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Griff nach der Deutungshoheit

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Bei einer Betrachtung der Literatur zum Ersten Weltkrieg ist es in der Bundesrepublik nahezu unmöglich, ein Werk mit besonderer Vergangenheit zu umgehen. Die Rede ist von Fritz Fischers „Griff nach der Weltmacht“. Bis heute wird das erstmals im Herbst 1961 – auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges – erschienene Buch von linksintellektueller Seite als Anstoß zu einem wesentlichen Paradigmenwechsel in den Forschungen zum Ersten Weltkrieg gewertet. Mit dem Eingeständnis einer erheblichen Schuld Deutschlands am Ausbruch des Weltkrieges habe Fischer ein wesentliches Tabu der Geschichtswissenschaft gebrochen, würdigte erst vor wenigen Wochen der in Stuttgart lehrende Gerhard Hirschfeld in der Beilage zur Zeitung Das Parlament den Historiker. Geschichtserziehung soll Geschichtsforschung ablösen Dabei galt der Ruf des auf diese Weise Geehrten noch vor wenigen Jahren als stark beschädigt: Zwar wurde Fischer nach seinem Tod im Dezember 1999 in zahlreichen Nachrufen für sein Lebenswerk von der linken und linksliberalen Presse geradezu hofiert. Doch im Sommer 2003 sorgte ein Aufsatz in der Zeitschrift für Neuere Theologiegeschichte für Aufsehen: In diesem wurde nachgewiesen, daß Fischer nicht nur Mitglied in der völkischen Jugendbewegung und im Freikorps Oberland gewesen war, sondern sich auch durch ein deutlich überdurchschnittliches Engagement in der NS-Bewegung ausgezeichnet habe. Schnell distanzierten sich darauf eine Reihe der Medien von ihm, nicht ganz ohne Grund: Mittlerweile hat sich das Bild gefestigt, daß Fischer ein Opportunist allererster Güte war, der seine Meinung schnell den jeweiligen Mehrheiten anpaßte und sich darüber hinaus nie scheute, wissenschaftlich betriebene Geschichtsforschung den Vorgaben der Politik und des Zeitgeistes zu opfern. Doch hinsichtlich des beim Erscheinen zunächst auf starken Widerstand treffenden „Griffs nach der Weltmacht“ zeigt sich bis heute die Mehrzahl der bundesdeutschen Medien und Vertreter der historischen Wissenschaft äußerst generös: Immer noch wird es als „Meilenstein“ und „Aushängeschild der bundesdeutschen Geschichtsforschung“ präsentiert. Inhaltlich beruht das Werk auf zwei zentralen Thesen: Zum einen versucht Fischer zu belegen, daß die deutschen Eliten des Kaiserreiches eine besondere Verantwortung für den Kriegsausbruch auf sich geladen hätten; eine abgesehen von sozialistischen Elaboraten zuvor lediglich im Zuge des Versailler Vertrags von den Siegermächten aufgestellte Behauptung. Darüber hinaus meinte Fischer Belege für eine Kontinuität dieser Eliten und der von ihnen aufgestellten Kriegsziele („von Wilhelm II. bis Hitler“) präsentieren zu können. Deutschland, so Fischer, habe sich in dieser Zeit durchweg als Hort eines besonders aggressiven Nationalismus und Imperialismus erwiesen. Fischer verstand es, den „Griff nach der Weltmacht“ rasch den sich verändernden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen anzupassen. War die erste Auflage noch weitestgehend an einer Geschichtsschreibung im klassischen Sinn orientiert, so zeigten die späteren Überarbeitungen immer deutlicher, daß sich der Autor zur Bestätigung seiner Auffassungen in den Gleisen der marxistischen Theorie bewegte, so unter anderem durch die Konzentration auf sogenannte sozioökonomische Faktoren, die die vermeintliche Aggressivität des Deutschen Reiches vor Kriegsausbruch zusätzlich „unterstreichen“ sollten. Es war daher nicht verwunderlich, daß Fischers Darstellung gerade bei der DDR-Historikerzunft auf großes Interesse stieß und immer wieder zitiert wurde. Auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges wurde das Potential des Buches aus kommunistischem Blickwinkel vollkommen richtig eingestuft: Die Diskreditierung der alten Eliten durch Fischer gab denjenigen nachträglich recht, die sich dem radikalen Austausch dieser Eliten verschrieben und mit roher Gewalt in ihrem Machtbereich Tatsachen geschaffen hatten. Doch nicht nur im kommunistischen Mitteldeutschland, sondern auch in Westdeutschland trafen Fischers Behauptungen auf ein passendes Klima: Schnell wurden sie von einem linken Publikum als geeignete Waffen gegen die vermeintlich „nationalkonservative“ Historikerzunft dieser Jahre verwendet. Mit Hilfe von Fischer ließ sich eine komplette Forschung in Verruf bringen und anschließend zur Hilfswissenschaft der in den Startlöchern sitzenden 68er degradieren. Ein Schritt, der – von einigen Modifizierungen und Anpassungen abgesehen – nahezu komplett gelungen ist. Daß Fischers Buch allerdings bereits in den frühen sechziger Jahren der Ruf eines „Etappenschrittes“ vorauseilte, war nicht nur auf seine Thesen zurückzuführen, sondern auch auf seine Bemühungen um Veränderung der historischen Arbeitsweise, die schnell Günstlinge anzog. Da der klassische Elitenaustausch der damaligen Zunft sich auch kriegsbedingt verzögert hatte, wurde der „Griff nach der Weltmacht“ als Ausgangspunkt einer „neuen Historikergeneration“ interpretiert, als Wegbereiter der sogenannten Sozial- und Alltagsgeschichtler. Viele Vertreter, die diese Chance nutzten, waren eigentlich gar keine Historiker, sondern Sozialwissenschaftler wie etwa Hans-Ulrich Wehler oder Jürgen Kocka. Zunächst eher skeptisch betrachtet, konnten sie sich schnell als vermeintliche „Modernisierer“ einen Namen machen. Nicht zu unterschätzen ist Fischers Werk in diesem Zusammenhang auch bei der zunehmenden Etablierung der „Emotionshistorie“ in Deutschland. Die immer deutlichere Ausschaltung der wissenschaftlichen Geschichtsforschung alten Stils führte dazu, daß immer mehr Politologen und Soziologen die Deutungsmacht in diesem Bereich übernahmen. Das Ziel war (und ist) die „Sensibilisierung“ des Lesers und Betrachters für „antidemokratische“, „chauvinistische“, „militaristische“, „imperialistische“ Denk- und Handlungsweisen. Wichtiger als die Darstellung historisch korrekt belegbarer Zusammenhänge ist dabei die „Aufklärung“ im Sinne des gesellschaftlichen Zeitgeistes. Das Produkt dieser Art von Forschung sind rasch gewonnene Fundamentalurteile, denen ein deutlicher Verlust von Allgemeinwissen über grundlegende historische Vorgänge entgegensteht. Allmähliche Rückkehr zur Nüchternheit Welche Folgen diese Entwicklung hat, wurde insbesondere bei der vor wenigen Jahren vom Hamburger Institut für Sozialforschung erstellten Ausstellung „Vernichtungskrieg – Verbrechen der Wehrmacht“ deutlich. Ohne Rücksicht auf jegliche Grundsätze historischer Facharbeit – dafür breit unterstützt mit Mitteln der öffentlichen Hand – wurde versucht, einer Art von „korrekter“ Geschichtsschreibung in Deutschland endgültig zum Durchbruch zu verhelfen. Mutige Fachhistoriker, die Kritik gegen die Darstellungsweise und die Hauptthesen einwandten, mußten sogar um ihr eigenes Renommee fürchten, wenn sie es wagten, sich kritisch über die Ausstellung oder die wissenschaftliche Vorgehensweise zu äußern. Erst in den letzten beiden Jahrzehnten läßt sich innerhalb der Geschichtswissenschaft wieder eine allmähliche Auflösung der Erstarrung beobachten, in die sie durch ihre politische Überfrachtung geraten war. So hat mittlerweile auch die Wiederkehr zur Nüchternheit dazu beigetragen, daß die von Fischer attestierte simple Kontinuität von Wilhelm II. zu Hitler endlich überwunden werden konnte. Dagegen ist die einseitige Kriegsschuldtheorie am Ersten Weltkrieg bis heute immer noch eine Mehrheitsmeinung in der deutschen Wissenschaft. Doch auch dort gibt es begründete Chancen auf eine Revision zur Wissenschaftlichkeit. Foto: Deutsche Soldaten auf dem Weg an die Westfront: Aggressivität des Deutschen Reiches vor Kriegsausbruch bewußt unterstreichen Foto: Fritz Fischer (1908-1999): Opportunist allererster Güte

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