Karl Liebknecht gehöre ins Irrenhaus und Rosa Luxemburg in den Zoologischen Garten. Ausfälle von dieser Güte, zum besten gegeben in den ersten Wochen der Novemberrevolution von 1918, traut man heute nur alldeutschen Agitatoren zu. Nicht aber einem Professor, den bundesdeutsche Exponenten des „rationalen Diskurses“ zu ihren Stammvätern zählen: Max Weber. Der sprach aber tatsächlich nicht nur über „Karl und Rosa“ so, als hätte sich der Großdenker von seinen Gefühlen übermannen lassen. Obwohl gerade er, wie der Gießener Politikwissenschaftler Volker Heins meint, im Verdacht stehe, „besonders unnachgiebig die Rolle von Emotionen in der politischen Moderne denunziert zu haben“ (Zeitschrift für Politik, 4/02). Gilt Max Weber also zu Unrecht als Anwalt des „Emotionsmanagements“ durch charismatische Führer, Institutionen und Verbände? Daß Webers eigenes Emotionsmanagement im politischen Tageskampf offenkundig versagte, muß zwar noch kein Einwand gegen einen Theoretiker sein, der wie kein zweiter diktierte, daß erfolgreiche demokratische Politik stets und ausschließlich mit dem Kopf gemacht werde. Aber, so meint Heins in seinem Gießener Habilitationsvortrag über „Politik und Emotion: Von Max Weber zur Zweiten Moderne“, das persönliche Agieren weise auch auf blinde Flecken in der Theorie. Webers Vorstellung, daß kollektive Affekte politisch kanalisiert, eingedämmt und „vernünftig“ organisiert werden müßten, hat nach Heins‘ Ansicht in der Politikwissenschaft dazu geführt, daß die Beschäftigung mit dem Einfluß von Emotionen auf die Politik „regelrecht tabuisiert“ worden sei. Dabei gebe es bei Weber selbst starke Ansätze, auf die positive Funktion politischer Emotionen zu rekurrieren. Heins weist dafür auf dessen Deutung der vorexilischen jüdischen Prophetie. Weber schätzte Amos oder Jeremias, die keine Gehirntiere, sondern „reizbare religiöse Exzentriker“ waren, als Kritiker des „Gehäuses der Hörigkeit“, das die bürokratischen und militärischen Großmachtordnungen ihrer Zeit errichtet hatten. Ähnlich zielte Webers Emotionskritik nicht gegen die „unvernünftigen Massen“, sondern die von „chauvinistischen“ Gefühlen übermannten Eliten des wilhelminischen Kaiserreichs. Deshalb habe er im Übergang zur Weimarer Republik auch eine positive Beziehung zwischen Demokratie und kollektiver Emotion herstellen können. Damit fand Webers Theorie Anschluß an die Demokratie westlichen Typs, in der Emotionen im öffentlichen Raum einen Platz hätten und zur pluralistischen „Modulierung des kollektiven Gefühlslebens“ fähig seien. Trotzdem blieben sie bei ihm Gegenstand institutionalisierter „Wutkontrolle“. Nicht nur Weber vertraue daher weiter auf die Beherrschbarkeit „dunkler“ Mächte. Was aber taugt diese Theorie, wenn „Beruhigungs- und Beschwichtigungsapparate“ wie Nationalstaat, Kirchen oder Familie versagen? Für Heins, der sich hier dem „Risikotheoretiker“ Ulrich Beck anschließt, ist deren mangelhafte Integrationkraft evident. Sind doch solche Vergesellschaftungs- und Sinnstiftungsagenturen, die „Gehäuse der alten Moderne“, nicht mehr in der Lage, die „Angst“ auslösenden neuen „Technisierungs-“ und „Zugehörigkeitskonflikte“ zu bewältigen. Mit anderen Worten: der Nationalstaat bietet keinen Schutz mehr gegen unabsehbare Technikfolgen (Kernkraft, Treibhauseffekt, Genmanipulation) und „Globalisierung“ (Zuwanderung). Heins, der im vorigen Jahr eine Untersuchung über „Nichtregierungsorganisationen“ vorgelegt hat, sieht hier – in einer Art politischer Philosophie der Lichterkette – offenbar einen Weg, um über Webers „Wutkontrolle“ hinauszukommen. „Selbsthilfegruppen“, die sich als Opfer technischer Fehlentwicklung oder politischer Mißachtung fühlen, würden Angst und Unsicherheit als „interaktive Ressource“ zur „Verknüpfung von Personen, Orten, Themen und konkreten Handlungsanlässen“ nutzen. Diese „demokratieverträgliche Re-Emotionalisierung“ münde im Idealfall in der Bildung von „Menschenrechtsorganisationen und weltweiten Netzwerken“. Fraglich ist nur, ob diese „spontanen“ Gebilde Gefühle nicht viel subtiler neutralisieren und damit politisch „entsorgen“ als dies je eine staatliche „Apparatur“ gewagt hätte.
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