Legitimiert durch die „Geisterarmee der Wähler von 2021“ (Harald Martenstein) haben die künftigen Koalitionäre mit Hilfe der Grünen und noch mit dem alten Bundestag im Hauruckverfahren unsere Finanzverfassung fundamental geändert. Nachdem Frank-Walter Steinmeier das verfassungsändernde Gesetz mit den neuen Ausnahmen von der Schuldenbremse unterzeichnet hat, sind sie geltendes Recht.
Viel Zeit für demokratischen Diskurs blieb da nicht. Das gilt auch für die möglichen Auswirkungen auf die Bau- und Immobilienwirtschaft.
Vordergründig betrachtet könnte man meinen, diese Auswirkungen wären durchweg positiv, wenn eine halbe Billion Euro zusätzliche Mittel für den Ausbau von Straßen, Schienen und digitaler Infrastruktur fließen, davon 100 Milliarden Euro für Investitionen der Länder in deren Infrastruktur. Die öffentlichen Aufträge könnten in Krisenzeiten als Konjunkturstütze wirken.
Es ist nicht klar, was mit „Investition in die Infrastruktur“ gemeint ist
Doch von den 500 Milliarden Euro über zwölf Jahre werden vorab 100 Milliarden Euro in den Klima- und Transformationsfonds (KTF) umgeleitet. Und die neuen Mittel sind bereits bei einem Investitionsanteil von zehn Prozent im normalen Bundeshaushalt als „zusätzlich“ deklariert, so daß im Umfang von zwei bis vier Prozent des Haushaltsvolumens (etwa 15 Milliarden Euro) investive Ausgaben in den neuen Infrastrukturfonds verschoben werden können.
Davon abgesehen ist nicht ganz klar, was unter einer „Investition in die Infrastruktur“ im Sinne des neuen Grundgesetzartikels 143h zu verstehen ist. Es kann sich um klassische Verkehrs-, Energie-, Bildungs- und Gesundheitsinfrastruktur handeln, also um Steine und Mörtel, aber eben auch um Klimaschutzmaßnahmen oder „soziale Infrastruktur“.
SPD-Generalsekretär Matthias Miersch hat schon eine neue Elektroautoprämie aus dem Sondervermögen gefordert. Und unter die soziale Infrastruktur könnten auch die Finanzierung der Krankenhausreform oder Integrationskurse fallen.
Allein das Verkehrswegnetz braucht 200 Milliarden Euro
Ein Zielkonflikt mit der Verteidigungsinfrastruktur besteht allerdings nicht, weil Ausgaben für Verteidigung, Zivilschutz, Nachrichtendienste, IT-Sicherheit und Ukrainehilfen jetzt von der Schuldenbremse ausgenommen sind – soweit sie ein Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) übersteigen. Der Infrastrukturfonds wird, abgesehen vom Klimaschutz, Investitionen in Höhe von 33,3 Milliarden Euro im Jahr erlauben, davon 18,3 Milliarden zusätzliche Investitionen jährlich oder knapp 220 Milliarden Euro in zwölf Jahren.
Insgesamt können Bund und Länder also mit dem neuen Fonds etwa 83,3 statt 65 Milliarden Euro jährlich investieren – und das auch nur, wenn die Länder nicht auch Investitionen in den Fonds verschieben. Bei einem weiter wachsenden Bundeshaushalt wird allerdings auch das Investitionsvolumen mit ansteigen.
Allein für die Wiederertüchtigung des Verkehrswegenetzes werden aber schon 200 Milliarden Euro benötigt. Die Sanierung des öffentlichen Gebäudebestands und der Aufbau einer digitalen Infrastruktur dürften ähnlich viel Kapital erfordern. Der Infrastrukturfonds ist also angesichts des gigantischen Modernisierungs- und Instandsetzungsstaus an unserer Infrastruktur gar nicht so großzügig bemessen. Wir haben die Infrastruktur auf Verschleiß gefahren und bekommen jetzt die Rechnung dafür präsentiert.
Immerhin wird der Wohnungsbau profitieren
Dennoch hat der Fonds Begehrlichkeiten geweckt. Ausgabenspielräume eröffnen die Privilegierung der Verteidigungsausgaben (fünf Milliarden Euro jährlich) und die Lockerung der Schuldenbremse der Länder (jährlich bis zu 15 Milliarden Euro). Schwarz-Rot plant schon wieder politisch motivierte Ausgaben wie die Erhöhungen von Mütterrente und Pendlerpauschale. Doch die Verteilungsspielräume werden zukünftig natürlich durch die laufenden Zins- und Tilgungszahlungen für die neuen Schulden begrenzt: Drei Prozent Zinsen von einer Billion Euro sind 30 Milliarden Euro im Jahr.
Angesichts des Wohnungsmangels in den Städten wird man den Wohnungsbestand als Teil der sozialen Infrastruktur deklarieren. Die Arbeitsgruppe „Verkehr und Infrastruktur, Bauen und Wohnen“ der Koalitionsverhandlungen plant bereits den weiteren Ausbau der sozialen und steuerlichen Wohnungsbauförderung, eigenkapitalersetzende Maßnahmen und einen mit öffentlichen Garantien versehenen Investitionsfonds für den Wohnungsbau.
Neben dem Wohnungsbau werden von den Lockerungen der Schuldenbremse werden in erster Linie Tiefbauunternehmen sowie Bau- und Immobilienfirmen profitieren, die sich auf öffentliche Immobilien, Sozialimmobilien und die energetische Gebäudesanierung spezialisiert haben. Außerdem kann die Bauwirtschaft von den zu erwartenden Aufträgen für Bunker, Kasernen, Rüstungsfabriken und Abschußrampen profitieren.
Ein anderes Problem sind die Kapitalmarkteffekte
Auf der anderen Seite könnte die erhöhte Nachfrage nach Bauleistungen zu Engpässen bei Materialien und Arbeitskräften führen und damit teilweise in Form steigender Baukosten verpuffen. Das kann auch den Wohnungsbau betreffen, der indirekt mit dem Tiefbau und direkt mit dem öffentlichen Hochbau um die knappen Ressourcen konkurriert. Die Kapazitäten der Bauwirtschaft werden kaum ausreichen, um dieses enorme Bauvolumen zu stemmen.
Ein anderes Problem sind die Kapitalmarkteffekte der zusätzlichen öffentlichen Verschuldung. Als ein erster Warnschuß ist unmittelbar nach Verkündung des Verschuldungspaketes die Umlaufrendite der Bundesanleihen bereits um etwa 0,3 Prozentpunkte nach oben geschossen.
Das hat auch die Zinsen für private Hypothekendarlehen mit nach oben gezogen. Bei einem Darlehensbetrag von 400.000 Euro sind das 100 Euro mehr Belastung im Monat.
Wachstumseffekte sind durch die Aufhebung der Schuldenbremse nicht zu erwarten
Die derzeit mit 63 Prozent des BIP niedrige Verschuldung der deutschen öffentlichen Haushalte wird mit den zusätzlichen Schulden deutlich ansteigen. Das ist angesichts der Überalterung der deutschen Bevölkerung eine gefährliche Entwicklung, die auch die Rolle Deutschlands als Stabilitätsanker und Kreditwürdigkeitsgarant der Eurozone in Zweifel ziehen kann.
Langfristige Wachstumseffekte sind von der Ausgabenflut nur in geringem Umfang zu erwarten, da es sich größtenteils um Instandsetzungs- und Verteidigungsausgaben handelt, die eigentlich nur wenig auf die gesamtwirtschaftliche Produktivität ausstrahlen. Ein Gegenbeispiel ist das Silicon Valley in Kalifornien, dessen Ursprünge auf die Militärpolitik der USA zurückgehen. Das Zusammenspiel von staatlicher Förderung, militärischen Bedürfnissen und unternehmerischem Innovationsgeist hat das Silicon Valley zu dem gemacht, was es heute ist.
Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen
Israel hat die enge Verknüpfung zwischen Verteidigung und Technologie den Ruf einer „Start-up Nation“ eingebracht. Militärische Innovationen haben oft die Grundlage für bahnbrechende zivile Technologien gebildet.
Daran sollten wir uns ein Beispiel nehmen. Die vielen neuen Schulden müssen wenigstens so produktiv wie möglich verwendet werden. Deutschland könnte so immerhin zu einem „Technonationalstaat“ werden.