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Die Katastrophe von Swinemünde

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Die Katastrophe von Swinemünde

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Im Februar 1945 hatte die Rote Armee auf breiter Front zwischen Schwedt und Görlitz die Oder erreicht. Nur im Norden war ein relativ breiter Landstreifen in deutscher Hand geblieben. Er reichte entlang der Ostsee bis nach Danzig und umschloß Hinterpommern und Teile der Grenzmark Posen-Westpreußen, Ostpreußen war vom Reich abgeschnitten. Von einer deutschen Verteidigungsfront in Pommern konnte kaum die Rede sein, höchstens von einem so dünnen wie löchrigen Abwehrschleier. Durch diesen Schleier trieben die Russen Anfang März mehrere Angriffskeile in Richtung Ostsee. Sie zielten unter anderem auf Rügenwalde, Kolberg und die Provinzhauptstadt Stettin am Westufer der unteren Oder. Damit nahm auch der Druck auf Swinemünde am Ausgang des Stettiner Haffs zu. Swinemünde war die zentrale Anlaufstelle für Flüchtlinge Zwischen Haff und Ostsee liegen die Inseln Usedom und Wollin wie ein natürlicher Damm. Nur drei kleine Flüsse, die Peene im Westen, in der Mitte die Swine und im Osten die Dievenow, stellen schmale Verbindungen zwischen den Gewässern her. Die Stadt Swinemünde liegt am linken Ufer Usedoms. Seitdem in dem einstigen Fischerdorf 1824 der Bäderbetrieb eröffnet worden war, hatte es sich zu einem der wichtigsten deutschen Seebäder entwickelt. Der Vater von Theodor Fontane hatte hier 1827 die Adler-Apotheke erworben. Im Roman „Effi Briest“ taucht Swinemünde als Kessin auf, wo Effis Ehemann Instetten als Landrat arbeitet. Seitdem die Swine im 19. Jahrhundert verbreitert worden war und auch große Schiffe in das Haff einlaufen konnten (durch die sogenannte „Kaiser-Fahrt“), war Swinemünde bloß noch ein Vorhafen für Stettin. 1876 war es an das Eisenbahnnetz angeschlossen worden und von Berlin und Stettin aus über Pasewalk erreichbar. Eine Bäderbahn führte außerdem durch die drei „Kaiserbäder“ Heringsdorf, Ahlbeck und Bansin in Richtung Westen. Gegenüber auf dem Wolliner Ufer der Swine lag der Fährhafen Ostswine, der den Endhalte-punkt von Bahnlinien aus Hinterpommern bildete. Folglich war Swinemünde ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt. Deshalb wurde es zur zentralen Anlaufstelle für Flüchtlinge aus Ost- und Westpreußen und bald auch aus Ostpommern. Die ersten waren im Herbst 1944 auf kleinen Schiffen eingetroffen, ab Januar 1945 strömten sie zu Tausenden herein. Täglich machten Schiffe aus Pillau, Hela, Gotenhafen und Kolberg im Hafen fest. Weitere Flüchtlinge kamen mit der Bahn aus Richtung Kolberg und Köslin. Da die Fähren mit ihrem Übersetzen vom Wolliner zum Usedomer Ufer überlastet waren, wurde eine Behelfsbrücke gebaut. Von Swinemünde aus sollten sie nach kurzem Aufenthalt mit der Bahn weiter nach Westen gebracht werden. In Swinemünde gab es 32 Flüchtlingslager. Eines der größten befand sich in der Fontaneschule, durch die allein 32.000 Menschen geschleust wurden. Die Schule konnte maximal täglich 2.200 Flüchtlinge aufnehmen. Weil der Eisenbahnverkehr immer wieder stockte, mußten Neuankömmlinge auch in der Stadt untergebracht werden. In einer Gulaschkanone im Schulhof wurden täglich 5.000 Essensportionen zubereitet. In Swinemünde landeten auch Überlebende der Gustloff-Katastrophe. Die „Winrich von Kniprode“, ein Luxusdampfer der Hamburg-Amerika-Linie, der am 9. März mit 4.000 Passagieren aus dem brennenden Kolberg entkommen war, lag manövrierunfähig vor der Hafeneinfahrt, weil die Kohlen ausgegangen waren. Das sollte sich als Glück erweisen, sonst wäre das Schiff am 12. März wie sieben andere Flüchtlingsschiffe wohl von Bomben getroffen und versenkt worden. Unglücklicherweise wurde die Pontonbrücke über die Swine am 10. März von einem auslaufenden deutschen U-Boot gerammt. Die Reparaturarbeiten dauerten 18 Stunden. Unterdessen stauten sich auf der Wolliner Seite die Flüchtlinge. 40.000 befanden sich am 11. März auf der Nachbarinsel. Viele von ihnen gerieten am nächsten Tag in das Inferno. Seit 1934 war Swinemünde zum Militärhafen ausgebaut worden. Es gab hier Kasernen, einen Militärhafen, einen Flugplatz für Wasserflugzeuge, eine Reperaturwerft, einen Ölpier. Auslöser für das dreiviertelstündige Bombardement am Mittag des 12. März 1945 war ein russisches Ersuchen an die amerikanische Luftwaffe, einen Schlag gegen die Massierung deutscher Schiffe zu führen. Und zwar war die Marinekampfgruppe 2 aus Gotenhafen nach Swinemünde verlegt worden. Dazu zählten die Panzerkreuzer „Admiral Scheer“ und „Lützow“ sowie Zerstörer und Torpedoboote. Die Russen rechneten damit, daß die Schiffsartillerie gegen sie eingesetzt würde. Ihre eigene Luftwaffe sah sich zum Angriff außerstande. Er wurde von einer Armada aus 661 US-Bombern geführt, die von 412 Begleitjägern geschützt wurden. Es fielen 1.609 Tonnen Bomben, darunter 3.500 Fünf-Zentner-Bomben. Hohe Opferzahl bei Zivilisten billigend in Kauf genommen Auch die Innenstadt wurde mit Bombenteppichen belegt. Die leichte Bäderarchitektur Swinemündes bot dagegen keinerlei Schutz. 55 Prozent der Stadt wurde zerstört. Im Hafen wurde ein Flüchtlingszug getroffen. Die schlimmsten Verheerungen entstanden im Kurpark, wo zahlreiche Flüchtlinge bei kühlen Temperaturen kampierten. Zudem wurden beim Bombardement sieben Flüchtlingsschiffe mitsamt einer unbekannten Zahl von Zivilisten versenkt. Mehrere andere wurden ebenfalls getroffen und schwer beschädigt. Ein Indiz, daß mit dem Militärschlag auch ein Zivilmassaker beabsichtigt war, ist der Einsatz sogenannter „Baum-krepierer“. Es handelt sich um Bomben, die erst bei der leichten Berührung mit Bäumen explodieren und auf diese Weise möglichst viele Menschen töten und verletzen. Die Beschreibungen des Angriffs klingen infernalisch. Von zerfetzten Leibern, die durch die Luft flogen, ist die Rede, vom Heulen der Bomben und Detonationen, von lodernden Bränden und Tieffliegerangriffen mit Bordwaffen. Die eindringlichste Schilderung stammt von der Journalistin Carola Stern, die den Angriff wie durch ein Wunder überlebte. Weil Seuchengefahr drohte und weitere Flüchtlinge nachrückten, mußten die Toten schnell bestattet werden. Eine genaue Zählung und Identifizierung der Opfer war unmöglich. Bombentrichter nahmen menschliche Überreste zusammen mit Tierkadavern auf und wurden eilig zugeschüttet. Die meisten Toten wurden mit Pferde- und Lastwagen zur Bestattung auf den Golm gebracht, den mit 59 Metern höchsten Berg von Usedom. Hier wurden sie überwiegend anonym in Massengräbern beerdigt. Von dem Charme des Seebades war nach dem Angriff kaum noch etwas übrig. Der Hafenbetrieb wurde durch den Luftschlag kaum eingeschränkt, auch der Marinestützpunkt wurde nicht entscheidend gertroffen. Die Zahl der Toten wird allgemein mit 23.000 angegeben. Einige Historiker sprechen vorsichtiger von einer „möglicherweise“ fünfstelligen Opferzahl. Swinemünde blieb über das Inferno hinaus ein unentbehrlicher Stützpunkt für den Flüchtlingstransport. Erst am 30. April 1945 heißt es im Kriegstagebuch des Wehrmachtsführungsstabes: „16.30. Befehl (Keitels) an Großadmiral Dönitz und Heeresgruppe Weichsel, Verteidigungsbereich Swinemünde zu räumen.“ Die Deutschen wurden von den Siegern vertrieben, bis 1956 blieb Swinemünde unter russischer Militärverwaltung. Dann wurde es offiziell an Polen übergeben. Die russische Marinebasis blieb bis 1992 bestehen. 1955 war Fontanes Adler-Apotheke abgerissen worden. Das Golm gehörte zur SBZ/DDR. Seit 1950 bemühte die Evangelische Kirche sich um eine würdige Herrichtung der Grabanlagen, stieß dabei aber auf den Widerstand der DDR-Behörden. 1954 wurde ein 13 Meter hohes Holzkreuz kurz nach seiner Aufstellung von „unbekannten Tätern“ abgesägt. Im Staatsauftrag hatte der Bansiner Bildhauer Rudolf Leptien die Steinplastik einer „Frau im Soldatenmantel“ geschaffen, heute bekannt als „Die Frierende“. Diese Skulptur reiner Trauer entsprach jedoch nicht der Staatsideologie. Erst dreißig Jahre später konnte sie auf dem Golm aufgestellt werden. Auf Dauer konnte auch die DDR-Führung sich dem Bedürfnis nach einem würdigen Totengedenken nicht entziehen. 1973 hatte der Rostocker Bildhauer Wolfgang Eckardt für die Grabstätten einen zweigeteilten Rundbau entworfen, der an ein wendisches Ringgrab erinnert. Bei der Neugestaltung wurden die Grabflächen zu einer Gesamtanlage zusammengefaßt. In den neunziger Jahren wurde ein fünf Meter hohes Holzkreuz aufgestellt. Die offizielle Gedenkkultur rückt die Opfer aus dem Fokus 2003 hat der Volksbund deutscher Kriegsgräberfürsorge die Organisation der Gedenkfeiern übernommen. Sie sind damit Teil des bundesrepublikanischen Gedenkbetriebs mit seinen leerlaufenden Gebetsmühlen geworden. Dietlinde Bonnlander, eine Überlebende von 1945, hat die Veranstaltung vom 12. März 2004 in der Pommerschen Zeitung bewegend geschildert: „Kein Redner konnte den Hinweis auf die deutsch-polnische Freundschaft auslassen, obwohl dieser Verweis hier nichts verloren hat, weil der Tag vor 59 Jahren in keinerlei Verbindung zu den heutigen Bewohnern von Swinemünde steht. Keiner konnte auf die Demonstration verzichten, die Städte Stettin, Gollnow und Swinemünde mit ihren heute polnischen Namen zu nennen. Auch das war ein unerträglicher Vorgang hier neben den Gräbern und in Anwesenheit so vieler Heimatvertriebener. (…) Sind nicht diese Besucher, zu denen ich mich zähle, in einer psychischen Ausnahmesituation, wenn sie an diesem Tag kommen und sind sie denn nicht auch wieder ein Jahr älter und müder geworden? Und dann sollen sie das über sie ergehen lassen, was Presse, Rundfunk und Fernsehen ebenso täglich bis zum Überdruß servieren?“ Swinemünde ist ein Beispiel von vielen. In Abwandlung eines alten Glockenspruches ließe sich über das „gute Deutschland“, das sich bei solchen Gelegenheiten feiert, sagen: Es verhöhnt die Toten, es erwürgt die Überlebenden, es kapituliert vor der Zukunft! Foto: „Die Frierende“ auf dem Golm: Denkmal für die etwa 23.000 Opfer Schlüsselort Swinemünde: Militärobjekt mit Flüchtlingsmassen

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