Wer zählt die Köpfe, nennt die Namen im endlosen Redeschwall der Nachrichten, der politischen Diskussionen und Talkshows sowie im täglichen Buchstabenmeer der Printmedien. Da wird jedes Problem – ob es eines ist oder nicht – von allen Seiten beleuchtet und aus hundert verschiedenen Warten betrachtet. Aber fast immer fehlt das eine, entscheidende, zentrale Argument: das Prinzip Eigentum. Beim Eigentumsrecht, dem Wesenskern allen Rechts, scheint sich im Hirnschmalz der politischen Eliten und Medien-Intellektuellen ein blinder Fleck zu befinden. Beginnen wir mit dem relativ harmlosen Ladenschluß-Thema. Monatelang wurde diskutiert, ob eine längere oder gar ganz beliebige Öffnungszeit nun nützlich oder schädlich für die kleineren Geschäfte wäre, ob es dem Verkaufspersonal zuzumuten sei, bis in die späten Abend- oder gar Nachtstunden zu arbeiten, ob der Konsum zunehmen würde oder gleichbleiben (weil sich im Portemonnaie der Kunden schließlich nicht mehr Geld befände, wenn sie länger einkaufen könnten), ob es zu einer Beruhigung der Verkehrsbelastung bestimmter Straßen führe, ob die Familien nicht darunter leiden würden, wenn die Eltern Schichtarbeit verrichten müßten, und so weiter und so fort. Nur das einzig entscheidende Argument war nie und nirgendwo zu hören: Daß nämlich der jeweilige Geschäftseigentümer allein und autonom über sein Eigentum verfügen können muß, daß es also allein ihm überlassen bleiben muß, wann und wie lange er seinen Laden oder seinen Supermarkt öffnet oder schließt. Dasselbe fand und findet beim Thema Rauchverbot statt. Niemand hat etwas dagegen, daß ein Mensch in seinem eigenen Haus rauchen kann, soviel er will. Geht es aber um sein ihm gehörendes Büro oder um ein in seinem Eigentum stehendes Restaurant oder Café, dann schwirren die Pro- und Kontra- Argumente hin und her, als handele es sich bei diesem Privateigentum um öffentliche Räume. Ein Restaurant, eine Kneipe oder Bar ist aber kein öffentlicher Raum. Es steht, wäre da nicht der „blinde Fleck“, einzig und allein dem Eigentümer zu, darüber zu befinden, ob in seinen Räumen geraucht werden darf oder nicht. Niemand ist gezwungen, ein Raucher- oder Nichtraucher-Lokal aufzusuchen, wenn es ihm nicht paßt, daß dort geraucht wird oder nicht geraucht werden darf. Jedermann kann in ein anderes Lokal gehen oder zu Hause bleiben oder seine eigene Kneipe eröffnen; aber niemand hat ein Entscheidungs- oder Verfügungsrecht über fremdes Eigentum. Wo bleibt dieses einzig ausschlaggebende Argument im unausschöpflichen Redeschwall? Noch brennender und unsäglichen Schaden stiftend wird der blinde Fleck im Hirn der Eliten beim Thema Antidiskriminierungsgesetze. Mit diesem Machwerk der anmaßenden Classe politique wird das Eigentumsrecht und die mit ihm untrennbar verbundene Vertragsfreiheit ausgehebelt – und somit das tragende Fundament des Rechtsstaates zerstört. Selbstverständlich muß der Eigentümer einer Wohnung frei und autonom entscheiden können, an wen er seine Wohnung vermietet und an wen nicht. Er mußt sogar frei sein, in der Vermietungsannonce schreiben zu können: „Keine Vermietung an Nicht-Christen“, genauso wie ein Nicht-Christ frei sein muß, zu annoncieren: „Keine Vermietung an Christen“ – oder an Hundebesitzer, an Familien mit Kindern, an Rothaarige oder Blauäugige oder Fahrer eines Ford Mustang. Wenn der Wohnungseigentümer so begrenzt ist, solche Vorurteile zu hegen, dann ist das seine Sache, denn die Wohnung ist sein Eigentum und kein öffentlicher Raum. Der Staat freilich – als Inhaber des Gewaltmonopols, also als einziger, der seinen Willen unter Androhung oder Ausübung von Gewalt durchsetzen kann, darf das nicht. Für den Staat und seine Organe gilt das Prinzip „Gleiches Recht für jedermann“, also auch Gleichbehandlung aller, also auch Nichtdiskriminierung gegenüber jedem Einzelnen – in welcher Hinsicht auch immer. Aber doch nicht für den Privateigentümer, der keinerlei Zwang oder Gewalt ausüben darf und gerade deshalb allein entscheiden können muß, mit wem er friedlich Verträge schließt oder nicht – und warum oder warum nicht. Auch hier also tausend Argumente für und gegen die Antidiskriminierungsgesetze, nur nicht das einzig entscheidende Argument der Verfügungsfreiheit über das private Eigentum. ……………………………. Der Eigentümer einer Wohnung muß frei sein, zu annoncieren: „Keine Vermietung an Nicht-Christen“ – oder Rothaarige oder Blauäugige. Wenn er so begrenzt ist, solche Vorurteile zu hegen, dann ist das seine Sache, denn die Wohnung ist kein öffentlicher Raum. ……………………………. Erst recht grotesk wird die Sache mit dem blinden Fleck bei den Steuern und Abgaben. Der Gewaltmonopolist Staat befiehlt seinen Bürgern: Stehle nicht, raube nicht, erpresse nicht, sonst bestrafe ich dich und sperre dich ein. Zieht er jedoch selber seine Steuern und Abgaben unter Androhung oder Ausübung von Gewalt ein, dann heißt das im Klartext: Wenn du, Bürger, das Geld deines Nachbarn stehlen willst, um damit die Ausbildung deiner Kinder zu bezahlen – oder die Miete deiner Sozialwohnung, dann wende dich an mich; ich mache ein Gesetz, setze ein Paragraphenzeichen davor, und schon ist das Ganze nicht mehr Raub, Diebstahl und Erpressung, sondern Recht und „soziale Gerechtigkeit“. Sklaverei, das beliebige Verfügungsrecht über Menschen, ist in einem Rechtsstaat verboten. Worin aber besteht der Unterschied, ob ein Mensch gezwungen wird, die Hälfte seines Lebens unentgeltlich für den Staat zu arbeiten – oder ob man ihm die Hälfte des Entgelts seiner Lebensarbeitszeit unter Zwang abnimmt? Es ist ein Unterschied in der Vorgehensweise, aber nicht in der Sache. Nun schaue man sich die Steuerdiskussionen an, zum Beispiel wenn es um die sogenannte „Reichensteuer“ geht. Da wird von den einen vorgetragen, die „breiten Schultern“ müßten mehr tragen. Und da wird von den anderen eingewendet, daß jetzt schon weniger als zwei Prozent (genau 1,7 Prozent) der steuerpflichtigen Höchstverdiener fünfzig Prozent des Steueraufkommens zahlen, während die untere Hälfte mit ihren fünfzig Prozent der Steuerpflichtigen noch nicht einmal sieben Prozent zum Einkommensteueraufkommen beiträgt. Es wird argumentiert mit der Gefahr von Steuerflucht und Abwanderung, mit rückläufigen Investitionen und Wachstumsverlangsamung, mit Solidarität und sozialer Gerechtigkeit (mit Gerechtigkeit kann es jedoch wenig zu tun haben, weil es für Gerechtigkeit im staatlichen Handeln nur eine einzige schlüssige Definition gibt – und das ist die Behandlung aller nach gleichen Regeln, ohne jede Bevorzugung oder Benachteiligung bestimmter Einzelner oder bestimmter Gruppen). Die Talkrunden schlagen sich stundenlang ganze Argumentations-Litaneien um die Ohren. Nur das entscheidende Argument fällt nicht, nämlich daß Einkommen und Eigentum, das nach den zulässigen und legalen Regeln der Marktwirtschaft – frei von kriminellen Handlungen – verdient worden ist, nicht unter Anwendung von Zwang und Gewalt „umverteilt“ werden darf, daß das legal erworbene Eigentum also unangetastet bleiben muß und zu schützen ist. Überhaupt kein Thema ist der infame Raub, der von der politischen Kaste und ihren Notenbanken vermittels des staatsmonopolistischen Papiergeldes und seiner beliebigen Vermehrung begangen wird. Seit 1950 wurde die Reallast der deutschen Staatsschulden permanent durch Inflation verringert. Damit wurden zugleich die Einnahmen und Vermögen der Bürger lau-fend entwertet (Kaufkraftverlust). Das heißt: Die Staatsschuld, die offiziell mit rund 1,5 Billionen Euro (eintausendfünfhundert Milliarden) ausgewiesen wird – und die in aufeinandergestapelten 500-Euro-Scheinen einen Turm von 300 Kilometern Höhe ergeben würde -, ist nicht nur eine schwere Bürde für die Zukunft, sondern wurde den Bürgern zu weiten Teilen schon auf heim-tückische Weise via Inflation abgeknüpft. Sie würde sonst, in realer Kaufkraft berechnet, ein Vielfaches der heutigen Last betragen. Das bedeutet Enteignung im Großmaßstab. Doch was bedeutet schon Eigentum. Daß die tatsächliche Staatsverschuldung – inklusive der unverbrieften Verbindlichkeiten (wie zum Beispiel die Pensionslasten) – bei 3,5 bis 4,5 Billionen Euro liegt, sei hier nur am Rande erwähnt. Ebenso, daß der laufenden Enteignung eines nicht mehr fernen Tages der Staatsbankrott (also in Wahrheit der finale Bürgerbankrott) folgen wird. Generell herrscht hinsichtlich des Themas Inflation ein Schweigekartell. Schon die als Stabilitätsweltmeisterin gepriesene D-Mark hatte bei ihrer Ablösung durch den Euro gerade noch fünf Prozent ihrer ursprünglichen Kaufkraft von 1950. Und der Euro hat sich – nach Berechnungen einer Expertengruppe aus Bundesbank und Universität Freiburg (Schweiz) – seit seiner Einführung nicht mit den offiziell genannten einen bis 2,5 Prozent jährlich entwertet, sondern mit 7 bis 7,5 Prozent; aufgelaufen also in der kurzen Euro-Zeit bereits um vierzig Prozent. Dieser permanente Kaufkraftverlust wird von der Bevölkerung und von der redenden und schreibenden Zunft hingenommen wie das Wettergeschehen, also ganz so, als sei niemand dafür verantwortlich und als könne niemand etwas daran ändern. Inflation „geschieht“ aber nicht, sondern wird gemacht, und zwar hauptsächlich durch eine Vermehrung der Geld- und Kreditmenge, die weit über den Zuwachs der Gütermenge hinausgeht. Die Zentralbanken sind hierbei – ob sie „unabhängig“ sind oder nicht – schlicht die Erfüllungsgehilfen der politischen Betreiber des Wohlfahrtsstaates und der mit der Politik verküngelten Interessenverbände. ……………………………. Eigentumsrechte: Das sind die Menschenrechte (Eigentum am eigenen Leben, am unversehrten Körper, an den Früchten der eigenen Arbeit). Ohne Respekt vor dem Eigentum können weder Moral noch Rechtsstaat noch Frieden und Zivilisation Bestand haben. ……………………………. Allein in den letzten fünf Jahren erfolgte im Euro-Raum eine Geldmengenvermehrung (M1), die sich Monat für Monat in einem statistischen Korridor von fünf bis 17 Prozent abspielte. Und das bei realen Wachstumsraten der Wirtschaft bei nahe Null. Geldmengenaufblähung aber ist Inflation. Der Anstieg des Preisniveaus, die sogenannte Preisinflation, ist eine Folge der zuvor erzeugten monetären Inflation. Diese alte ökonomische Tatsache ist inzwischen sogar den Lehrstuhl-Ökonomen abhanden gekommen. Wenn die Inflation aber absichtlich erzeugt wird, dann beinhaltet diese Absicht auch die permanente Entwertung der Einkommen und Ersparnisse der Bürger. Und das ist gleichbedeutend mit Raub und Diebstahl, mit Eigentumsverletzung in astronomischen Größenordnungen. Je lauter das Geschrei um die Menschenrechte wird, desto mehr scheint in Vergessenheit zu geraten, daß die Menschenrechte im Kern Eigentumsrechte sind (Eigentum am eigenen Leben, am eigenen unversehrten Körper, an den Früchten der eigenen Arbeit). Eigentumsrechte: Das sind die Menschenrechte. Alle Menschenrechtsverletzungen sind Eigentumsrechtsverletzungen. Sogar die Christen wollen nicht mehr wahrhaben, daß allein drei der Zehn Gebote der Bibel die Unantastbarkeit des Eigentums gebieten: 1. Du sollst nicht stehlen, 2. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, 3. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut. Der Respekt vor dem Eigentum ist die fundamentale Regel der Moral. Ohne diesen Respekt können weder Moral noch Rechtsstaat noch Frieden und Zivilisation Bestand haben. Den Zusammenhang hat James Baldwin nachgezeichnet: „Freiheit ist eine notwendige Bedingung für Moral, und privates Eigentum ist die notwendige Bedingung für Freiheit.“ Im Enteignungsstaat Deutschland gilt das alles nichts mehr. In der Kleptokratie namens Bundesrepublik ist die Aneignung fremden Eigentums keine Frage des Ob mehr – es ist noch nicht einmal eine Frage überhaupt -, sondern nur noch des Wo und Wie und Wieviel. Den am blinden Fleck erkrankten Eliten ist der bedeutende deutsche Ökonom des vergangenen Jahrhunderts, Wilhelm Röpke, wohl unbekannt geblieben. Bei ihm könnten sie nachlesen: „Eigentum bedeutet nicht nur, daß (…) die individuelle Sphäre der Entscheidung und Verantwortung gegen diejenige der anderen Individuen abgegrenzt wird. Es gewährleistet vielmehr auch den Schutz der individuellen Sphäre gegenüber der politischen Gewalt. Es zieht nicht nur eine horizontale, sondern auch eine vertikale Grenze, und erst in dieser Doppelfunktion kann das Eigentum voll verstanden werden als die unerläßliche Bedingung der Freiheit.“ Roland Baader ist Nationalökonom und Sozialphilosoph. Auf dem Forum der JUNGEN FREIHEIT schrieb er zuletzt über das „Konsum-Märchen“ (JF 6/06). Baader publizierte 2005 im Resch-Verlag, Gräfelfing, die Bücher „Gold, Geld und Gottspieler“ sowie „Das Kapital am Pranger. Ein Kompaß durch den politischen Begriffsnebel“. Bild: Fernand Léger, Les Plongeurs, Öl auf Leinwand 1945: Alle Menschenrechtsverletzungen sind auch Eigentumsrechtsverletzungen
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