BERLIN. Wirtschaftsexperten haben vor einer Überlastung der Beitragszahler zur Sozialversicherung gewarnt. Sollte das aktuelle Sozialsystem nicht reformiert werden, drohe der Gesamtbeitragssatz für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung bis 2050 von heute 40,9 Prozent auf über 50 Prozent anzusteigen, heißt es in einer Studie im Auftrag des Verbands „Die jungen Unternehmer“, berichtet das Handelsblatt.
Darauf könne „eine einseitige Aufkündigung des Generationenvertrags durch die junge Generation“ folgen, mahnte der Ökonom Christian Hagist von der „WHU – Otto Beisheim School of Management“. Die Universität gilt als eine der führenden im Bereich Wirtschaft in Europa. Hagist warnte, daß Arbeitnehmer ins Ausland oder die Schwarzarbeit flüchten könnten, um der steigenden Abgaben- und Steuerbelastung zu entkommen.
Beschäftigte bei Sozialbeiträgen von 50 Prozent weiterhin zur Arbeit zu motivieren, sei „total absurd“, fügte der Gesundheitsökonom Stefan Fetzer von der Hochschule Aalen hinzu, der das Gutachten gemeinsam mit Hagist erstellte.
Prognose: Kostenexplosion im Sozialsystem
Die zwei Ökonomen betrachteten alle Sozialversicherungsabgaben, die angesichts einer alternden Gesellschaft steigen werden. Bei der Pflegeversicherung erwarten sie einen Anstieg für Beschäftige ohne Kinder von vier auf mehr als fünf Prozent. Rentenbeiträge könnten von aktuell 18,6 Prozent auf über 22 Prozent steigen.
Hinzu kämen die Pläne des Bundesgesundheitsministers Karl Lauterbach (SPD) zur Sanierung und höheren Vergütung von Krankenhäusern. Die dadurch entstehenden Kosten plane Lauterbach zwar über die Haushalte der Länder und des Bundes zu finanzieren. Aufgrund der aktuellen Haushaltslage würden sie jedoch eher durch Beitragsanhebungen gestemmt werden, prognostizieren Hagist und Fetzer.
Lösungsansatz: Weniger Staat, mehr Freiheit
Um die Beschäftigten vor den steigenden Kosten zu schützen, unterbreiteten die Ökonomen Reformvorschläge. „Das Rentenniveau muß sinken können, damit sich auch Rentner und rentennahe Jahrgänge an den Transformationskosten des demographischen Wandels beteiligen“, zitierte das Handelsblatt aus dem Gutachten. Zudem müsse das Renteneintrittsalter an die steigende Lebenserwartung gekoppelt werden, um den demographischen Wandel auszugleichen.
Für den Gesundheitsbereich forderten Hagist und Fetzer die Wiedereinführung einer Praxisgebühr, um unnötige Arztbesuche zu minimieren. Vielversprechend sei das geplante digitale Versorgungsgesetz des Gesundheitsministers. Dadurch könnten im Gesundheitswesen jährlich mehr als 40 Milliarden Euro eingespart werden, berechnete die Unternehmensberatung McKinsey.
Lediglich bei der Pflegeversicherung argumentieren die Autoren für eine Beitragserhöhung. Jedoch solle damit kein weiterer Leistungsausbau erfolgen, sondern in einen kapitalgedeckten Pflegefonds – ähnlich wie bei der geplanten Aktienrente – eingezahlt werden.
Plan der Ökonomen: Abgabenlast „nur“ bei 45,6 Prozent
Dadurch könnte der Sozialversicherungsbeitrag auf Jahrzehnte unter der 50-Prozent-Schwelle gehalten werden. Bis 2050 stiege er auf „nur“ 45,6 Prozent anstelle der prognostizierten fast 51 Prozent an. Auch noch im Jahr 2080 sollte der Beitrag dann unter 50 Prozent liegen.
Ohne Reformen drifte die Sozialversicherung auf „Kipppunkte“ zu, warnten die Ökonomen. „Zeit ist Geld“, sagte Hagist. Sollten sich jüngere Beitragszahler aus dem Generationenvertrag entziehen, stehe auch der Wohlstand der Älteren auf dem Spiel. (sv)