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Ein Auslaufmodell für unser Jahrhundert

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Ein Auslaufmodell für unser Jahrhundert

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Mit der Haager Landkriegsordnung von 1899/1907 (HLO) hatten die Mächte den Versuch unternommen, durch die schriftliche Fixierung der „Gesetze und Gebräuche des Krieges“ den im 18. Jahrhundert erreichten Stand der Hegung des Krieges zu sichern und die in Kriegen stets vorhandene Tendenz zu einer grenzenlosen Eskalation der Gewalt im eigenen Interesse einzugrenzen.

Von Anfang an sah sich aber die HLO dem Dilemma ausgesetzt, daß die rasante technisch-industrielle und soziale Entwicklung gleichzeitig immer wieder neue militärische Optionen eröffnete, auf welche die meisten Mächte nicht zu verzichten bereit waren. Der Versuch, dem Luftkrieg in der HLO und begleitenden Abkommen völkerrechtliche Schranken aufzuerlegen, scheiterte deshalb, wie in der letzten Ausgabe gezeigt, bereits im Ansatz.

Im Hinblick auf den Landkrieg wäre es allerdings verfehlt, den Bestimmungen der HLO jegliche Wirksamkeit abzusprechen. Allerdings gilt auch hier, daß detaillierte Vorschriften über unzulässige Waffen gegenüber der Dynamik der technisch-industriellen Kriegführung hilflos waren. Zuviel wurde von den Kriegführenden, selbst wenn sie anfänglich guten Willens waren, immer wieder unter Berufung auf militärische Notwendigkeiten relativiert.

So verhinderte das in einem gesonderten Abkommen 1899 vereinbarte allgemeine Verbot der Verwendung von erstickenden oder giftigen Gasen nicht die Verwendung von Giftgas nach 1914. Der Verzicht darauf im Zweiten Weltkrieg war weniger dem ergänzenden Genfer Protokoll von 1925, sondern vor allem der Angst vor Vergeltung zu verdanken. Das ebenfalls 1899 vereinbarte Verbot von Dum-Dum-Geschossen entsprach hingegen zunächst der damaligen Tendenz zur Entwicklung von Infanteriegeschossen mit günstigen ballistischen Eigenschaften.
In jüngster Zeit stellt sich allerdings die Frage, wieweit die Entwicklung von Hochgeschwindigkeits-Pfeilgeschossen damit vereinbar ist, so daß dieses Verbot seine Bewährungsprobe noch vor sich haben könnte.

<---newpage---> Die Unterscheidung zwischen Kobattanten und Non-Kombattanten wurde relativiert

Wo die HLO allgemeine Verhaltensregeln aufgestellt hat, fällt ihre Bilanz zwischen 1914 und 1945 besser aus. Auch wenn die Klauseln über „militärische Notwendigkeit“ und das weitgehend ungeregelte Feld der Repressalien (Strafmaßnahmen, um den Gegner zu völkerrechtskonformen Verhalten zu zwingen) genug Möglichkeiten boten, um manch brutales Vorgehen noch als legitim ausgeben zu können, wagten es die kriegführenden Mächte weder im Ersten noch – zumindest in West- und Südeuropa – im Zweiten Weltkrieg, allzu offen bei den bewaffneten Streitkräften gegen die Regeln der HLO zu verstoßen. Deutlich schlechter sah es beim Schutz der Zivilbevölkerung aus. Hier hatte die HLO, auch hierin dem 19. Jahrhundert verhaftet, zwar einiges zum Schutz des Privateigentums, aber wenig zum Schutz des Lebens von Zivilisten kodifiziert.

Insgesamt zeigte sie sich durch die Entwicklung zum „Totalen Krieg“ zwischen 1914 und 1945 aber überfordert. Die Kriegführung zwischen weltumspannenden Koalitionen von industrialisierten Großmächten zog notwendigerweise die Mobilisierung der ganzen Volkswirtschaft für die jeweiligen Kriegsanstrengungen nach sich. Der Munitionsarbeiter und die Kanonenfabrik und selbst die Bauern waren als militärische Ressourcen kaum weniger wichtig als der Soldat und die Kanone.

Die zentrale Unterscheidung des herkömmlichen Kriegsvölkerrechts zwischen Kombattanten und militärischen Zielen sowie Non-Kombattanten und zivilen Nicht-Zielen wurde relativiert. Insbesondere gegen das allseitige Bestreben, die „Kraftquellen“ des Feindes entweder zu zerstören oder in besetzten Gebieten in möglichst großem Umfang für sich nutzen und dabei die zivile „Resistenz“ oder „Moral“ mit allen Mitteln zu brechen, baute die HLO keine wirklich wirksamen Hürden auf.

Es verwundert nicht, daß die Limitierung der Gewaltanwendung gegenüber Zivilisten, aber auch gegenüber Soldaten dort am wenigsten gelang, wo Reziprozität gar nicht erst erwartet wurde, sei es aufgrund extrem ideologisierter Feindbilder wie im deutsch-sowjetischen Krieg, oder sei es aufgrund archaischer Kriegsvorstellungen wie auf dem Balkan. Hier war das Interesse der Kriegführenden an einer Eskalationsvermeidung und damit an einer Einhaltung der HLO-Bestimmungen wenig ausgeprägt.

In den ideologisch aufgeladenen Weltkriegen des 20. Jahrhunderts hat das schriftlich fixierte ius in bello nur eine begrenzte Wirkung entfalten können und den Krieg weitaus schlechter zu hegen vermocht als die informellen „Gesetze und Gebräuche des Krieges“ im 18. und 19. Jahrhundert. In Reaktion darauf wurde es nach 1945 durch eine ganze Reihe von weiteren Abkommen und Deklarationen ergänzt. Es hat – umbenannt in „Humanitäres Völkerrecht“- mittlerweile einen beträchtlichen Umfang erreicht und wurde 2002 durch Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes in Den Haag gekrönt. Doch spricht einiges dafür, daß zwar seine „Papierform“ ausgezeichnet ist, diese aber mit der realen Gestalt des Krieges im 21. Jahrhundert eher wenig zu tun hat.

<---newpage---> Das herkömmliche ius bello wurde aus den Angeln gehoben

Auch wenn die UN-Charta den Einzelstaaten durch ihr Gewaltverbot das ius ad bellum formal entzogen hat, ist dadurch der Krieg als Phänomen nicht abgeschafft worden. Vielmehr hat sich die Zahl der Kriegführenden über den staatlichen Bereich hinaus seitdem erheblich vermehrt – bis hin zu den heutigen anonymen Terrorgruppen, die gar nicht daran denken, sich auch nur ansatzweise am Kriegsvölkerrecht zu orientieren.

Praktisch ist das herkömmliche ius in bello damit weitgehend aus den Angeln gehoben worden, hatte es doch auf der Voraussetzung eines homogenen Feldes von staatlichen Akteuren als einzigen legitimen Kriegführenden beruht. Zwar hat man es nach 1945 formal auf alle Arten von „bewaffneten Konflikten“ ausgedehnt, aber funktionieren kann es nur dort, wo eindeutig identifizierbare Bürgerkriegsparteien mit quasistaatlichen Organisationsstrukturen auftreten.

Treten heute reguläre Staaten als Kriegführende gegenüber nichtstaatlichen Kriegsparteien ohne diese Merkmale auf, fehlt solchen asymmetrischen Konflikten jede echte Reziprozität. Gegenüber einem Feind, dem kein Recht zum Krieg zugestanden werden kann, sind Kriegführende aber nicht nur geneigt, das ius in bello zu relativieren, wie bereits in der Zwischenkriegszeit Carl Schmitt aufgezeigt hat.

Ist der Feind eine nichtstaatliche Gruppe und tritt überdies gar nicht öffentlich klar identifizierbar hervor, gerät die Kriegführung staatlicher Akteure darüber hinaus unvermeidlich in ein echtes Dilemma, wenn sie dem ius in bello gerecht werden will. Denn elementare Fragen lassen sich nicht mehr beantworten: Wann beginnt und wie endet der Kriegszustand? Wie kann man zu bekämpfende „Kombattanten“ und schützenswerte „Zivilisten“ überhaupt noch unterscheiden? Wie kann Privateigentum geschont werden, wenn die Feinde offiziell „nur“ Privatleute sind?

Oder ein aktuelles Beispiel zuletzt: Wäre der „Krieg gegen den Terror“ nur eine Polizeiaktion, dann hätten Gefangengenommene einen Anspruch auf einen ordentlichen Gerichtsprozeß und gegebenenfalls auf Freispruch, falls ihnen kein konkretes Verbrechen nachzuweisen ist. Handelt es sich hingegen um einen realen Krieg, dürften sie als Kriegsgefangene bis zum Ende des Krieges in Lagern festgehalten werden, wo sie aber gemäß der III. Genfer Konvention zu behandeln wären.

Man muß die Lösung, welche die USA in Guantánamo praktizieren, nicht gutheißen, doch dahinter steht ein reales Dilemma. Die Kriege, auf welche die HLO und ihre Ergänzungen zugeschneidert wurden, werden immer seltener; auf die neuen Kriegsformen des 21. Jahrhunderts ist hingegen das überkommene Kriegsvölkerrecht kaum mehr anwendbar. Es droht weitgehend gegenstandslos zu werden.

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