Verweht sind die Fahnen der Fußball-WM. Die Tage werden kürzer, der Wind treibt die ersten gefallenen Blätter durch die Straßen … es wird Herbst. Was bleibt von der schwarzrotgoldenen Welle, dem deutschen „Sommermärchen“, wie Sönke Wortmann historisierend seinen Kinofilm genannt hat? Viele sind skeptisch. Der Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober wurde nicht anders begangen als in den Vorjahren. Routinierte Langeweile zeichnet diesen Tag aus. Lieblose Würstchenbuden-Veranstaltungen mit albern schunkelnden Politikern in Kiel – so würdigt die europäische Mittelmacht ihre Wiedergeburt als politisches Subjekt durch die Wiedervereinigung. Blamabel. Der heißdiskutierte WDR-Film „Wut“ zeigte kürzlich auf erschütternde Weise das Morsche, Zerrüttete, Ehrlose an der deutschen Gesellschaft. Jugendliche mit „Migrationshintergrund“ sehnen sich nach Autorität, Stolz, Selbstbewußtsein. Sie treffen auf deutsche Repräsentanten – in Gestalt von Politikern, Journalisten, Lehrern, Pfarrern -, die unfähig sind, zu benennen und vorzuleben, was es heißt, Deutscher zu sein. Wer einen Rest Selbstwertgefühl behalten will, zieht sich auf seine Tradition, seine Kultur, seine Religion zurück. In Dietzenbach, einer hessischen Kreisstadt bei Offenbach, bemüht man sich nun, auf die selbstverständlichste Weise Integration deutscher und ausländischer Kinder zu befördern. Der Stadtrat beschloß in der vergangenen Woche mit den Stimmen von CDU, Freien Wählern und Republikanern, in den städtischen Kindergärten nur noch Deutsch als Umgangssprache zuzulassen und außerdem ein Bild des Bundespräsidenten und eine Deutschlandfahne aufzuhängen. Ziel dieser Initiative, so der CDU-Fraktionsvorsitzende Helmut Butterweck gegenüber dieser Zeitung, sei die stärkere Bindung insbesondere der Ausländerkinder an das deutsche Gemeinwesen. Der Ausländeranteil der 35.000-Einwohner-Stadt liegt bei über 30 Prozent. Unter Kindern und Jugendlichen nähert sich der Anteil derjenigen mit „Migrationshintergrund“ der 50-Prozent-Marke. Dietzenbach ist ein Beispiel für die Verhältnisse, die ins Rutschen geraten. Die Lokalpolitiker warnen, daß viele Ausländerkinder wegen mangelnder Deutschkenntnisse und Integrationsproblemen auf dem Arbeitsmarkt chancenlos seien. Und jetzt? Die Aufregung über diesen harmlosen Beschluß ist groß. Viele überregionale Medien kommentieren ihn blasiert als Provinzposse, indes geht es in vielen städtischen Bezirken ganz Deutschlands integrationspolitisch ans Eingemachte. CDU-Mann Butterweck nun räumt ein, daß die Entscheidung für Fahne und Köhler-Bild von der WM-Euphorie beflügelt wurde: „Wir haben doch erlebt, wie gerade viele türkische Jugendliche begeistert die deutsche Fahne geschwenkt haben!“ Er bekomme auch von den ausländischen Eltern überwiegend positive Reaktionen, während deutsche Journalisten und Politiker der Linken eher ablehnend reagierten. Ein türkischer Unternehmer aus der Region erklärt, man sei das doch aus der Türkei gewohnt, daß in jedem Klassenzimmer der Staatsgründer Atatürk und die Nationalfahne hingen: „Wir leben doch in Deutschland! Das sollen doch die Kinder ruhig merken!“ Allen deutschen Politikern scheint dies nicht klar zu sein.