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Herrscher, nicht Hegemon

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Wie sähe die Welt aus“, so fragte vor kurzem in einer Studie Peter Rudolf, Leiter der Forschungsgruppe Amerika der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, „wenn die USA nicht letzter Garant der Ölsicherheit wäre, wenn amerikanische Schiffe nicht die Sicherheit der Meere garantierten, wenn die USA in Ostasien nicht als primäre Gleichgewichtsmacht eine stabilisierende Funktion ausübten?“ Die Antwort auf diese Frage gab kurz vor Erscheinen dieser Studie der schottische Historiker Niall Ferguson in einem Beitrag für die Zeitschrift Cicero (26/06): „Die reale Alternative zur amerikanischen Vorherrschaft“ wäre womöglich nicht eine „multipolare Welt rivalisierender Großmächte“, sondern eine „Welt ganz ohne Hegemon. Die Apolarität könnte in ein anarchisches neues (‘finsteres’) Mittelalter münden: eine Epoche der verfallenden Imperien und des religiösen Fanatismus … der ökonomischen Stagnation und des Rückzugs der Zivilisation in einige wenige militärisch befestigte Enklaven“. Diese Ausführungen fokussieren nochmals Thesen, die Ferguson bereits seit längerem vertritt. Seiner Ansicht nach ist die Hegemoniestellung im Grunde ohne Alternative. Die EU werde aufgrund „demographischer Faktoren aller Wahrscheinlichkeit nach zunehmend an Einfluß und internationaler Bedeutung verlieren“. Es bliebe ihr nichts anderes übrig, als „ihre Wirtschaft zu amerikanisieren“, sprich die Grenzen für mehr Einwanderung zu öffnen. Falls das nicht geschehe, drohe sie in eine „nach außen abgeschottete Rentner- und Pensionärsgesellschaft“ abzugleiten. Skeptisch sieht Ferguson auch die Perspektiven Chinas. Ein Rückschlag in der wirtschaftlichen Entwicklung, zum Beispiel in Form einer „chinesischen Banken- und Währungskrise“, hätte „welterschütternde Auswirkungen“. Der Islam werde trotz der „Kolonisierung europäischer Städte“ eine „diffuse Kraft“ bleiben, der die Mittel, die eine Supermacht benötigt, auch in Zukunft fehlen. Auf Rußland kommt Ferguson hier, aus welchen Gründen auch immer, erst gar nicht zu sprechen. Alle kritischen Gedanken darüber, ob und inwieweit die weltweit ausgeübte Hegemonie der Vereinigten Staaten wünschenswert ist oder nicht, scheinen vor diesem Hintergrund müßig. Auch aus deutscher Sicht scheint es zur Kooperation mit den USA keine Alternative zu geben. Hierbei spielen auch Überlegungen eine Rolle, die aus der spezifischen deutschen Lage erwachsen. Sie umriß Erich Vad, der ehemalige Oberstleutnant im Generalstab und heutige sicherheits- und militärpolitische Berater von Kanzlerin Angela Merkel, wie folgt: Die Weltmacht USA sei ein Garant nationaler Sicherheit, weil sie „Renationalisierungstendenzen in Europa“ verhindere. Ein Ende der US-Präsenz würde aus deutscher Sicht bedeuten, daß „die Frage der Eindämmung und Kontrolle Deutschlands“ sowie das Problem, ein strategisches Gegengewicht zu Rußland bilden zu müssen, wieder auf die Tagesordnung käme. Das könne Deutschland nicht wollen, und deshalb müsse es weiter auf „einen engen transatlantischen Verbund“ setzen (Weikersheim-Dokumentation, Bd. XXX). Ein Rückzug der Amerikaner aus Europa, dies will Vad hier wohl hervorheben, würde die Deutschen überfordern, müßten sie doch die Rolle des politischen Objekts ablegen und wieder zum politischen Subjekt werden. Dazu bedürfte es einer eigenständigen Sicherheits- und Interessenpolitik, die viele schon deshalb ablehnen, weil sie einen Rückfall in die Koalitionspolitik vergangener Zeiten befürchten. Unter der Regierung von George W. Bush, tendenziell aber auch schon unter US-Präsident Clinton, hat eine Akzentverschiebung im Verständnis der Hegemonierolle der USA in Richtung eines „Hegemonialismus mit imperialen Implikationen“ stattgefunden. Sie bewegen sich damit ganz im Sinne US-amerikanischer Weltordnungsvorstellungen, die, so der Historiker Dirk Bavendamm, mindestens seit Franklin D. Roosevelt darauf abzielen, die „von den europäischen Mächten geschaffene Vielfalt der Reiche, Ränke und Regierungsformen durch eine einzige Welt abzulösen“, nämlich durch „eine liberale, demokratische und international verflochtene Welt wachsenden Wohlstandes und Wohlergehens“, in der die USA mit ihrem „way of life“ beispielgebend sein sollen. Seine klassische Definition hat der Begriff Hegemonie wohl durch den Berliner Staats- und Völkerrechtler Heinrich Triepel gefunden. In seiner 1938 erschienenen Arbeit „Die Hegemonie. Ein Buch von führenden Staaten“ definiert er Hegemonie als ein Verhältnis zwischen Staaten, in dem ein wirtschaftlich und militärisch überlegener Staat die Führung anderer Staaten übernimmt. Hauptunterscheidungspunkt zwischen Hegemonie und Herrschaft ist nach Triepel die Akzeptanz der Führung, die zum Beispiel aus dem Wunsch nach Schutz und Sicherheit der schwächeren Staaten resultieren kann. Herrschaft ist hingegen nicht auf Akzeptanz angewiesen, da sie den Schwächeren notfalls mit Zwang in die Schranken weisen kann. Die Akzeptanz der USA bezieht sich unter anderem auf die Ordnungsfunktion, die ihr von ihrem Gefolge für das Funktionieren einer offenen internationalen Wirtschaftsordnung zugebilligt wird. In diesem Sinne argumentierte vor allem der US-Ökonom und Hegemonialtheoretiker Charles Kindleberger, auf den der Begriff „wohltätiger“ oder „sanfter Hegemon“ eigentlich zurückgeht, den er Anfang der 1970er Jahre entwickelte. Kindleberger sprach deshalb von einer „benevolent hegemony“, weil die USA international für Sicherheit („Bereitstellung globaler öffentlicher Güter“ wie Frieden, freie Märkte etc.) sorgten und aufgrund ihrer Führungsrolle sowie mittels supranationaler Organisationen (wie WTO, Weltbank, Internationaler Währungsfonds etc.) darauf hinwirkten, Normen und Regeln durchzusetzen. Ein Machtverlust des Hegemons, so das Kalkül der Gefolgestaaten, hätte destabilisierende Folgen für die Wirtschaftsordnung und die weltweite Sicherheit. Seitens des Hegemons USA wird nun erwartet, daß sich die Profiteure der weltweiten Ordnungsfunktion, die die Vereinigten Staaten ausüben, an den Kosten beteiligten („burden-sharing“). Äußerst unwillig reagiert der Hegemon immer dann, wenn sich ein Staat, der von den „öffentlichen Gütern“ profitiert, der Kostenteilung zu entziehen versucht (sogenanntes Free-Rider-Phänomen). Würde dessen Beispiel nämlich Schule machen, wäre auf lange Sicht die Aufrechterhaltung der Hegemoniestellung gefährdet; es käme zu dem, was seit Paul Kennedy als „imperial overstretch“ („imperiale Überdehnung“) bezeichnet wird. Unter der Regierung von George W. Bush, tendenziell aber auch schon unter US-Präsident Clinton, hat eine signifikante Akzentverschiebung im Verständnis der Hegemonierolle der USA stattgefunden. Zugespitzt könnte man sagen, daß diese Hegemonie seit Bush nur noch dann „sanft“ ist, wenn sich die US-Interessen mit denjenigen der anderen Staaten decken. Peter Rudolf spricht von einem „neuen strategischen Paradigma“ bzw. von einem „Hegemonialismus mit imperialen Implikationen“. Einseitiges Handeln und „harte, ‘erzwingende’ Macht“ zur Durchsetzung „eigener, sehr weit verstandener Sicherheitsinteressen“ sei an die Stelle „konsensorientierter Kooperation“ getreten (sofern es letztere überhaupt je gegeben haben sollte). Diese Entwicklung hatte sich bereits unter der Regierung Clinton abgezeichnet und markiert einen grundsätzlichen Richtungswechsel der US-Außenpolitik hin zu einem immer unverhohlener praktizierten Unilateralismus. So findet sich in der 1995 veröffentlichten und von Clinton verantworteten National Security Strategy (NSS) bereits der Satz: „Wenn Interessen unserer nationalen Sicherheit bedroht sind, werden wir, wie Amerika es immer getan hat, auf militärische Mittel zurückgreifen, wenn wir müssen.“ Zu den Sicherheitsinteressen zählte Clinton ausdrücklich auch die Wirtschaftsinteressen der USA. Daß sich diese Wirtschafts- und Sicherheitsinteressen auf die ganze Welt erstrecken, liegt in der Konsequenz dieser Sichtweise. Niemand bekannte dies offener als Roosevelts Staatssekretär Henry Stimson, dessen Doktrin des Pan-Interventionismus 1941 („Stimson-Doktrin“) in dem Satz gipfelte: „Die Erde ist heute zu klein für zwei entgegengesetzte Systeme.“ Zu voller Entfaltung ist dieser Anspruch in der Ära Franklin D. Roosevelt gekommen, der hartnäckig seine Vision der einen Welt, geprägt von globaler Demokratie und Marktwirtschaft, verfolgte. Die Konsequenzen dieses Anspruches skizzierte Carl Schmitt in seiner 1943 erschienenen Schrift „Die letzte globale Linie“ wie folgt: „Die Regierung der Vereinigten Staaten wirft sich zum Richter der ganzen Erde auf und nimmt sich das Recht auf Einmischung in alle Angelegenheiten aller Völker und aller Räume. In unmittelbarem Selbstwiderspruch schlägt die extrem-defensive Selbstisolierung in einen ebenso extremen, raum- und grenzenlosen Pan-Interventionismus um.“ Dieser Pan-Interventionismus wird seit jeher mit wohlklingenden Phrasen bemäntelt, wie zum Beispiel Chalmers Johnson (Der Spiegel, 45/2000) feststellte: „Amerikaner lieben es, Euphemismen zu erfinden. Freie Welt und Globalisierung. Das klingt schön … und gaukelt Unvermeidbarkeit vor. Aber … Globalisierung ist eine amerikanische Ideologie. Sie steht für Ausdehnung zu unseren Bedingungen und für Freihandel, solange er uns nützt …“ Daß diese Bedingungen notfalls mit Gewalt durchzusetzen sind, hat zum Beispiel der einflußreiche Neocon-Wortführer Robert Kagan unterstrichen. In seinem Essay „Power and Weakness“ (2002) stellt er unter anderem fest, daß Stärke und Macht allein auf den militärischen Möglichkeiten eines Staates basierten. Herablassend äußert sich Kagan über die Bestrebungen der Europäer, so etwas wie international gültige Regeln oder Gesetze durchsetzen zu wollen. Europa, so dekretiert Kagan, stehe für eine „Psychologie der Schwäche“, weil seine militärischen Möglichkeiten beschränkt seien. Neben den „Neocons“ und ihrer Überzeugung, daß alle Macht aus den Gewehrläufen kommt, üben die evangelikalen Strömungen einen erheblichen Einfluß auf die Außenpolitik der Regierung Bush aus. Auf diese evangelikalen Strömungen ist unter anderem, wie Josef Braml in seiner Studie „Amerika, Gott und die Welt“ (Berlin 2005) plausibel aufgezeigt hat, die Fokussierung auf den Nahen Osten, insbesondere auf Israel, zurückzuführen. Die Option für Israel kulminiert in Formulierungen wie zum Beispiel: „Amerika wird keine freie Nation bleiben, wenn wir Israels Freiheit nicht verteidigen“ (Jerry Falwell). Der Hegemon verortet sich außerhalb oder oberhalb des Rechts und dekretiert gleichzeitig, daß es kein Außerhalb dieses Rechts geben kann. Wer von den USA angeklagt wird, sich dennoch außerhalb dieses Rechts zu stellen, hat mit Sanktionen zu rechnen. Evangelikale sehen in der Gründung des Staates Israel ein Zeichen für die Erfüllung biblischer Weissagungen: Jesus Christus wird nach Auffassung der Evangelikalen erst dann wiederkommen, „wenn Israel in seinen alttestamentarischen Grenzen etabliert ist. Erst dann ist der Boden für den Entscheidungskampf (Armageddon) bereitet, bei dem das ‘Gute’ über das ‘Böse’ siegen wird“. Evangelikale sind entschieden dagegen, daß auch nur ein winziger Teil des Landes für ein Friedensversprechen aufgegeben würde. Diese in den USA sehr einflußreichen und äußerst aktiven Gruppen engen den politischen Handlungsspielraum der Bush-Regierung erheblich ein, sollte sie versuchen, außenpolitischen Druck auf Israel auszuüben, um Konzessionen zu erwirken. Diese religiös-moralische Aufladung der US-Außenpolitik (die im übrigen mehr oder weniger immer deren Ostinato war und ist) hat insbesondere nach dem 11. September 2001 ihren Anteil an einem bis heute anhaltenden Ausnahmezustand, der, wenn man so will, den verdeckt imperialistischen Charakter der Hegemonie der Vereinigten Staaten voll zur Kenntlichkeit gebracht hat. Hierzu sind immer noch die Einlassungen Carl Schmitts aus seiner „Politischen Theologie“ (2. Ausgabe, 1922) instruktiv, in der er unter anderem schrieb: „Und wenn man das Allgemeine richtig studieren will, braucht man sich nur nach einer wirklichen Ausnahme umzusehen. Sie legt alles viel deutlicher an den Tag als das Allgemeine selbst.“ Über den Ausnahmezustand entscheiden die Vereinigten Staaten (in der Regel als „Unilateralismus“ bezeichnet), und zwar entweder alleine oder da, wo es sich anbietet, im Verein mit Gefolgestaaten. Der Hegemon verortet sich also, um hier eine Einlassung des italienischen Philosophen Giorgio Agamben wiederzugeben, außerhalb oder oberhalb des Rechts und dekretiert gleichzeitig, daß es kein Außerhalb dieses Rechts geben kann. Wer von den USA angeklagt oder verdächtigt wird, sich dennoch außerhalb dieses Rechts stellen zu wollen, hat mit Sanktionen zu rechnen, die bis zur Waffengewalt gehen können. Die Sanktionsmechanismen werden in der Regel mit dem Verweis auf die „Menschheit“ eingeleitet. Um hier noch einmal Carl Schmitt zu zitieren, der in dieser Mechanik ein Kriterium „imperialistischer Expansion“ sah: „‘Menschheit’ ist ein besonders brauchbares ideologisches Instrument imperialistischer Expansion und in ihrer ethisch-humanitären Form ein spezifisches Vehikel des ökonomischen Imperialismus.“ Vor diesem Hintergrund kann die Art und Weise der von den USA ausgeübten, vorgeblich „sanften Hegemonie“ nicht anders denn als global ausgeübte Herrschaft mit quasi-diktatorischen Zügen bezeichnet werden. Hier liegt wohl der eigentliche Kern der Angriffe des russischen Präsidenten Putin bei der jüngsten Münchener Sicherheitskonferenz, die bezeichnenderweise in der Feststellung gipfelten, daß „die monopolare Welt mit der Demokratie nichts zu tun“ habe. Putins Rede (JF 9/07) könnte ein erster Hinweis darauf sein, daß die Regierung Bush die Hegemonialstellung der USA in einem Maße überzogen und ausgebeutet hat, das bisherige „Mitspieler“ es offensichtlich mehr und mehr als lohnend erachten, selbst in militärische Stärke und Einfluß zu investieren, um die Vorherrschaft der Vereinigten Staaten zu brechen. Aus dem Kreis der „Mitspieler“ hat sich Putin nun offen als Herausforderer bekannt. Michael Wiesberg , Jahrgang 1959, arbeitet als Publizist und Lektor. Auf dem Forum der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über informelle Netzwerke (JF 48/05).

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