Ein angeblicher Skandal schreibt Schlagzeilen: Blackrock zahlt 50 Millionen Euro zu wenig Steuern in Deutschland, europaweit könnten es von 2017 bis 2023 sogar eine Milliarde Euro gewesen sein. Grundlage der durchgehend unkritischen Berichterstattung ist die aktuelle Studie „Inside Blackrock“, deren Genesis eigentlich aufhorchen lassen sollte: Der frühere Parteichef der Linken, der deutsche EU-Abgeordnete Martin Schirdewan, und seine kleine Fraktion der Linken im Europaparlament (GUE/NGL) gab sie in Auftrag. Erstellt hat die 28 Seiten ein an linken US-Universitäten ausgebildeter türkischer Ökonom: Ceyhun Elgin, seit 2019 Professor an der Bosporus-Universität in Istanbul.
Daher überrascht nicht, daß sich diese Studie in die lange Reihe von Untersuchungen einreiht, die dem Fiskus märchenhafte Mehreinnahmen versprechen, wenn nur angebliche Steuerschlupflöcher in der EU oder in Deutschland gestopft würden. Man erinnere sich an die Phantasiemilliarden, die der SPD-Finanzminister Peer Steinbrück 2009 einnehmen wollte, wenn er die Kavallerie gegen Nummernkonten in die Schweiz schicken würde. Kurz danach war das Schweizer Bankgeheimnis tatsächlich Geschichte, doch die Steuermehreinnahmen stiegen bestenfalls homöopathisch.
Gewinnverlagerungen im EU-Binnenmarkt sogar erwünscht
Ein anderes Mal stellte eine amerikanische Studie den Spielzeugkonzern Mattel wegen dessen niedrigen Steuersatzes an den Pranger. Ein wichtiges Detail ging in der Schnappatmung unter: Die Studienautoren hatten nur die US-Bundessteuern betrachtet und die in einer Fußnote zur Bilanz angegebenen ausländischen Steuern ignoriert. Da das meiste Spielzeug im Ausland verkauft wird, fielen dort auch die höchsten Steuern an. Bei korrekter Gesamtbetrachtung lag die Steuerbelastung im normalen Rahmen. Keine sensationelle Erkenntnis.
Genauso schwach sind auch die neuen Vorwürfe gegen die New Yorker Investmentgesellschaft Blackrock der Elgin-Studie. Denn das grundlegende Problem ist, daß keine exakten Daten über Steuerzahlungen öffentlich verfügbar sind, schon gar nicht auf länderspezifischer Ebene. Also schätzt Elgin Einnahmen und Margen auf branchentypische Größen, die zutreffen können – oder auch nicht. Schon der Ausgangspunkt der Studie ist wackelig.
Dann kritisiert die Studie Gewinnverlagerungen, doch so einfach ist das nicht. Grenzüberschreitende Finanzdienstleistungen sind wegen des EU-Binnenmarkts ausdrücklich erwünscht. Das hatte eine Konzentration von Vermögensverwaltung in Irland und Luxemburg zur Folge. Vertrieben werden die dortigen Fondsstrukturen dann unter anderem in Deutschland. Das ergibt hohe Vertriebskosten in Deutschland, während die eigentliche Wertschöpfung in Irland oder Luxemburg stattfindet.
Steuerprüfung durch Finanzamt ist nötig
Wie Kosten und Gewinne bei grenzübergreifenden, aber konzerninternen Geschäften zuzuteilen sind, bestimmt ein komplexes Regelwerk zu Verrechnungspreisen. Grundsätzlich dürfen die Kosten interner Dienstleistungen sich nicht von den Preisen anderer Anbieter für vergleichbare Leistungen unterscheiden.
Um das zu ermitteln, ist eine ganze Industrie von Gutachtern entstanden, die gut davon leben, Verrechnungspreise zu ermitteln. Ohne Indizien spekuliert die Studie, Blackrock manipuliere diese Verrechnungspreise. Ob Blackrock seine Gewinne wirklich illegitim verlagert, kann eine simplistische Schätzung aufgrund von Durchschnittswerten jedenfalls nicht ermitteln. Dazu bräuchte man eine richtige Steuerprüfung durch ein erfahrenes Finanzamt.
Wer sich genauer mit Blackrock beschäftigt, findet schnell das endgültige Aus für die Legitimität der Studie. In der Bilanz des US-Mutterkonzerns findet sich eine latente Steuerschuld in Höhe von immerhin 3,153 Milliarden Dollar. Hinter diesem bedrohlichen Wortungetüm verbergen sich Diskrepanzen zwischen den in den Bilanzen genannten Steuerzahlungen, die nach einheitlichen Bilanzierungsregeln ausgewiesen werden müssen, und den tatsächlichen Steuerzahlungen, die nach den in jedem Land anderen Steuergesetzen gezahlt werden.
Blackrock-Studie übergeht großen Posten
Das führt zu temporären Differenzen, die sich hinter dieser Zahl verbergen, aber die nach einigen Jahren wieder verschwinden. Blackrock schlüsselt die Zahl weiter auf, und man findet 276 Millionen Dollar an Steuern, die im Ausland gezahlt wurden, aber noch nicht in der Bilanz ausgewiesen werden mußten. Wieviel davon auf Europa und Deutschland entfallen, ist nicht klar. Aber es ist rund das Fünfeinhalbfache der angeblich zuwenig gezahlten 50 Millionen, und dieser höhere Betrag wurde tatsächlich gezahlt, nicht geschätzt.
Es ist ein großer Posten, den die Studie übergeht, obwohl latente Steuerschulden und ihr Gegenstück, latente Steueransprüche, Kernstücke der Bilanzierung sind. Ist das böse Absicht, oder hat sich der Volkswirt mit dem Ausflug in die Tiefen der Unternehmensbesteuerung einfach nur zu weit aus dem Fenster gelehnt und wußte mit dem Posten nichts anzufangen? Das Gesamtbild der Studie deutet auf Absicht hin. Allein der Anspruch, aus öffentlichen Daten auch nur näherungsweise länderspezifische Steuern ermitteln zu können, ist wissenschaftliche Selbstbeschmutzung.
Abschaffung aller Ausnahmen, dafür aber Steuersatzsenkungen
Wenn dann Einnahmen und Margen nur geschätzt sind, ist jegliche Genauigkeit schon verloren. Die Studie ist in erster Linie politische Propaganda für Linksparteien wie La France insoumise (LFI) von Jean-Luc Mélenchon oder die spanische Podemos, nicht seriöse finanzwissenschaftliche Analyse.
Teilweise erinnert ihre Machart an den „Journalismus“ von Correctiv. Beispielsweise kommt das Wort „Steueroase“ auf den 28 Seiten zwölfmal vor, ohne daß Blackrock unterstellt wird, dadurch Steuern zu senken. Es geht offenbar um die Negativassoziation. Martin Schirdewan nimmt die Studie dennoch zum Anlaß, eine Erhöhung der Mindeststeuer von 15 auf 25 Prozent zu fordern.
Doch die Arbeit von Ceyhun Elgin unterstützt eher die gegenteilige Sicht: Unternehmenssteuern sind so komplex, daß niemand mehr nachvollziehen kann, wie sie zustande kommen. Angeblich sollen sogar Finanzämter an ihre Grenzen stoßen. Nötig wäre eine radikale Vereinfachung mit der Kettensäge samt Abschaffung aller Ausnahmen und Abzüge sowie drastischer Senkung des Steuersatzes.
Steuererklärung auf dem Bierdeckel – jetzt ist Friedrich Merz, von 2016 bis 2020 Aufsichtsratsche von Blackrock Asset Management Deutschland, tatsächlich in einer Position angekommen, in der er seine Wahlkampfidee von 2003 umsetzen könnte – wenn der jetzige Kanzler denn nur wollte.