Die galoppierenden Energiepreise machen wieder einmal deutlich, wie nachteilig sich eine starke Abhängigkeit von Öl- und Gaseinfuhren auswirkt. Und die gesetzlich verankerte Kopplung des Gas- an den Ölpreis verschärft die Situation zusätzlich. Denn Erdgas wird in Deutschland nicht nur zum Heizen verwendet, sein Anteil an der Stromerzeugung – vor allem in der Industrie – liegt bei 15 Prozent. Laut einer vom Bundesumweltministerium herausgegebenen aktuellen Statistik sind aber nach wie vor Atomkraftwerke sowie Stein- und Braunkohlewerke mit einem Anteil von insgesamt 70 Prozent die größten Stromerzeuger. Die restlichen etwa 15 Prozent entfallen auf erneuerbare Energieträger wie Wasser- und Windkraft sowie Biomasse. Biogener Abfall, Geothermik und Photovoltaik sind dabei nach wie vor mit einem äußerst geringen Anteil an der Stromerzeugung beteiligt. Der 2002 von der rot-grünen Bundesregierung beschlossene Atomausstieg fand damals viel Beifall. Die deutschen Atomkraftwerke nach einer Betriebsdauer von insgesamt 32 Jahren stillzulegen und durch alternative Energieträger zu ersetzen, ist aber aufgrund der heutigen Situation in der Energieversorgung nicht realisierbar. Als Reaktion auf dieses Gesetz warben und werben die großen Energiekonzerne mit umweltfreundlichen Argumenten für neue Braunkohlekraftwerke, die auch teilweise schon im Bau sind. Sie argumentieren sogar damit, daß Braunkohle aufgrund ihrer Beschaffenheit (sie entstand aus Pflanzenresten) CO2-neutral sei. In dieses Bild paßt die Zielsetzung des Bundesrates mit den Ländern Brandenburg, Nordrhein/Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt, einen höheren Emissionswert für Braunkohlewerke durchzusetzen. Aber selbst mit neuester Technik haben solche Anlagen auch nur einen Wirkungsgrad von 40 bis 45 Prozent. Das von der Industrie wegen seines bis über 90 Prozent hohen Brennstoffnutzungsgrades bevorzugte Erdgas ist der Braunkohle weit überlegen. Die jüngste Preisentwicklung und die große Importabhängigkeit dürften sich aber hier stark bremsend auswirken. Inzwischen sind in Deutschland und den Niederlanden daher 42 neue Projekte für Ersatzbrennstoffanlagen in der Entstehung bzw. Planung, die für die Nutzung von aus Abfallprodukten entstehendem Brennstoff vorgesehen sind. Außerdem sind noch 31 Müllverbrennungsanlagen vorgesehen – Experten sehen hier allerdings schon die Gefahr von Überkapazitäten. Denkbar wären jedoch zentralisierte Großkraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung, deren Standorte bedarfsgerecht gewählt werden. Solche Projekte sind angesichts der vorhandenen Entsorgungsproblematik verschiedener Industrieprozesse durchaus denkbar, wobei man sich für die Errichtung Beteiligungsgesellschaften vorstellen könnte, die von den betroffenen Industrieunternehmen finanziert werden. Das bayerische Umweltministerium hat diesbezüglich bereits eine Studie für die ansässige Papierindustrie durchführen lassen. Laut Angaben des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) benötigen die energieintensiven Industrien für ihre Produktion etwa 25 Prozent des gesamten Energiebedarfs in Deutschland. Zu diesen Branchen gehören die Chemie-, Glas-, Papier-, Metall-, Stahl- und Zementindustrie. Etwa 750.000 Mitarbeiter sind in diesen Branchen beschäftigt. Sie erwirtschafteten 2006 einen Umsatz von fast 250 Milliarden Euro. Mit ihren Produkten sind diese Industrien Grund- und Werkstofflieferanten für den Automobil- und Maschinenbau, die Luftfahrt-, Elektro- und Druckindustrie sowie die Bauwirtschaft. Obwohl seit Jahren dort große Anstrengungen unternommen werden, den Energiebedarf durch Modernisierungsinvestitionen, neue Technologien oder Energiemanagement zu senken, ist in Branchen, die im Gegensatz zum Stahlmarkt keine höheren Preise für ihre Produkte erzielen können, die Ertragssituation durch die hohen Öl- und Gaspreise sehr kritisch geworden. Das trifft besonders die mittelständische Industrie. Die Politik versucht mit Sparappellen über ihre Ratlosigkeit hinwegzutäuschen. Der von Umweltaktivisten genannte Exportüberschuß beim Strom hält einer näheren Betrachtung nicht stand. 2006 und 2007 lag dieser Überschuß jeweils bei knapp 20 Terrawattstunden (TWh), was bei einem jährlichen Gesamtaufkommen von 636 TWh mit drei Prozent als geringfügig einzustufen ist. Was wäre zu tun? Eine Rückkehr zur vollen Pendlerpauschale würde zumindest die Arbeitnehmerhaushalte in den Flächenländern entlasten. Angesichts der durch die höheren Energiepreise sprudelnden zusätzlichen Steuerquellen dürfte die Gegenfinanzierung gesichert sein. Direkte Steuersenkungen für Kraftstoffe, Öl oder Gas sind allerdings kontraproduktiv, da dies nur zu neuen Preisschüben führen würde. Deshalb muß alles getan werden, die Förderung alternativer Energieerzeugung konsequent fortzusetzen und zusätzliche Anreize zu schaffen, die sowohl der Bevölkerung als auch der deutschen Industrie zugute kommen. Praxisorientierte und breit angelegte Forschungsprogramme zur Erschließung neuer Energieträger, dazu individuell zugeschnittene Energiemanagementkonzepte für Industrie und Verbraucher sind das Gebot der Stunde und müssen jetzt allerhöchste Priorität haben. Informationen zur Bruttostromerzeugung in Deutschland von 1990 bis 2007 nach Energieträgern finden sich unter: www.bmwi.de Die Studie „Ökoeffizienzanlagen von Reststoffströmen in der bayerischen Papierindustrie“ kann unter www.bifa.de bezogen werden.
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