Der Austritt von Wolfgang Clement aus seiner Partei ist für die SPD ein Menetekel. Nach der Fahnenflucht Oskar Lafontaines ist der Abgang von Schröders „Superminister“ Clement, der vier Jahre lang Ministerpräsident des bevölkerungsreichsten deutschen Bundeslandes NRW war, ein schwerer Schlag für die krisengeschüttelte Partei. Sicherlich sind beide — Lafontaine und Clement — Primadonnen, die nicht in der Lage waren, sich Kompromissen zu fügen. Die am Montag vom SPD-Bundesschiedsgericht ausgesprochene Rüge gegenüber Clement war vermutlich angemessen. Daß ein Mann wie Clement das Handtuch wirft, ist aber Ausdruck für den Grad an personeller Auszehrung und inhaltlicher Desorientierung der SPD. Es ist auch ein Hinweis auf den Autoritätsverfall, unter dem diese traditionsreiche Partei leidet. Das Ypsilanti-Debakel in Hessen (vor dem Clement eindringlich gewarnt hatte) belegt: Die SPD hat sich in eine Zwickmühle manövriert, in der sie von zwei Seiten aufgerieben wird. Auf der einen Seite bietet sich die dynamische, angriffslustige, populistische PDS-Linke an, in deren Führungsriege immer neue bekannte Gesichter aus den Reihen der SPD auftauchen. Schon die Umfirmierung der als SED-Erbin imagemäßig schwerbelasteten PDS in eine scheinbar taufrische Partei, die sich völlig unbescheiden „Die Linke“ nennt, ist ein Husarenstück. Die SPD, die schon die Grünen durch einen großen Aderlaß zur etablierten Partei hochgepäppelt hat, steht nun davor, ihren Monopolanspruch als linke Volkspartei zu verlieren, ja schlimmer noch, ihre Marke wird ausgezehrt, das Sozialdemokratische wechselt in einer Art Seelenwanderung zur „Linken“ hinüber. Auf der anderen Seite stellt sich für die schwindsüchtige SPD die scheinbar wärmende Umarmung durch eine der Sozialdemokratie gespenstisch sich immer weiter anverwandelnde CDU/CSU als potentielle tödliche Erdrosselung heraus. Es ist das Rätsel dieser Tage, daß die von Spekulanten und entfesselten Finanzmärkten verursachte Wirtschaftskrise nicht eine Stärkung der Linken und hier der SPD gebiert, sondern ihre Zersplitterung. Die lange erwartete Italienisierung des Parteiensystems betrifft allein das linke Parteienspektrum, das sich auf Kosten der SPD weiter ausdifferenziert. Es ist auch ein Generationenwechsel. Die alten Männer, die die SPD einst prägten — wie Helmut Schmidt, aber auch Clement und Müntefering —, sind letztlich Geschichte. Den Böhnings, Edathys, Annens, Nahles, Heils wird es kaum gelingen, neben einer selbstbewußten Linkspartei und einer sozialdemokratischen Union altes Profil wiederzugewinnen. Lachender Dritter könnte die FDP sein, gelänge es ihr unter einer anderen, seriöseren Post-Westerwelle-Führung durch eine hypothetisch denkbare Einbindung von Clement und Merz bürgerliche, traditionelle Teile von SPD und CDU zu übernehmen, solange keine konservative Alternative im Entstehen begriffen ist.