Angesichts der staatlichen Milliardenzahlungen und hochriskanten Garantien für am Abgrund stehende Banken sowie wegen des beginnenden Wahlkampfes hat die Bundesregierung den Kampf gegen Steuerhinterziehung entdeckt. Insbesondere Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) zieht verbalradikal gegen „Steueroasen“ zu Felde (JF 16/09) und verkennt dabei, daß der Staat bei seinen Bürgern an Vertrauen verloren hat und Steuerhinterziehung eine Folge davon ist.
Über diesen und andere Zusammenhänge können sich die Großkoalitionäre im jüngsten Ordo-Band kundig machen. Dort finden sie unter anderem einen Beitrag über „Wege zu mehr Steuerehrlichkeit“. Der Autor Charles Blankart beschreibt darin positive und negative Anreize für die Bürger, ihre Steuerpflicht zu erfüllen. Die positiven sind solche, die Vertrauen in den Staat schaffen, die negativen solche, die mit Fahndung und Bestrafung zur vollen Steuerzahlung bewegen sollen.
Steuern mittels direkter Demokratie beschließen
Vertrauen bildet sich (oder auch nicht) schon aufgrund der Art, wie Steuern beschlossen, begründet und gestaltet werden. Steuern, so Blankart, können schon in ihrer Konstruktion hinterziehungsgefährdet und so dem Vertrauen abträglich sein. So ist es dem Vertrauen zuträglicher, wenn über Steuern mittels direkter Demokratie beschlossen wird statt mit repräsentativer. Auch Objektsteuern anstelle von Subjektsteuern tragen dem Staat mehr Vertrauen ein. Und eine Rückkehr der EU bei der Umsatzsteuer zum Ursprungslandprinzip mit Vorumsatzabzug anstelle des heutigen Bestimmungslandprinzips mit Vorsteuerabzug würde ebenfalls in diesem Sinn wirken und daher die Anfälligkeit für Steuerhinterziehung verringern.
Nicht gerade vertrauensbildend sind die negativen Anreize. Wer sich Steuerfahndung und harten Strafandrohungen ausgesetzt sieht, wird schwerlich, wie Blankart schreibt, den Staat als Hort des Vertrauens ansehen. Zwar gebe es auch im besten Staat notorische „Freifahrer“, die keine Steuern bezahlen wollten. Daher seien Strafmaßnahmen unausweichlich. Aber sie seien auch ein vergleichsweise stumpfes Schwert. Sie könnten die Einstellung der Bürger zum Staat nicht verbessern und sie so zur Steuerzahlung bewegen. Manche neuen Praktiken der Beweisbeschaffung seien dazu geeignet, das Vertrauen der Bürger in den Rechtsstaat sogar zu unterhöhlen statt zu stärken. Unsicherheit über den Rechtsstaat könne die Steuerhinterziehung begünstigen. Kontraproduktiv für die Steuererfüllung sei es auch, solche Einkommen, die sich relativ leicht hinterziehen ließen, mit hohen Sätzen zu belasten. Blankart empfiehlt, daß Regierungen bei jeder Steuer abwägen sollten, „ob sich die erforderlichen Durchsetzungskosten gegenüber dem erzielten Steuerertrag, den Effizienzkosten und dem möglicherweise hingenommenen Vertrauensverlust die Waage halten“.
Aber Blankartz’ Betrachtungen sind nur ein Aufsatz neben zwanzig anderen in diesem Ordo-Band. Alfred Schüller zum Beispiel macht sich ordnungsökonomische Gedanken über die Finanzmarkt- und Bankenkrise. Wie in der Krise nach 1929 sei auch heute die Destabilisierung des Banken- und Finanzsystems einem Versagen des Staates und der Politik anzulasten, in diesem Fall dem der USA. Der Ursprung liege in einer hektischen Geld- und Zinspolitik der US-Zentralbank (Fed) im Dienst einer aktivistischen Konjunktur-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik. Schüller plädiert für eine konsequente liberale Ordnungspolitik, um diesen Zustand zu beseitigen. Der nächste Ordo-Band wird Ordnungsfragen zu den Banken und zum Finanzmarkt als thematischen Schwerpunkt behandeln.
Unmöglichkeit ausgeglichener öffentlicher Haushalte?
Viktor Vanberg erörtert vor allem die Konsequenzen staatlichen Handelns, die sich aus der Globalisierung und aus dem zunehmenden Standortwettbewerb ergeben. Manfred Streit schreibt über den Reformstau und das Elend des Verbändestaates mit der deprimierenden Schlußfolgerung, die „institutionelle Sklerose“ könne ursachentherapeutisch und nachhaltig nicht behoben werden. Norbert Berthold und Daniel Koch befassen sich mit der Staatsverschuldung als Dilemma sowie mit der Möglichkeit und Unmöglichkeit ausgeglichener öffentlicher Haushalte. Tobias Thomas hält Luxussteuern für fragwürdig und begründet, warum. Hans Jörg Hennecke nimmt die Grundsatzprogramme von CDU, CSU und SPD von 2007 unter die ordnungspolitische Lupe.
Dieter Schmidtchen fragt, ob das Wettbewerbsrecht der Freiheit verpflichtet sein soll oder der Effizienz, und entscheidet sich (wie schon bisher) für die Effizienz. Ihm widerspricht im Folgebeitrag Ernst-Joachim Mestmäcker und tritt für das Primat der Wettbewerbsfreiheit ein. Mit dem Spannungsfeld zwischen Freiheit und Effizienz in der Wettbewerbspolitik befaßt sich auch André Schmidt. Justus Haucap und André Uhde diskutieren Regulierung und Wettbewerbsrecht in liberalisierten Netzindustrien. Heinz-Dieter Schmeetz und Andreas Knorr beschreiben die Ordnung der heutigen deutschen Stromwirtschaft und erinnern sympathisierend an die „bahnbrechende Konzeption“ Helmut Gröners von 1975 für eine Wettbewerbsordnung in der deutschen Stromwirtschaft durch Entflechtung sowie Trennung von Stromerzeugung und Stromtransport.
Frank Daumann und Markus Breuer halten es ordnungsökonomisch für überholt, das staatliche Monopol auf dem Glücksspielmarkt aufrechtzuerhalten. Karsten Mause versucht zu klären, ob Bildung eine Ware ist. Michael Wohlgemut blickt auf 50 Jahre europäische Ordnungspolitik zurück. Weitere Autoren sind Lothar Wegehenkel, Heike Walterscheid, Ingo Pies und Christof Wockenfuß. Streit und Schüller erinnern an die deutschen Nationalökonomen Erich Hoppmann und Helmut Gröner. Zwanzig Buchbesprechungen schließen den Ordo-Band ab.
Ordo – Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft, Band 59. Lucius & Lucius Verlag, Stuttgart 2008, gebunden, 593 Seiten, 108 Euro