Helmut Schlesinger, früherer Präsident der Deutschen Bundesbank (1991-93), geboren am 4. September 1924, ist am 23. Dezember 2024 verstorben. Er machte die D-Mark zum Leuchtturm für die internationale Finanzwelt. Wenn sich die Zentralbanken der großen Nationen an ihm ausrichteten, blieben sie auf Stabilitätskurs. Diese Position war der Bundesbank nicht zugefallen. Zwar war sie in ihren Entscheidungen unabhängig, doch bewegte sie sich nicht in einem luftleeren Raum.
Um dem Begehren von Staaten und Finanzwelt nach niedrigen Zinsen dauerhaft zu widerstehen, brauchen Notenbanker ein stabiles Rückgrat. Für Helmut Schlesinger war Inflation ein monetäres Phänomen. In Anlehnung an die Geldtheorie von Milton Friedman führte er das Konzept der Geldmengensteuerung ein. Die Entwicklung der Geldmenge sollte sich am wirtschaftlichen Wachstum orientieren.
Die D-Mark wird führend
Als gegen Ende der 80er Jahre des letzten Jahrhunderts ein massiver Anstieg der Inflation drohte, hielt die Bundesbank das Geld weiterhin knapp. Die Zinsen wurden in den zweistelligen Bereich gedrückt. So konnte sie die Inflationserwartungen brechen. Als Folge orientierten sich Politik und Gewerkschaften an den Vorgaben der Bundesbank. Damit wurde die Geldpolitik allgemein als unabhängige Variable akzeptiert. Ihr stetiger Kurs machte die D-Mark auch zur Leitwährung im Europäischen Währungssystem (EWS).
Das war nicht gewollt, doch mußten sich die Mitgliedstaaten des EWS schließlich an den Vorgaben der Bundesbank orientieren, wenn sie nicht die eigene Währung abwerten oder aus dem EWS ausscheiden wollten. Mit ihrer konsequenten Politik machte sich die Bundesbank aber nicht bloß Freunde. Insbesondere französische Politiker sahen die Stabilitätspolitik als Diktat und arbeiteten daran, die Vorherrschaft der Bundesbank zu brechen.
Schlesinger wird rotes Tuch in Großbritannien
Zu einer Zerreißprobe für das EWS wurde die deutsche Wiedervereinigung. Die damit verbundenen Aufbauleistungen finanzierte die Bundesregierung nicht über Haushaltskürzungen, sondern über den Kapitalmarkt. Da die Bundesbank bei ihrer Linie blieb, stieg das Zinsniveau an. Während Deutschland aufgrund des Wiedervereinigungsbooms die hohen Zinsen verkraften konnte, waren sie Gift für die Partnerstaaten. Dies galt in besonderem Maße für Großbritannien.
Im Herbst 1992 wuchs von Tag zu Tag der Druck auf die Bundesbank, die Zinsen zu senken; doch hielt sie an ihrem stabilitätspolitischen Auftrag fest. Bei dieser Konstellation kam der Haltung der Bundesbank, verkörpert durch ihren Präsidenten, Helmut Schlesinger, weltpolitische Bedeutung zu. Entweder beugte sich die Bundesbank dem internationalen Druck oder Großbritannien musste abwerten bzw. aus dem EWS aussteigen.
Ein Statement Helmut Schlesingers, angesichts der wirtschaftlichen Lage Großbritanniens sei ein Festhalten an den fixierten Wechselkursen nicht durchhaltbar, ließ alle Dämme brechen. Großbritannien sah sich gezwungen, das britische Pfund aus dem EWS zu nehmen. Als im britischen Unterhaus darüber debattiert wurde, brach ein Donnerwetter über Helmut Schlesinger herein. Immer wenn der britische Finanzminister, Norman Lamont, auf Schlesinger zu sprechen kam, war es, als ob Hammerschläge durch das Unterhaus hallten. Er war der Bösewicht, doch hat er Großbritannien den Weg zur wirtschaftlichen Gesundung geebnet.
Kohl änderte den Kurs wegen Frankreich
Großbritannien zog für sich daraus den Schluß, niemals wieder das Schicksal seiner Währung einer fremden Macht oder Institution anzuvertrauen. Norman Lamont hat später über Helmut Schlesinger geurteilt, er habe zurecht die D-Mark als Ankerwährung des EWS auf stabilitätspolitischem Kurs gehalten. Eine Nebenbemerkung: Der internationale Finanzinvestor, George Soros, machte bei diesem Vorgang sein Vermögen, weil er in großem Stile auf eine Abwertung des Pfunds wettete. Gefragt, was ihn bei seiner Spekulation so sicher gemacht habe, antwortete er, er habe auf die Zuverlässigkeit der Bundesbank gesetzt.
Das Ende der D-Mark hat Schlesinger nur als Außenstehender verfolgen können. Helmut Kohl hatte die D-Mark geopfert, weil der französische Staatspräsident Mitterand ihm bedeutet hatte, daß Frankreich bei weiterer Dominanz der Bundesbank die Europäische Union verlasse. Die Vergemeinschaftung der Währungen entmachtete die Bundesbank und nahm Europa den Stabilitätsanker. Das Konzept Schlesingers, die Zentralbank als unabhängige Variable zu etablieren, war Vergangenheit. Schlesinger sagte über diesen Politikwechsel, daß die Europäische Zentralbank (EZB) keine Geldpolitik im engeren Sinne betreibe, sondern nur noch Antikrisenpolitik.
Als kritischer Beobachter der Europäischen Währungsunion machte er Wissenschaft und Politik auf die Problematik der Target II-Salden aufmerksam. Hans-Werner Sinn hat das aufgenommen. Helmut Schlesinger kann für sich verbuchen, daß sich sein Stabilitätskonzept sowohl auf die deutsche Volkswirtschaft als auch auf die Weltwirtschaft vorteilhaft ausgewirkt hat. Die EZB hat dagegen die Pforten für eine Schuldenunion geöffnet, zumal Angela Merkel bemüht war, daß deutsche Währungsexperten vom Schlage Helmut Schlesingers gar nicht erst an die geldpolitischen Schalthebel der EZB gelangten. Mit dem Tode Helmut Schlesingers verliert Deutschland nicht nur einen herausragenden Geldpolitiker, sondern auch einen Mann, der uns an die Werte erinnerte, die einst die Stärke der deutschen Volkswirtschaft ausmachten.
Prof. Dr. Joachim Starbatty, Jahrgang 1940, Volkswirtschaftler, lehrte an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen, war Vorsitzender der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft und von 2014 bis 2019 Mitglied des EU-Parlaments.