Seit Spätsommer tobt ein großer städtebaulicher Streit in der Mainmetropole Frankfurt. Mitten in die im Krieg zerstörte ehemalige mittelalterliche Altstadt zwischen gotischem „Römer“-Rathaus und Kaiserdom war 1972 ein brutaler Waschbetonklotz plaziert worden, das Technische Rathaus. Dieses Produkt fehlgeleiteten Zeitgeistes ist mittlerweile stark sanierungsbedürftig und soll nun nach städtischem Beschluß abgerissen werden. Damit wird ein für die Stadt und die deutsche Geschichte bedeutsames Areal zur Neubebauung frei. Planungsdezernent Edwin Schwarz (CDU) präsentierte in Einvernehmen mit interessierten Investoren im September den Siegerentwurf eines Architektenwettbewerbs, der vor allem nur durch extreme Wirtschaftlichkeit – sprich: Flächenausnutzung – und nur minimale historische Raumbezüge auffiel. Architekturzeichnungen zeigten zudem glatte, konventionelle Glas- und Steinplattenfassaden, wie sie heute zum Standard bundesdeutscher Bankenquartiere gehören. Die Verantwortlichen klopften sich bereits auf die Schulter, alles rasch unter Dach und Fach gebracht zu haben, als sich unerwartet Widerstand gegen die städtischen Planungen regte. Die Grünen ereifern sich über „Revisionismus“ Die Oppositionsfraktion der Freien Wähler-BFF hatte bereits als erste im Vorfeld der Entscheidung einen Magistratsantrag gestellt, das Areal nach dem alten Straßenverlauf des königlichen „Krönungsweges“ auszurichten sowie mit rekonstruierten Leitbauten der alten Fachwerkstadt und historisierender Restbebauung zu füllen. Der Antrag wurde zwar umgehend von den Mehrheitsfraktionen abgelehnt, doch sein Medienecho überraschte. Viele Bürger sprachen sich in Leserbriefen für die Rekonstruktionsidee aus, und ein Offenbacher Bauingenieur präsentierte ein durchdachtes Computermodell samt Machbarkeitsstudie einer vollständigen historischen Rekonstruktion. Die Verantwortlichen des Planungswettbewerbs gerieten ins Schwitzen, forderten Nachbesserungen, die verwirrten großen Parteien sprachen sich zunehmend für einzelne Rekonstruktionen aus, um die Bürgerseele zu beruhigen. Gleichzeitig begannen sich modernistische Gegner zu formieren, kommunale Stadtplaner und Vertreter der Architektenlobby, mit der Wirtschaft verbandelte Kommunalpolitiker und Ideologen. Die Modernisten sparten nicht mir sehr hartem Tobak, um diejenigen anzugreifen, die auf dem kleinen Areal etwas anderes als die üblichen modernen Geschäftsbauten verwirklicht sehen wollten. Beliebt waren mal wieder Begriffe aus der „antifaschistischen“ Mottenkiste. Die Grünen ereiferten sich über „Revisionismus“ und machten sich indirekt zum Sprachrohr der Vermarktungsinteressen der Betonlobby. Grünen-Sprecher Stefan Majer verstieg sich gar zu der Aussage: „Fachwerk ist infektiös in dieser Stadt!“ Andere Stellungnahmen warnten vor „reaktionären“ Bestrebungen. Der Architekt Albert Speer beschimpfte die Rekonstruktionspläne als „schwachsinnig“. Bei einer Podiumsveranstaltung im Deutschen Architekturmuseum erklärte ein Mitglied der städtischen Planungsjury, die Deutschen müßten einsehen, daß die unwiederbringliche Zerstörung der Altstadt ein Ergebnis ihrer Wahlentscheidungen von 1933 sei. Der Psychoanalytiker Wolfgang Leuschner war bei dieser Veranstaltung ebenfalls strategisch auf dem Podium plaziert, um Anhänger von Rekonstruktionen zu psychisch labilen Patienten zu stempeln. Er äußerte in der Frankfurter Rundschau, daß die Zerstörung als „Folge der Verbrechen des Hitler-Regimes“ zu betrachten sei. Er polemisierte gegen solche heutigen Stadtheilungsbestrebungen als „Bilder infantiler Sehnsüchte“, als „ganzjährigen Weihnachtsmarkt“, „Geschichtslüge“ und „rückwärts gewandte Architektur“, die von der „eigenen Schuld“ ablenken wolle. Das eklatante Unverständnis der Baumodernisten gegenüber historisierender Architektur, die vorschnell als „Disneyland“ abgetan wird (analog könnte man die Bauhaus-Moderne als „Raumschiff-Enterprise-Kitsch“ bezeichnen), resultiert also auch aus der Instrumentalisierung von „Schuld“ und linearem Fortschrittsdenken. Deshalb verkennen diese Leute, daß historisierende Architektur vermutlich gerade fortschrittlich ist, da sie – angesichts des offenkundigen Scheiterns der Bauhaus- Moderne – Defizite des Bestehenden zu überwinden versucht. Gegen die „belanglosen Architekturbauten“ Architektonische Rebellion wird von der Stadtplaner- und Architektenlobby als „Gefahr“ empfunden. Hier geht es darum, Fragen zur eigenen Verantwortung abzuwehren und eine basisdemokratische Einflußnahme von Bürgern in die bislang obrigkeitlich verfügten Entscheidungsprozesse zu verhindern. Instinktiv ängstigt die Lobbyvertreter, daß sich diese kleinsten Rekonstruktionsinseln pilzartig ausweiten könnten. „Wenn das so weitergeht, werden wir am Ende noch arbeitslos“, meinte ein junger Architekt bei der Veranstaltung im Architekturmuseum zu einem Kollegen. Die Rekonstruktionsbefürworter ließen sich von der Polemik nicht einschüchtern, sondern sprachen sich gegen „belanglose Architekturbauten“ aus und für eine „architektonische Lösung, die der Geschichte, dem Wohlgefühl und der Attraktivität der Stadt verpflichtet ist“. Die Junge Union und die SPD brachten die Möglichkeit eines Bürgerentscheids ins Spiel. Mittlerweile hat sich unter großem Interesse der Einwohner eine Bürgerinitiative Pro Altstadt gebildet. Der Ex-Kulturdezernent Hilmar Hoffmann (SPD) meinte auf die Frage nach Fachwerk-Rekonstruktionen am Römerberg: „Ja, ich bin dafür. Ich bin in der Welt herumgekommen und habe gesehen, was die alte Architektur bei den Menschen an Identifikation mit ihrer Stadt und ihrer Geschichte bedeutet.“ Ruinensanierungen und Baurekonstruktionsbemühungen werden bisher selten von staatlicher Seite unterstützt, sondern kommen zumeist nur auf Bestreben von Bürgerinitiativen und Einzelpersonen zustande. Die engagierten Basisbewegungen „von unten“ stoßen sich oft an der staatlichen Bürokratie und Querschüssen der modernistischen Architektenlobby. Nur durch Hartnäckigkeit gelingt es, die staatliche Pflicht zur Mitwirkung an der Erhaltung des baukulturellen Erbes einzufordern. Dies ist als Akt der Wiederaneignung von Geschichte und eigener Lebenswelt nach den Zerstörungen zu interpretieren. Das Rhein-Main-Gebiet weist einige Beispiele hierfür auf: Die klassizistische Stadtbibliothek in Frankfurts Innenstadt brannte 1943 vollkommen aus. Die Ruine wurde 1965 bis auf die korinthische Säulenvorhalle mit Giebel, den Portikus, abgebrochen. Eine Initiative, der Bürgerverein Alte Stadtbibliothek e.V., initiierte durch Spenden die Finanzierung einer Rekonstruktion in Höhe von etwa elf Millionen Euro, die auf Grundlage eines Entwurfes von Christoph Mäckler nun im Oktober fertiggestellt wurde. Ebenfalls in Frankfurt rekonstruiert der niederländische Immobilien‑ und Stadtteilentwickler MAB scheinbar ganz unkompliziert ein kleines „Stadtschloß“ im Rahmen eines baulichen Großprojektes. Stolz zeigt man sich dabei vor allem angesichts des gleichzeitigen bürokratischen Versagens in Berlin. In der Nähe der Frankfurter Shoppingmeile Zeil entsteht für 800 Millionen Euro ein neues Einkaufsquartier. Neben dem gastronomisch und kulturell zu nutzenden „Stadtschloß“ umfaßt das Bauvorhaben zwei 120 und 93 Meter hohe Hochhäuser in markanter Rombenform und eine „Mall“. Der Deal des Investors mit der Stadt lief so: Wenn die geplanten Hochhäuser über die baurechtliche Marke aufgestockt werden könnten, würde man im Gegenzug das ab 1732 errichtete Palais Thurn und Taxis, von dem nur zwei Torbauten erhalten waren, nach Originalplänen rekonstruieren. Das noble Palais errang Bedeutung, da es im 19. Jahrhundert als Sitz des Bundestages und der Bundesversammlung fungierte. Fazit: aller regierenden Fraktionen stimmten zu. „Rettet Jagdschloß Platte“, hieß schon 1988 die Devise einer Bürgerinitiative in Wiesbaden. Dieser Traum darf nun 17 Jahre später in Erfüllung gehen, gegenwärtig wird die Ruine saniert. Das 1823 erbaute und im Zweiten Weltkrieg völlig ausgebrannte Schloß der nassauischen Herzöge erhält eine moderne gläserne Krone mit vier Pyramidenhelmen als freitragende Dachkonstruktion und soll fortan als Kultur‑ und Veranstaltungsort dienen. Federführend bei der Erhaltung ist die private Stiftung Jagdschloß Platte. 1989/90 hatte die Stiftung die Ruine für zwei Millionen Mark in einem ersten Sanierungsabschnitt von Schutt und Wildwuchs befreit sowie die erhaltenen Mauern gesichert. Das zum Teil von der Stiftung selbst finanzierte Projekt wird nun vom Land Hessen, der Stadt Wiesbaden und der Deutschen Stiftung Denkmalschutz unterstützt. Äußerlich originalgetreu wiederhergestellt wurde hingegen unlängst bereits das 1943 ausgebrannte kurhessische Schloß Rumpenheim im nahen Offenbach. Die Kasseler Landgrafen erweiterten eine ältere Residenz 1787 und 1805 zu einer dreiflügeligen barock-klassizistischen Anlage. Im angrenzenden Schloßpark entstanden Ziertempel und ein Mausoleum.Nach der Kriegszerstörung übernahmen Wetter und Verwahrlosung den nächsten Part. 1965 gingen Schloß und Park in städtischen Besitz über. Nachdem dann gar die sozialdemokratische Stadtregierung in den siebziger Jahren auf völligen Abriß spekuliert hatte, um Platz für ein monströses Betonhochhaus zu schaffen, regte sich Bürgerprotest. 1973 bildete sich eine „Bürgerinitiative Rumpenheim“ (BIR), der es schließlich gelang, das am Main gelegene Schloß vor dem endgültigen Verfall zu retten, erste Aufräumaktionen durchzuführen und mit Hilfe eines risikofreudigen Investors aufzubauen. So entstand der ehemalige Treffpunkt des europäischen Hochadels wieder, in Luxus-Eigentumswohnungen aufgeteilt und per Erbpacht verkauft. Die Stadt Offenbach hatte kein Geld zur Sanierung Ebenfalls in Offenbach dämmerte nach Kriegsbeschädigung jahrzehntelang der Badetempel des Bankiers Friedrich Metzler nahe des Mains, im Volksmund „Lili‑Tempel“ genannt, vor sich hin und vergammelte. Nur die Eingänge wurden vernagelt, um die Hinterlassenschaften von Stadtstreichern fernzuhalten. Die Stadt hatte kein Geld zur Sanierung des 1798 erbauten klassizistischen Kleinods, Investoren fanden sich keine. Durch Zeitungsartikel wurde der Möbelhändler Volker Hohmann aus Linsengericht bei Gelnhausen auf den Bau aufmerksam. Im Juni 2003 stellte er Restaurierungspläne vor und wurde mit der Stadt handelseinig. In Absprache mit dem Denkmalschutz wird nun bis 2006 die Ruine im Ursprungszustand des 18. Jahrhunderts wiederhergestellt. Hohmann trägt dafür die Baukosten in Höhe von bis zu 900.000 Euro. Neben dem Tempel kann er für 250.000 Euro ein dezentes modernes Gebäude errichten, das er zukünftig teilweise bewohnt. Restflächen des Neubaus und der Tempel dienen fortan als Ausstellungs- und Veranstaltungsort. Dafür erhält der neue Bewohner ein Drittel des umgebendes Parks für 99 Jahre in Erbpacht überlassen. Es gibt sie also doch, die Erfolgsgeschichten der historischen Rekonstruktion. Nur: Ohne Bürgersinn wird sie an vielen Orten auf verlorenem Posten stehen. „Ein historisches Stadtbild ist ständige Erinnerung an das aus der Tradition erwachsene Gemeinsame unserer Gesellschaft“, hatte der scheidende Bundesbauminister Manfred Stolpe (SPD) auf einem Syposium zur Altstadtsanierung in den neuen Bundesländern erklärt und die „Verantwortung der Bürgergesellschaft“ angemahnt (JF 47/05). Die Frage ist nur, wer sich diesem Anliegen verpflichtet fühlt. Foto: Zerstückelte Mainmetrople: Technisches Rathaus (vorne re.), darüber Paulskirche und „Römer“-Rathaus Stichwort: Albert Speer Albert Speer (71), Sohn des „Chef“-Architekten Hitlers, ist stolz, sich einen eigenen Namen gemacht zu haben. 1968 für das Projekt „Satellitenstadt Birkenheide“ mit dem Preis der Deutschen Bauausstellung prämiert, widmete er sich in den sechziger Jahren der Sanierung mittelalterlicher Städte wie Lübeck und Worms. 1984 gründete er in Frankfurt das Büro Albert Speer & Partner, das zu den ersten Adressen der Welt zählt, wenn es um große Projekte geht. Speer plante für die Expo 2000, gestaltete das Frankfurter Museumsufer, die Messe, den Flughafen und baut die Autostadt Anting in China. Es heißt, Speer habe Frankfurt ein neues Gesicht gegeben.