Herr Dr. Buchleitner, 1974 gelang es Ihnen zusammen mit anderen Ärzten, Therapiefreiheit und die Gleichberechtigung der biologischen Medizin mit der Schulmedizin im Zweiten Arzneimittelgesetz zu verankern. Wie sieht die augenblickliche Situation für die biologische Medizin in Deutschland aus?
Buchleitner: Geändert hat sich der Erstattungsmodus für die Arzneimittel der biologischen Medizin. Die nicht-verschreibungspflichtigen Arzneimittel werden weitgehend von der Kassenerstattung ausgeschlossen. Dies betrifft den größten Teil der biologischen Arzneimittel, die im Zweiten Arzneimittelgesetz als „besondere Therapierichtungen“ bezeichnet werden. Es handelt sich vorwiegend um homöopathische, anthroposophische und phytotherapeutische Präparate.
Was hat sich durch die Gesundheitsreform konkret geändert?
Buchleitner: Die Erstattung der Arzneimittel an die Verschreibungspflicht zu binden, ist reiner Unsinn, da diese nicht wegen einer besonderen Wirksamkeit der Mittel besteht, sondern wegen der erheblichen Gefahr von Nebenwirkungen. Also nur was gefährlich ist, wird bezahlt. Ein schwerer Schlag für die biologische Medizin, da durch dieses Gesetz – ohne Diskussion – eine Behandlung mit biologischen Arzneimitteln zu Lasten der Krankenkassen fast nicht mehr möglich ist.
Kritiker verweisen darauf, daß bisher noch kein Wirksamkeitsnachweis in Doppelblindstudien gelungen ist wie in der naturwissenschaftlich orientierten Schulmedizin üblich.
Buchleitner: Ein Wirksamkeitsnachweis im Doppelblindversuch ist für die Arzneimittel der biologischen Medizin nicht möglich. Er gilt für die Schulmedizin – und auch da nur für einen Teil -, da die meisten Mittel nur einen punktuellen Ansatz haben. Sie hemmen vor allem Tätigkeiten im Organismus, wie auch schon der Name sagt. Es gibt eine Unmenge von „Blockern“, „Hemmern“ und so weiter. Diese wirken nur auf einzelne Körperfunktionen wie Blutdruck, Blutzucker, Spasmen und dergleichen. In Doppelblindversuchen werden nur diese vordergründigen Wirkungen festgestellt, aber die zum Teil gefährlichen Nebenwirkungen, gerade über einen längeren Zeitraum hinweg, werden meist nicht beachtet.
Warum soll dies hier nicht möglich sein?
Buchleitner: Anders in der biologischen Medizin. Hier sollen Tätigkeiten der Organe und des Stoffwechsels angeregt werden, die eine heilende Wirkung auslösen. Es versteht sich von selbst, daß hier nicht kurzfristig gedacht werden kann. Dabei muß die Wahl des Mittels eingehend individualisiert werden. So gibt es in der Homöopathie eine große Anzahl von Arzneimitteln, die bei Gastritis angewendet werden können, aber je nach der Art der Beschwerden differenziert werden müssen. So wirkt Nux vomica bei Beschwerden, die nach dem Essen auftreten, dagegen Anacardium beim sogenannten Nüchternschmerz. Dies alles kann in einer Doppelblind-studie nicht berücksichtigt werden. Die Arzneimittel der „besonderen Therapierichtungen“ werden zugelassen aufgrund eines „wissenschaftlich aufbereiteten Erfahrungsmaterials“.
Welche Möglichkeiten gibt es für den Bürger heute, im Rahmen seines Krankenschutzes auf alternative Heilmedizin zurückgreifen zu können?
Buchleitner: Der Bürger kann auf alternative Heilmethoden zurückgreifen, muß aber – obwohl er krankenversichert ist – diese nun selbst bezahlen. Es gibt lediglich einige reformorientierte Krankenkassen, die Zusatzversicherungen anbieten. Ansonsten sollte sich der Bürger bewußt fragen, wer von einem Gesundheitssystem profitiert, in dem lediglich nebenwirkungsreiche Mittel durch Krankenkassen erstattet werden. Die moderne Medizin, seit Virchow auf chemisch-physikalische Gesichtspunkte orientiert, verstößt massiv gegen die erste Heilregel des Hippokrates: „Primum nil nocere“ (in erster Linie nicht schaden). Das veranlaßt schon zu der Frage, in wessen Auftrag diese Reform zustande gekommen ist.
Dr. med. Karl Buchleitner, 1919 in Baden bei Wien geboren, lebt und arbeitet seit 1960 als Arzt für Allgemeinmedizin, Naturheilverfahren und Homöopathie in Pforzheim. Unter anderem war er Vorstandsmitglied in der Gesellschaft Anthroposophische Ärzte und in der Hufelandgesellschaft für Gesamtmedizin.