Es ist eine Selbstverständlichkeit, wenn Millionen Menschen tagtäglich ihren Kaffee mit Zucker versüßen. Rübenzucker wird in unserer Ernährungsbranche zum Süßen und Konservieren verwendet. Aber nicht nur Privathaushalte, Bäckereien und Konditoreien brauchen dieses Naturprodukt; vielmehr ist es die Süßwaren- und Getränkeindustrie, die Zucker in großen Mengen verarbeitet. Rund 16 Millionen Tonnen wurden im vergangenen Wirtschaftsjahr EU-weit verbraucht. Seit über 220 Jahren dient in unseren Breitengraden die Zuckerrübe, die „Königin der Ackerpflanzen“, der Zuckergewinnung. Königin deshalb, weil sie höchste Ansprüche an Boden, Klima und Pflege stellt. In Deutschland, dem größten Zuckerproduzenten in der EU, gibt es deshalb nur wenige ausgewählte Standorte in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Süddeutschland. Immerhin sind es etwa 48.000 überwiegend kleinstrukturierte Familienbetriebe, die sich auf gut 440.000 Hektar Ackerfläche dem Rübenanbau widmen. Nach der Ernte im späten Herbst werden die Rüben gewaschen und geschnitten, extrahiert und gefiltert, gekocht, zentrifugiert und getrocknet, um schneeweiße, rieselfähige Kristalle zu gewinnen. In Deutschland gibt es 26 Fabriken, welche die Zuckerrübe nach diesem mechanisch-physikalischen Verfahren veredeln. Bislang sicherte die Zuckerrübe die Existenz vieler landwirtschaftlicher Betriebe. Grundlage ist die bis dato gültige Zuckermarktordnung aus dem Jahre 1968, die zur Stützung des EU-Binnenmarktes etabliert wurde. Durch die Festlegung von fixen Produktionsmengen je Betrieb, sprich Quoten, war den Rübenbauern die Abnahme und der Abnahmepreis sicher. Mit diesem System konnten in der EU die rund 375.000 Rübenbauern recht gut leben. Doch damit soll nach den Vorstellungen der EU-Kommission und deren Agrarkommissar Franz Fischler (ÖVP) Schluß sein. Schon ab 1. Juli nächsten Jahres nämlich sollen die Quoten und in Folge die Preise reduziert werden. Bis 2007/2008 will man den Zuckerrübenmindestpreis um 37 Prozent und bis 2008/2009 die Zuckerquoten von 17,8 um 2,8 Millionen Tonnen kürzen. Dabei wird der Mindestpreis für Zuckerrüben von bisher 43,6 auf 27,4 Euro je Tonne und der Stützungspreis für Zucker von 632 auf 421 Euro je Tonne gesenkt. Die Exportsubventionen werden von 2,4 auf 0,4 Millionen Tonnen eingeschmolzen. Bei diesem Schnitt haben die Reformer den Welthandel vor Augen, und Fischler will dies als ein Signal für die WTO-Verhandlungspartner verstanden wissen. Denn dem aus diesen Reihen erhobenen Vorwurf an die EU, den Zuckermarkt abzuschotten, nehmen die Reformvorschläge den Wind aus den Segeln. Mit dem Wegfall der Exportsubventionen für Zucker in Höhe von 1,3 Milliarden Euro und der geplanten zollfreien Einfuhr von Rohrzucker will man den 49 ärmsten Ländern der Welt „bei der Anpassung an die neuen Marktbedingungen“ helfen. Der ehemalige österreichische Landwirtschaftsminister Fischler verspricht sich davon mehr Wettbewerb und fallende Preise, von denen die verarbeitende Industrie und die Verbraucher profitieren. Auch der Umwelt nutze die Reform. Eine Zuckerbeihilfe soll den Landwirten über Einkommenseinbrüche hinweghelfen. Diese Gelder sind allerdings an sogenannte Cross-Compliance-Bestimmungen geknüpft, bei denen die Bauern umweltfreundliche Produktionsauflagen beachten müssen. Im Sinne der Umwelt machen sich zudem Stimmen stark, wonach heimischer Rübenzucker sehr gut zur Gewinnung von Bioethanol genutzt werden könne. Für die Landwirte böte sich damit weiteres Zubrot. Davon halten die Reformgegner nicht viel. Eher befürchtet man, daß durch die angestrebte Angleichung des EU-Binnenpreises an den Weltmarktpreis zahlreiche Bauernhöfe, aber auch Zuckerfabriken ihre Tore schließen werden. So rechnet der Rheinische Landwirtschaft-Verband vor, daß alleine in Nordrhein-Westfalen schätzungsweise 8.500 Höfe und mehrere tausend Arbeitsplätze in der vor- und nachgelagerten Branche auf dem Spiel stehen. Dagegen verblaßt das Argument des verbraucherfreundlicheren Zuckerpreises. Zumal, so der Bayerische Bauernverband, über 80 Prozent des Zuckers in Verarbeitungsprodukten verwendet und der Endverkaufspreis nur geringfügig beeinflußt wird. Ob Coca-Cola, Fanta oder andere stark gezuckerte Getränke preisgünstiger werden, ist deshalb fraglich. Die Reform in der vorliegenden Fassung würde mehr als 1,5 Milliarden Euro verschlingen. Wasser auf die Mühlen derer, welche den mit Überschüssen und fortgesetzten Preisverfall gebeutelten Weltzuckermarkt mit Argusaugen beobachten. Brasilien gilt als Hauptverursacher dieser Misere. Während der größte Zuckerproduzent seinen Weltmarktanteil seit den neunziger Jahren nahezu verzehnfachte, kappte die EU nicht nur ihren Marktanteil von 22 auf 17 Prozent, sondern wurde mit jährlich über 1,75 Millionen Tonnen zum weltweit größten Importeur von billig produzierten Rohrzucker aus Entwicklungsländern. Im Herbst werden sich die EU-Agrarminister mit der Neuordnung des Zuckermarktes befassen. In dieser Zeit ernten dann unsere Bauern die Rüben. Wie lange noch, bleibt vorerst ungewiß.