Unüberhörbar schlagen die Kommunalpolitiker Alarm. „Wenn die Städte kaputt sind, geht der Staat kaputt“, warnte Hannovers Oberbürgermeister Herbert Schmalstieg (SPD) eindringlich auf der 32. Hauptversammlung des Deutschen Städtetages am 13. Mai in Mannheim. Die Lage ist dramatisch: Die meisten Stadtsäckel sind leer, die Kommunen stehen vor dem Offenbarungseid. Mit drastischen Sparmaßnahmen versuchen Städte und Gemeinden der drohenden Pleite zu entgehen. Bauvorhaben werden gestrichen, Sanierungsmaßnahmen verschoben, soziale Leistungen gekürzt: eine schwere Hypothek für die Zukunft. (siehe auch JF 22/03) Und wer glaubt, wenigstens im Herzen Bayerns sei die Welt noch in Ordnung, der irrt. Sogar die Landeshauptstadt des weiß-blauen Freistaats ist pleite. München rutscht immer tiefer in die roten Zahlen und zehrt nur noch vom Glanz vergangener Zeiten. Weil allein die Sozialausgaben in diesem Jahr um 30 Millionen Euro höher liegen, als im Haushalt vorgesehen war, muß die Stadt einen Nachtragshaushalt aufstellen. Auch die Pläne für den Haushalt 2004 können nicht eingehalten werden: Für das nächste Jahr rechnet die Stadtkämmerei bei den Sozialleistungen mit 50 Millionen Euro mehr als angemeldet. Der Etat des Sozialreferats steigt in diesem Jahr um mehr als neun Prozent von 316 auf 346 Millionen Euro. Gründe für den dramatischen Anstieg der Kosten seien die steigenden Zahlen bei den Sozialhilfeempfängern, die falschen Schätzungen beim Übergang von der Sozialhilfe zur neu eingeführten Grundversorgung sowie die Zusatzkosten bei den Jugendämtern, heißt es. Zehn Millionen Euro zusätzlich verschlingt die Sozialhilfe. Immer mehr der knapp 1,3 Millionen Münchner Bürger sind auf Unterstützung angewiesen. Bezogen Ende des Jahres 2002 noch 47.000 Münchner Sozialhilfe, so geht Sozialreferent Friedrich Graffe (SPD) für dieses Jahr von 5.000 zusätzlichen Sozialhilfeempfängern aus: „Ende des Jahres werden wir etwa 52.000 Menschen unterstützen müssen.“ Ein weiteres Zehn-Millionen-Loch tut sich auf, weil die Stadt München durch die Einführung der Grundversorgung am 1. Januar mehr Menschen mit Sozialhilfe versorgen müsse als zuvor, erläutert Michael Baab, Leiter des Sozialamts. „Das Bundesgesetz gegen verschämte Armut hat dazu geführt, daß sich nun auch die Leute gemeldet haben, die zuvor aus Scham keine Sozialhilfe beantragt hatten.“ Die restlichen Kosten von zehn Millionen Euro entfallen auf die Jugendhilfe. „Die Kosten für Plätze in Heimen oder Tagesstätten stiegen, weil immer weniger Eltern in der Lage sind, ihre Kinder ohne öffentliche Hilfe zu erziehen“, sagt Petra Schmid-Urban, stellvertretende Leiterin des Sozialreferats. Während die Sozialausgaben der Stadt steigen, sinken ihre Steuereinnahmen. Nachdem der Arbeitskreis Steuerschätzung seine Zahlen zur Einkommen- und Gewerbesteuer präsentiert hat, erweist sich der ohnehin pessimistische Ansatz von 860 Millionen Euro an Gewerbesteuern als zu optimistisch. Auch bei der Einkommensteuer ist kein Silberstreif am Horizont zu sehen. Wegen der steigenden Arbeitslosenzahlen müssen die eingeplanten 565 Millionen Euro nach unten korrigiert werden. Die SPD-geführte Isar-Metropole hat sich in die lange Schlange derer eingereiht, denen das Wasser bis zum Halse steht. Die Pleite des Kirch-Konzerns hatte großen Anteil an der Misere. Aber auch andere Großunternehmen der Stadt, darunter Siemens, BMW und die Hypo-Vereinsbank, zahlen keine Gewerbesteuern mehr und wollen zusätzlich noch die Vorauszahlungen für die Jahre 2000 und 2001 zurückhaben. Insgesamt beziffert die weiß-blaue „Weltstadt mit Herz“ die Mindereinnahmen auf rund 300 Millionen Euro. Als eine Ursache für die leeren Kassen sieht selbst der sozialdemokratische Münchner Oberbürgermeister Christian Uhde die Steuerpolitik der rot-grünen Bundesregierung: „Allein die Erhöhung der Gewerbesteuerumlage kostet die bayerische Landeshauptstadt 350 Millionen Euro. Zudem ist es ein ausgemachter Skandal, daß Großunternehmen, die im Dax notiert sind, allesamt keinen Cent Gewerbesteuer bezahlen.“ Auch die steigende Arbeitslosigkeit hat inzwischen die bayerische „Boomtown“ erreicht. Die zahlreichen Kündigungen zum Ablauf des ersten Quartals 2003 haben in der Münchner Arbeitsmarktbilanz deutliche Spuren hinterlassen. Allein im März 2003 meldeten sich 13.223 Erwerbslose beim Arbeitsamt München – 24,6 Prozent mehr als vor einem Jahr. Die Zahl der Arbeitslosen stieg im April auf insgesamt 72.332, das ist eine Quote von 6,2 Prozent. „Der Abstand zum Vorjahr vergrößerte sich innerhalb eines Monates von 29,3 auf 31,1 Prozent. Die Arbeitslosenzahlen waren Ende April fast gleich hoch wie im Januar. Dies ist eine Situation, die im Wirtschaftsraum München bisher noch nie zu verzeichnen war“, erklärte Erich Blume, Direktor des Arbeitsamtes München, anläßlich der Präsentation der Arbeitsmarktstatistik für April. Ein genauerer Blick verrät jedoch noch mehr. Von den insgesamt 992.023 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in München waren nach den letzten offiziellen Erhebungen 141.078 Arbeitnehmer Ausländer, die zumeist nicht aus EU-Ländern, sondern aus der Türkei und Ex-Jugoslawien stammen. Der durchschnittliche Ausländeranteil an allen Beschäftigten liegt in München bei 14,2 Prozent. Sie sind zumeist in der Hotellerie und Gastronomie, in der Bauwirtschaft und im Reinigungsgewerbe tätig. Aber unter den 72.332 arbeitslos gemeldeten Personen im Wirtschaftsraum München sind 21.912 Ausländer – das sind 30,3 Prozent aller Erwerbslosen. Damit ist der Anteil der Ausländer, die von Arbeitslosigkeit betroffen sind, doppelt so hoch wie ihr Beschäftigtenanteil. Laut einer Statistik des Arbeitsamtes München haben 66 Prozent der arbeitslosen Ausländer keine abgeschlossene Berufsausbildung – bei den deutschen Arbeitslosen sind es nur 23,5 Prozent. Im April konnte das Arbeitsamt München lediglich 5.733 freie Arbeitsplätze akquirieren, 653 bzw. 10,2 Prozent weniger als noch vor einem Jahr. Der Zugang an Stellenangeboten hat sich im ersten Quartal sogar deutlich nach unten entwickelt: Ende April waren nur 11.315 freie Stellen gemeldet. Im Vergleich zum April 2002 hat sich der Arbeitskräftebedarf damit um 6.601 Stellenangebote bzw. 36,8 Prozent reduziert. „Auch wenn die aktuelle Situation am Stellenmarkt alles andere als zufriedenstellend ist – im Verhältnis zu anderen Großstädten ist sie immer noch weit besser“, meinte Blume mit Blick auf Berlin oder Bremen, wo die Arbeitslosenquote im zweistelligen Bereich liegt. „Derzeit müssen wir es schon als Erfolg betrachten, wenn wir zumindest dieses Level halten können.“ Wenn mit der Agenda 2010 der Bundesregierung demnächst das Arbeitslosengeld auf maximal 18 Monate begrenzt wird und die Arbeitslosenzahlen anhaltend hoch bleiben, fallen die Betroffenen in die Sozialhilfe – und damit kommen weitere Lasten auf die Kommunen zu. Und die Einnahmen gehen weiter zurück: Wer keine Arbeit hat, zahlt auch keine Lohnsteuer. Die Aussichten sind düster – auch in München. Foto: Arbeitsamt München: Dreißig Prozent mehr Arbeitslose als im Vorjahr