KARLSRUHE/HANAU. Die Autoreifenhersteller Michelin und Goodyear werden in den kommenden Jahren vier Standorte in Deutschland schließen. Hohe Energiekosten und starke Konkurrenz führten dazu, daß die Fabriken nicht mehr wettbewerbsfähig seien, erklärte die Nordeuropachefin von Michelin, Maria Röttger, der Welt.
Demnach wird Michelin seine Standorte in Karlsruhe und Trier und Goodyear seine Fabriken in Fulda und Fürstenwalde schließen. Letztere sollen bis 2026, die ersten beiden sogar bereits vor 2025 geschlossen werden. Damit gäbe es in drei Jahren nur noch acht statt zwölf Fabriken für Reifenherstellung in Deutschland.
Zusätzlich wird Michelin offenbar im Werk Homburg (Saar) Teile der Produktion beenden. „Wir verlieren durch importierte Budgetstreifen zunehmend an Marktanteilen. Die sinkende Nachfrage resultiert in der Unterauslastung unserer Produktionsstandorte, was die Herstellkosten zusätzlich belastet. Daher gibt es keine Perspektive für diese Aktivitäten“, sagt Röttger. Insgesamt sind 1.532 Mitarbeiter betroffen. Nach der Schließung soll Michelin noch 4.780 Mitarbeiter in Deutschland führen.
Kehrt eine gesamte Branche Deutschland den Rücken?
Bei der Firma Goodyear sind es 1.750 Arbeitsplätze, die entfallen könnten. Beide Unternehmen verhandeln derzeit mit Betriebsräten und der zuständigen Chemie-Gewerkschaft „Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie“ (IGBCE) über Sozialpläne. Der Vorstand der Gewerkschaft, Francesco Grioli, kritisiert die Pläne scharf: „Ich habe die Sorge, daß gerade eine Branche dem Standort Deutschland den Rücken zukehrt, obwohl wir hier einige Standortvorteile haben. Die sollte man nicht so schnell aufgeben.“
Nach Aussage von Michelin-Managerin Röttger haben sich in den vergangenen drei Jahren mehrere Krisen angehäuft. „In Europa sind allein die Energiekosten in den letzten fünf Jahren um 260 Prozent gestiegen. Verglichen mit Nordamerika und China sind unsere Gesamtkosten der Produktion signifikant höher“, sagt sie.
Trotz des Engagements der Mitarbeiter und geplanter Investitionen gebe es für die nächsten Jahre keine Perspektive. Insgesamt habe das Unternehmen in den vergangenen zehn Jahren mehr als 500 Millionen Euro in die Modernisierung deutscher Standorte gesteckt.
Eine Abwärtsspirale
In der Zukunft ginge es darum, „Deutschland wettbewerbsfähig zu halten“. Die Autoreifenindustrie befinde sich in einer Abwärtsspirale. „Es ist nicht mehr ausreichend, mit Absichtserklärungen zu agieren. Wir brauchen eine Industriestrategie, die Mittelstand und Großunternehmen mit einbezieht – und dem müssen Taten folgen“, sagt Röttger.
Der Gewerkschaftsleiter Grioli glaubt, daß es auch andere Möglichkeiten der Industrierettung gebe. „Ich glaube, daß im Reifen noch so viel Innovation drinsteckt, auch im Lkw-Reifen. Das geht nicht nur über die Kosten.“ Chancen lägen beispielsweise in Zusatzdiensten wie einem digitalen Flottenmanagement, das über Sensoren im Reifen den Spritverbrauch reduziert. „Wenn wir nur Kautschuk produzieren, nehmen wir uns die Chance, in einem Zukunftsmarkt dabei zu sein“, sagt Grioli. (lb)