisen“ und Theodor Körners Mahnung entsprechen: „Vergiß, mein Volk die teuren Toten nicht.“ Durch die Nichtanwesenheit der aktiven Soldaten der Bundeswehr blieben das allerdings nur bloße Worte. 

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Dr. Günter Roth, Brigadegeneral a.D., ist Fallschirmjäger und war Amtschef des Militärgeschichtlichen Forschungsamts (MGFA)

JF 21/11 

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