Zu 99,4 Prozent, so lautet das jüngste Ergebnis, ist unser Erbgut mit dem des Schimpansen identisch. Der amerikanische Biologe Morris Goodman fordert nun, den Affen die Menschenrechte zu verleihen. Man kann aber auch ganz andere Folgerungen daraus ziehen – zunächst einmal die, daß es mit der Genetik noch nicht weit her ist. Denn wenn wir uns nur in 0,6 Prozent vom Tier unterscheiden, dann bedeutet es, daß sämtliche typisch menschlichen Eigenschaften in diesem halben Prozent DNA enthalten sein müssen. Vielleicht ist es noch weniger. Trotzdem bleibt es dabei, daß Menschen Romane schreiben und Proteine bestimmen können, das Tier jedoch nicht. Die Genforschung aber hat die Aufgabe, jedem kleinsten Unterschied nachzugehen, denn die kulturellen Folgen sind unbestreitbar. Auch wenn die Methoden noch viel zu grob sind, das Einebnen ist politisch, aber nicht wissenschaftlich korrekt. Irgendwie erinnert die 99,4-Verbrüderung an einen Autoaufkleber, den man vor zehn Jahren sah: „Jeder ist Ausländer. Fast überall.“ Fast sind wir Affen geblieben. Fast sind wir untereinander gleich. Nach der Sequenzierung des menschlichen Genoms ist das Ende jeder Form von Rassismus ausgerufen worden. Die unterschiedlichen Ethnien seien sich genetisch viel zu ähnlich, um von einer rassischen Identität sprechen zu können. Die erste Verunsicherung kam dann mit der Feststellung, daß der größte Teil der genetischen Information ohnehin aus leeren Phrasen besteht, die nur „mitgeschleppt“ werden. Von den 99,4 Prozent ist also der größte Teil bedeutungslos. Bei bisher gefundenen Gene hat sich zudem gezeigt, daß grundlegende Funktionen, die bei allen Lebewesen ähnlich sind, wiederum einen Großteil des Speicherplatzes verbrauchen. Für ideologisch relevante Eigenschaften wie Intelligenz, Kreativität, Disziplin etc. bleibt entsprechend ihrer späten evolutionären Entstehung nur ein winziger Anteil – der es in sich haben muß. Prozentzahlen sind daher ziemlich ungeeignet, um qualitative Unterschiede zwischen den Spezies oder gar zwischen den Rassen zu bezeichnen. Die eigene Haustür ist unter allen Türen der Welt wie die Nadel im berühmten Heuhaufen. Vor einiger Zeit legten Wissenschaftler eine Analyse der Mitochondrien-DNA bei 104 Personen unterschiedlicher Herkunft vor. Es stellte sich heraus, daß in diesen Zellkraftwerken bei Menschen aus nördlichen Ländern das Gen ATP6 so mutiert ist, daß mehr Wärme produziert wird, während bei Bewohnern der Südhalbkugel COI von den Mutationen betroffen ist, so daß bei mehr Energie weniger Wärme frei wird (s. Proceedings Dez. 2002). Als „Rasseforschung“ firmieren solche Untersuchungen freilich nicht, sie richten sich auf Wanderungsbewegungen und kulturelle Entwicklung – sowie auf das Ziel, einzelnen Menschen in Kenntnis ihrer besonderen Ausstattung medizinisch besser helfen zu können.