Herr Dr. Weißmann, sehen die Lehrpläne in Deutschland das Thema Weiße Rose vor? Wie wird der Widerstand gegen Hitler in den Schulen allgemein behandelt? Weißmann: Man muß vielleicht vorausschicken, daß Lehrpläne im genauen Sinn des Wortes gar nicht existieren. Die „Rahmenrichtlinien“ geben – wie der Name schon sagt – einen Rahmen für den Unterricht vor, aber die Ausgestaltung im einzelnen obliegt dem Lehrer. Eine faktische Bindung entsteht natürlich durch die Zulassungspraxis für Lehrbücher. Die meisten Lehrer neigen wenigstens im Mittelstufenunterricht dazu, hauptsächlich diese Bücher zu benutzen, so daß Sachinformation und Deutung wesentlich durch deren Inhalt vorgegeben sind. Im Zusammenhang mit der Darstellung des NS-Regimes im Geschichtsunterricht nimmt der Widerstand einen gewissen Raum ein, wobei in den letzten zehn bis fünfzehn Jahren eine Tendenz zu beobachten war, den 20. Juli in seiner Bedeutung zu beschneiden und dafür die „Resistenz“ an der Basis – bis hin zu abweichendem Sozialverhalten – stärker hervorzuheben. Die Weiße Rose spielt immer eine Rolle, allerdings muß man im Blick haben, wie wenig Zeit für das Thema bleibt – zwei Stunden für den Widerstand insgesamt sind schon relativ viel, wenn die Vorgabe lautet, in der 10. Klasse die Epoche zwischen 1918 und der Gegenwart zu bearbeiten. In der Oberstufe ist das natürlich anders, aber in dem Maß, in dem das Zentralabitur zur Norm wird und sich die Vorstellung dahingehend entwickelt, mehr Überblickswissen zu vermitteln, reduzieren sich auch da die Möglichkeiten, intensiver auf besondere Fragen einzugehen. Welche Aspekte sehen Sie bei der Darstellung des Widerstands vernachlässigt, welche überbetont? Welchem Zweck dient nach Ihrer Ansicht diese Gewichtung? Weißmann: Es hat in der Schule immer eine sehr starke Tendenz gegeben, den Widerstand ausschließlich als „Aufstand des Gewissens“ zu deuten. Das entsprach ja auch der offiziellen Linie, weil sich die Bundesrepublik schwertat mit diesem Erbe. Die Träger der Opposition vertraten schließlich Weltanschauungen, die mit dem Selbstverständnis des westdeutschen Teilstaats kaum zur Deckung zu bringen waren. Also rettete man sich damit, das rein Ethische zu behandeln, unter Absehung von allen konkreten Umständen. Das hatte zwei, wie ich glaube, ausgesprochen negative Folgen für die Auffassung des Widerstands. Zum ersten erschienen seine Träger moralisch sakrosankt und deshalb alle anderen verdammt. Das kann zu einer schwer erträglichen Arroganz der Nachgeborenen und zur Neigung führen, eigenen „Widerstand“ im Licht eines Handelns zu sehen, das selbstverständlich unter Ausnahmebedingungen vonstatten ging. Zum zweiten verleitet man die Jugendlichen, das Außergewöhnliche in Personen wie Stauffenberg, Tresckow oder den Geschwistern Scholl zu verkennen und möglicherweise zu glauben, daß man es selbst „besser gemacht“ hätte. Mir ist schon vorgekommen, daß Sechzehnjährige meinten, Stauffenberg sei zwar „ganz in Ordnung“ gewesen, aber als Offizier müsse man ihn natürlich als Verbrecher betrachten und außerdem als Versager, da es ihm ja nicht gelang, Hitler zu töten. Identifizieren sich die Schüler mit der Weißen Rose? Weißmann: Als vor etwa zwanzig Jahren der Film „Die Weiße Rose“ von Michael Verhoeven auf die Leinwand kam, hat das zu vehementen Debatten mit vielen Schülern geführt. Der Grund lag aber weniger in dem Film selbst als in dem Abspann, in dem eine Parallele zwischen dem Widerstand gegen das NS-Regime und dem „Widerstand“ gegen die damals heftig umstrittene Nachrüstung gezogen wurde. Das war natürlich ein Kurzschluß, aber immerhin hatten diejenigen, die sich identifizierten, das Gefühl, daß das damals Geschehene für sie von Bedeutung sei. Davon kann heute keine Rede sein. Das liegt vor allem an der Entpolitisierung der jungen Generation, aber auch an der wachsenden zeitlichen Distanz. Heißt das, alle pädagogischen Anstrengungen in dieser Richtung sind vergeblich? Weißmann: Das möchte ich gerade nicht sagen, außerdem habe ich meinen Widerwillen gegen kurzschlüssige Identifikationen schon zum Ausdruck gebracht. Ich hoffe in gewisser Weise auf die Fremdartigkeit, die durch den Abstand wächst und einerseits die „Historisierung“ des Widerstands, andererseits die Annäherung auf eine neue Weise ermöglicht. Ich möchte das Gemeinte am Beispiel des Stauffenberg-Films von Jo Baier illustrieren. Ich habe ihn mir im Fernsehen nicht angeschaut, weil ich eigentlich von Anfang an negativ voreingenommen war. Dann kam zuerst eine junge Kollegin und später ein ganzer Schwarm Schüler. Alle mit derselben Frage: „Stimmt das wirklich, daß Stauffenberg mit dem Ruf ‚Es lebe das heilige Deutschland‘ gestorben ist?“ Das hat die Möglichkeit geboten, auf die – wenn man so will: mythische – Dimension des Widerstands einzugehen, und der Film hat das, bei allen Schwächen im einzelnen, auf eine gute Weise vorbereitet. Als Kontrast erscheint mir eine Debatte mit einem Mädchen aus der Antifa-Jugend vor Jahren, die auf ein Flugblatt der Weißen Rose, das ein Zitat von Theodor Körner enthielt und die „Ehre Deutschlands“ verteidigte, mit den Worten reagierte, das sei doch alles „Nazi-Kacke“. Dr. Karlheinz Weißmann ist Historiker und Studienrat an einem Gymnasium weitere Interview-Partner der JF
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