BERLIN. Der Fall des syrischen Staatsangehörigen Shadi S., der Anfang April einen Familienvater in der Berliner U-Bahn erstach, hat ein grelles Licht auf die massiven Versäumnisse von Justiz und Verwaltung geworfen. Wie neue Recherchen zeigen, war der Täter nicht nur vorbestraft und polizeibekannt – es gab auch einen weiteren, bislang nicht öffentlich gewordenen Zwischenfall, der geeignet gewesen wäre, die tödliche Tat zu verhindern.
Am 10. November 2023 soll Shadi S. in einem Obdachlosenheim in Berlin-Buch einen Mitbewohner mit einem Messer bedroht haben. Die Polizei rückte mit vier Beamten an, beschlagnahmte ein Küchenmesser, durchsuchte das Zimmer des Mannes und sprach ein Hausverbot aus. Dennoch stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren später ein – mangels eindeutiger Beweise auf einer Videoaufnahme.
Bereits Monate zuvor hatte die Polizei in internen Schreiben vor der Gefahr gewarnt, die von S. ausging. In zwei gleichlautenden Mitteilungen an die sozialpsychiatrischen Dienste der Bezirke Pankow und Steglitz-Zehlendorf hieß es laut einer Recherche von Welt , S. zeige paranoide Wahnvorstellungen, ausgeprägte Impulsivität und eine aggressive Feindseligkeit gegenüber staatlichen Autoritäten – insbesondere gegenüber Polizisten. Eine Reaktion der Behörden blieb aus.
Syrer zeigt strukturelles Staatsversagen auf
Auch die Justiz trug ihren Teil zum späteren Blutbad bei. Trotz zahlreicher Vorstrafen, darunter eine Messerattacke auf seine eigene Schwester im Jahr 2022, wurde Shadi S. vom Landgericht Chemnitz im März 2023 zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Erst im Dezember 2024 beantragte die Staatsanwaltschaft den Widerruf der Bewährung – doch der Vorgang erreichte Berlin erst im März 2025, kurz vor der Tat.
Die zuständige Bezirksstadträtin Dominique Krössin (Linke) kündigte nun die Einsetzung eines Krisenstabs an, um „datenschutzrechtliche und organisatorische Fragen“ zu prüfen. Währenddessen mehren sich in Sicherheitskreisen die Stimmen, die von einem strukturellen Staatsversagen sprechen. Die sozialpsychiatrischen Dienste seien für derartige Fälle geschaffen worden – doch wenn nicht einmal eine Kontaktaufnahme mit dem Gefährder erfolge, sei das System faktisch wirkungslos. (rr)