Ende der siebziger Jahre wurde auch in der DDR-Opposition das Umweltthema virulent. Das geschah unter dem Einfluß der globalen Umweltbewegung und dem Erfolg der Grünen in Westdeutschland. Es gab dafür aber auch viele interne Gründe. In dem Maße, wie die DDR-Wirtschaft in die Krise geriet, nahm die Umweltzerstörung zu. Die Chemieanlagen im mitteldeutschen Raum – Bitterfeld, Böhlen, Delitzsch, Espenhain u.a. – wurden auf Verschleiß gefahren, unter dem Smog litten insbesondere die im Einzugsgebiet lebenden Kinder. Das Erzgebirge war massiv vom Waldsterben betroffen, wofür der Abgasausstoß in Böhmen ursächlich war. Der Braunkohletagebau zerstörte weite Landstriche, und der durch die weitverbreitete Ofenheizung entstandene Rauch zerfraß die Bausubstanz der alten Stadtkerne. Die Bücher von Monika Maron, Wolfgang Hilbig und Erich Loest geben ein plastisches Bild dieser Zustände. Das Umweltthema war für die Opposition taktisch günstig Das Umweltthema war für die Opposition sachlich naheliegend und taktisch günstig. Es war eher sozial als ideologisch intendiert und bezeichnete ein Problem, das auch Menschen betraf, die sich im übrigen für unpolitisch hielten. Genau darin lag seine hochpolitische Brisanz. Die Verbindung zu Themen wie Frieden, Demokratie und Menschrechte ergab sich wie von selbst. Die West-Grünen erschienen den Umwelt- und Menschenrechtsgruppen als natürliche Ansprechpartner. Auch sie waren basisdemokratisch organisiert und entsprachen am ehesten der zerklüfteten, durch persönliche Bekanntschaften strukturierten Oppositionsbewegung der DDR. Beide ähnelten sich auch in ihrer rigid gesinnungsethischen Ausrichtung. Die West-Grünen schienen etwas Neues zu verkörpern, einen „Dritten Weg“ jenseits von Kapitalismus, Sozialismus und Industriegesellschaft. Berührungspunkte ergaben sich auch durch den außerparlamentarischen Politikansatz. Zudem kam es zu Übereinstimmungen bei konkreten Projekten. So verkaufte die BRD ihren überschüssigen Müll an die devisenhungrige DDR, die ihn unter skandalösen Umständen in Grenznähe lagerte. Das bekannteste Beispiel war die Deponie im mecklenburgischen Schönberg nur wenige Kilometer von der Lübecker Stadtgrenze entfernt. Als andere Westparteien noch zögerten, erfuhr die DDR-Opposition durch Grünen-Politiker wie Petra Kelly, Lukas Beckmann und Alfred Mechtersheimer politische, moralische und praktische Unterstützung. Dabei hatten die Genannten sich der Angriffe von Stasi-Spitzeln innerhalb der grünen Parteiführung zu erwehren. Die Kontakte zu den West-Grünen zogen eine Steigerung des Selbstwertgefühls der DDR-Opposition nach sich. Obzwar eingemauert, fühlten sie sich als Teil einer grenzüberschreitenden, globalen Bewegung und konnten glauben, die Mauer symbolisch überwunden zu haben. 1988 wurde in Ost-Berlin das „Netzwerk Arche“, ein loser Zusammenschluß von Einzelinitiativen, unter dem Dach der Kirche gegründet. Ein wichtiger Anlaufpunkt war die 1986 eröffnete „Umweltbibliothek“ in Berlin-Friedrichshain. Am 24. November 1987 wurde sie in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von der Stasi besetzt, was in der Bevölkerung zu großer Erregung und im Westen zu einem enormen Mediengetöse führte. Genau zwei Jahre später, am 24. November 1989, wurde die Grüne Partei der DDR gegründet, deren Keimzelle die „Arche“ war. Die bekannteste DDR-Grüne war Vera Lengsfeld (damals Wollenberger). Da viele Umweltschützer in der Parteigründung eine Verengung des Politikansatzes erblickten, wurde parallel dazu die „Grüne Liga“ gegründet, die parteiübergreifend wirken sollte. Ihr Sprecher war der Umwelthygieniker Matthias Platzeck, heute Ministerpräsident von Brandenburg und eine der wenigen Nachwuchshoffnungen der SPD. Die rasante Entwicklung in der DDR machte die Überlegungen und Differenzierungen obsolet. Für die Volkskammerwahlen am 18. März 1990 schloß die Grüne Partei sich mit dem Unabhängigen Frauenverband zusammen. Mit weiteren Gruppen und Initiativen – Demokratie jetzt, Neues Forum u.a. – gingen sie am 7. Februar 1990 das „Bündnis 90“ ein. Innerhalb dieses Bündnisses kamen die DDR-Grünen auf 2,9 Prozent der Wählerstimmen. Das Wahlergebnis war ein Schock. Die Entwicklung war über die Bürgerrechtler schon hinweggegangen, als sie sich in den fruchtlosen Sitzungen des „Runden Tisches“ abarbeiteten. Einige Wochen hatte die Macht auf der Straße gelegen, doch sie hatten sich unfähig erwiesen zuzugreifen. Das war als Zeichen ihre politischen Schwäche und Konzeptionslosigkeit wahrgenommen worden. In der Rückschau erscheint das wenig überraschend: Die Bürgerrechtler hatten in der DDR die Macht nur als ein ausschließlich negatives Prinzip erlebt und sich deshalb in totaler Gegnerschaft zu ihr definiert. Die sich überstürzenden Ereignisse ließ ihnen keine Zeit, um noch ein produktives Verhältnis zur Macht zu finden. Inzwischen war auch klar, daß die Arbeitswelt der DDR vor unabsehbaren Umwälzungen stand. Die Forderung nach Stillegung von Atomkraftwerken und maroden Industriebetrieben erschien den Menschen daher wenig verheißungsvoll. Eine Rolle mag auch das schlechte Gewissen der Mehrheit gegenüber der Minderheit gespielt haben, hatte diese doch gezeigt, daß man sich in der DDR auch alternativ entscheiden konnte. Und als geradezu katastrophal erwies sich die Ablehnung der Wiedervereinigung durch die West-Grünen. Der Nationalkommunist Wolfgang Harich, der den DDR-Grünen nahestand, hatte diese im Dezember 1989 in einer Denkschrift ermahnt, sich an die Spitze der nationalen Bewegung zu setzen und die Forderung nach einer deutsch-deutschen Konföderation in ihr Programm aufzunehmen. Allerdings sollte dieses Gesamtdeutschland neostalinistisch ausgerichtet sein. So verlangte Harich, in einer neuen deutschen Verfassung den „Antifaschismus“ als staatstragendes Prinzip festzuschreiben. Die Ost-Grünen retteten 1990 die parlamentarische Präsenz Die DDR-Oppositionellen waren subjektiv gar nicht imstande, die sich anbahnende Entwicklung gedanklich vorwegzunehmen. Dissidenten wie Jens Reich, der Professor für Molekularbiologie war, oder der Theologe Wolfgang Ullmann, der im kirchlichen Bereich eine eindrucksvolle Karriere absolviert hatte, bildeten die Ausnahme. Vera Lengsfeld hatte immerhin noch ihr Philosophiestudium abschließen und eine Tätigkeit bei der Akademie der Wissenschaften aufnehmen können, ehe sie Berufsverbot erhielt. Anderen Oppositionellen waren durch die staatliche Verfolgung ihre Arbeits- und sozialen Biographien völlig zerstört worden. Hochintelligente, integre Menschen mußten sich als Hilfsarbeiter durchschlagen und hatten, als sich plötzlich Freiräume für sie eröffneten, außer ihrem moralischen Kapital nicht viel anzubieten. Sie ahnten, daß sie damit in einem gesamtdeutschen Politikbetrieb nicht weit kommen würden. Zu stolz, es den bundesdeutschen Altparteien meistbietend anzupreisen und dann mit „Blockflöten“ in demselben Boot zu sitzen, blieben die frühen Kritiker die letzten Verteidiger der DDR. Es gab Ausnahmen wie den Berliner Pfarrer Rainer Eppelmann, der schon seit den achtziger Jahren enge Kontakte zur westdeutschen Politikerprominenz, insbesondere zu Arbeitsminister Norbert Blüm und zum Berliner Sozialsenator Ulf Fink (beide CDU) unterhielt. Er besaß einen Informationsvorsprung und war in der Lage, in machtpolitischen Kategorien zu denken. Ihm sei schon im Sommer 1989 klar gewesen, „daß ohne die westdeutschen Zentralen nichts laufen würde“, schrieb er in seinem Buch „Wendewege“. Seine Partei Demokratischer Aufbruch wurde Teil des konservativen Wahlbündnisses Allianz für Deutschland und ging bald darauf in der CDU auf. Im August 1990 schlossen sich die DDR-Grünen und das Bündnis 90 für die Bundestagswahlen mit den West-Grünen zu einer Listenverbindung zusammen. Erst im Mai 1993 erfolgte in Leipzig die Fusion der Parteien unter dem Namen Bündnis 90/ Grüne. Die Bürgerrechtlerin Marianne Birthler, heute Chefin der Behörde für die Stasi-Unterlagen, wurde zur Co-Sprecherin bestimmt. Bei den Bundestagswahlen im Dezember 1990 gab es letztmalig getrennte Wahlgebiete. Die West-Grünen scheiterten an der Fünf-Prozent-Klausel, nur die Ost-Grünen und Bündnis 90 zog mit Gruppenstatus in den Bundestag ein. Auch in Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt gelang ihnen der Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde, in Potsdam und Magdeburg wurden sie sogar Regierungspartei. Als Bündnis90/Die Grünen 1994 in den Bundestag zurückkehrte – jetzt als gesamtdeutsche Fraktion -, wurden die Ost-Politiker schnell ausgebootet. „Wir störten nur beim Postenverteilen“, schreibt Vera Lengsfeld in ihrer Autobiographie. Besonders eklatant sei die Kluft zwischen dem pragmatischen Politik-Ansatz der Ost-Abgeordneten und der Machtorientierung der West-Politiker gewesen, die schließlich sogar Bündnisse mit der PDS in Erwägung zogen. Für Lengsfeld und andere Bürgerrechtler war dies nicht mehr hinnehmbar. Sie verließen die Partei in Richtung CDU. Die verbliebenen DDR-Bürgerrechtler führen heute bei Bündnis 90/ Grüne ein Nischendasein. Der politisch und rhetorisch hochbegabte Umwelttechnologe Werner Schulz wurde beim Kampf um den Fraktionsvorsitz von Joschka Fischer kaltgestellt, da Fischer in ihm einen potentiellen Konkurrenten erkannte. Der Ingenieur Gerd Poppe, der mit Ehefrau Ulrike zu den bekanntesten DDR-Oppositionellen gehörte, war einige Jahre Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung. Auch er erregte Fischers Unwillen, weil er die russischen Verbrechen in Tschetschenien anprangerte. Er wurde durch Claudia Roth ersetzt, die nach ihrem erzwungenen Rücktritt als Parteivorsitzende einen Versorgungsposten brauchte und die politische Argumentation durch konsequentes Wimpernklimpern ersetzt hat. Heute befindet sich die Partei in der Ex-DDR in Agonie Die einzige Politikerin aus der Ex-DDR, die heute bei den Bündnisgrünen einen herausgehobenen Posten hat, ist die Thüringerin Kathrin Göring-Eckardt. Sie ist eine von zwei Fraktionssprecherinnen und gehört zum Fischer-Kreis. Die 37jährige Quotenfrau aus dem Osten ist eine typische Nachwendepolitiker ohne den Stallgeruch der DDR-Opposition und wurde von Fischer gerade deshalb massiv gefördert. Die verkrachte Theologiestudentin und Nur-Politikerin machte zuletzt dadurch von sich reden, daß sie die Streichung der Studienzeit bei der Rentenberechnung verteidigte. So liegt das Bündnis 90/ Die Grünen in der Ex-DDR gegenwärtig in Agonie. Ein Grund für ihre Wiederbelebung ist nicht in Sicht. Foto: Die „Ost-Grünen“ im Bundestag, Dezember 1990. Vorne: Christina Schenk, Ingrid Köppe und Vera Wollenberger (heute Lengsfeld), hinten: Wolfgang Ullmann, Konrad Weiß, Klaus-Dieter Feige, Gerd Poppe und Werner Schulz: Unfreiwillig die letzten Verteidiger der DDR