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Jetzt weiteren Werte-Ballast abwerfen

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Eine Europäische Verfassung, wie sie allenfalls in Kanzlerin Merkels Sprechblasen Form gewonnen hat, dürfte es in absehbarer Zeit nicht geben. Das liegt nicht zuletzt daran, daß die äußere Ausdehnung der Europäischen Union, wie von wohlwollenden Kritikern beizeiten vorausgesagt, den Prozeß der inneren Integration nachhaltig konterkariert hat. Von gemeinsamen Werten ist dabei zwar noch die Rede, aber auf das christliche Fundament wollte man einst schon in kleinerer Runde die Verfassung nicht mehr gründen. Verfechter von sittlichen Werten des Abendlandes Ob mit der Aufnahme der Türkei weiterer Werte-Ballast abgeworfen werden muß, steht noch dahin, liegt aber im Bereich des Erwartbaren. Wie sehr zum Beispiel auch die vorchristliche, die antike Überlieferung zur Disposition gestellt werden kann, zeigt eine kurze tour d’horizon durch die Metamorphosen der Rezeption des römischen Dichters Vergil (70-19 v. Chr.) in den letzten zweitausend Jahren, wie sie der Münchner Latinist Niklas Holzberg den Besuchern beim Kongreß des Deutschen Altphilologenverbandes im letzten Frühjahr geboten hat (Das Gymnasium, 1/2007). Vergil, das ist, in unserem Bewußtsein noch, der „Vater des Abendlandes“, wie ihn der militante Katholik und bedeutende Vertreter der „inneren Immigration“ Theodor Haecker (1879-1945) in seiner Streitschrift präsentiert hat, die unmittelbar nach den Feiern des Bimillenniums im Oktober 1930 erschien. Und der mit Schreibverbot belegte NS-Gegner Haecker war ein Inspirator der „Weißen Rose“. Die Geschwister Scholl fanden sich bei ihm 1942 zur Vergil-Lektüre ein. Insoweit wie er zum Widerstand gegen den NS-Staat ermutige, stehe Haeckers Vergil da als heidnischer Vorläufer „aller Verfechter von sittlichen Werten des christlichen Abendlandes“. Als solcher sei er, wie Holzberg referiert, den Gymnasiasten im lateinischen Lektüreunterricht noch „bis in die Achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts präsentiert“ worden. Seitdem sterbe dieser Rezeptionsstrang ab. Nicht allein, weil der altsprachliche Unterricht ohnehin kollabiere. Sondern weil sich das „moderne“ Interesse der Schüler vom Öffentlichen ins Private verlagere. Sofern Vergils „Aeneis“ überhaupt noch in die gymnasiale Lektüre einbezogen werde, sei diese Dichtung nur ohne den für die Haecker-Generation zentralen ideologischen, „sittlich-abendländischen“ Überbau vermittelbar. Vergil lasse sich dann als ein dem „Liebesdichter“ Ovid verwandter Poet lesen, der „eher menschlich nachvollziehbare ‚action‘ als erbauliche ‚message‘ zu bieten“ scheine. Für Holzberg geht deswegen das Abendland noch nicht unter. Im Gegenteil: Sieht man genauer hin, ist der Abschied von Haeckers Vergil nur zu begrüßen. Vergil (eigentlich Publius Vergilius Maro), der politische Mahner zum rechten Weg, der heidnische Prophet Christi, sei vielleicht nur das Zerrbild dieses Poeten aus der Zeit des Weltbürgerkrieges, das uns heute nichts mehr angehe. Der „Vater des Abendlandes“ sei nur eine Projektionsfläche für politisch gefährliche „Rückbesinnungen“ und keine tragfähige Säule der altsprachlichen „Werteerziehung“. Aus „Vergil“ spreche ein „intoleranter Katholizismus“ Was durch nichts schlagender belegt werde als durch den großen legitimatorischen Gewinn, den Mussolinis Regime 1930 aus den Geburtstagsfeiern für Vergil zog. Es könne auch kein Zufall sein, daß in der Flut der Jubiläumsliteratur neben Haecker ein enthusiastisches Pamphlet des jungen Robert Brasillach, des 1945 hingerichteten „Kollaborateurs“, auftauche, das Vergil als „homo fascista“ preise. Und lasse man alle Rücksicht auf Haeckers Schicksal nach 1933 einmal beiseite, könne doch nicht verschwiegen werden, wie stark aus seinem „Vergil“ ein „radikaler, intoleranter politischer Katholizismus“ spreche, der „mit dem Faschismus die antikapitalistische, antiliberale, antikommunistische und antibürgerliche Haltung durchaus teilt“ und mit dem „Führerstaat auf abendländischer Grundlage mindestens liebäugelt“, ja sogar zu einer „gewissen Form von Rassismus neigt“, wenn er im asiatischen Osten nur Europa bedrohende Maßlosigkeit, „Chaos und Grauen“ erkenne. Sieht man einmal davon ab, daß Holzberg, offenbar ohne dies zu ahnen, den donquichottischen Kreuzzug gegen den „faschistischen Katholizismus“ und romhörige „politische Theologen“ fortsetzt, dem der Berliner Soziologe Richard Faber bislang dreißig Jahre seines akademischen Lebens hingeopfert hat, scheint hier ein amtlich bestallter „Hüter des Erbes“ von ihm lästigen abendländischen Beständen Abschied nehmen zu wollen. Ob für den „asiatischen Osten“ aber nicht selbst bei einem auf Ovid-Format gestutzten Vergil der Spaß aufhört?

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