BERLIN. Das Bundeskriminalamt hat im Jahr 2024 so viele politisch motivierte Straftaten festgestellt wie nie seit Einführung des entsprechenden Meldedienstes im Jahr 2001. Konkret registrierte das BKA 84.172 Delikte politisch motivierter Kriminalität und damit einen präzedenzlosen Anstieg um rund 40 Prozent. Über die vergangenen zehn Jahre hinweg hat die politisch motivierte Kriminalität sogar um 116 Prozent zugenommen.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) und BKA-Chef Holger Münch begründeten die Entwicklung am Dienstag bei der Vorstellung der neuen Zahlen unter anderem damit, daß im vergangenen Jahr eine Reihe von Wahlen stattfand. Das erkläre aber „nicht im Ansatz die Gesamtsteigerung“, schränkte der Minister ein. „Sondern die ist sehr getrieben durch Polarisierung unserer Gesellschaft, durch andere Phänomene wie deutlich steigenden Antisemitismus.“
„Der Nahostkonflikt eskaliert in Deutschland“
Die meisten politisch motivierten Straftaten ordnete das BKA dem Phänomenbereich rechts zu (42.788). Es folgen Straftaten, die nicht konkret einsortiert werden konnten, dann links motivierte Kriminalität (9.971 Delikte), Kriminalität der ausländischen Ideologie (7.343 Delikte) und schließlich Straftaten der religiösen Ideologie (1.877 Delikten). In allen Bereichen gibt es einen signifikanten Anstieg, den stärksten im rechten Bereich (rund 48 Prozent mehr), den zweitstärksten im Phänomenbereich ausländische Ideologie (gut 42 Prozent). Dobrindt führte dies „zu einem erheblichen Teil“ auf die Entwicklungen in Nahost zurück. „Es ist nicht zu akzeptieren, in welchem Ausmaß der Nahostkonflikt in Deutschland in gewalttätiger Weise eskaliert“, mahnte er.
Zu berücksichtigen ist, daß es sich bei rund 62 Prozent der rechts motivierten Straftaten um Propagandadelikte handelt. Allerdings ist der rechte Phänomenbereich auch bei der politisch motivierten Gewalt mit 1.488 Delikten deutlich führend. Die Gewalttaten im Phänomenbereich ausländische Ideologie haben sich auf 975 Fälle fast verdoppelt.
Abgenommen hat unterdessen linke Gewalt, und zwar um rund 17 Prozentpunkte auf insgesamt 762 Delikte. Dobrindt merkte allerdings an, daß dies das Gefährdungspotential nur teilweise widerspiegle. So habe es „herausragende Einzeldelikte gegen Infrastruktureinrichtungen mit hoher Gewaltintensität und hohen Sachschäden“ gegeben. Auch grundsätzlich gingen 2024 die mit Abstand die meisten politisch motivierten Sachbeschädigungen von links aus (5.253 Delikte).
Dobrindt kritisiert lasche Strafverfolgung
Bei der Vorstellung der Zahlen wies Dobrindt mehrfach auf das Problem eines steigenden Antisemitismus hin. Dieser mache „uns größte Sorgen“. Dabei machte der Christsoziale deutlich, daß der größte Eskalationsfaktor hier der Phänomenbereich ausländische Ideologie sei. Zugleich verwies er auf einen Schulterschluß von Linksextremen und Islamisten gegen Israel. „Und das kann man dann ja auch auf der Straße immer wieder betrachten.“
In den Unterthemenfeldern Israel und Palästina registrierte das BKA im vergangenen Jahr insgesamt 7.328 Delikte, was einer Zunahme um rund 68 Prozent entspricht. Antisemitische Taten haben um 21 Prozent zugenommen auf insgesamt 6.236. Von den antisemitischen Delikten wurden 3.016 dem rechten Spektrum zugeordnet, 1.940 ausländischen Ideologien, 685 religiösen Ideologien und 109 dem linken Bereich. Angriffe auf Synagogen gab es 41, einen weniger als im Vorjahr.
Dobrindt zeigte Unverständnis dafür, daß es strafrechtliche Konsequenzen etwa für israelfeindliche Randalierer an einer Berliner Universität nicht gegeben habe. „Ich habe da mehr als Fragezeichen.“ Die Strafe müsse auf dem Fuße folgen. Generell plädierte Dobrindt unter anderem dafür, den Sicherheitsbehörden mehr Kompetenzen, etwa zur Vorratsdatenspeicherung, zu geben. Außerdem müsse bei antisemitischen Straftaten, in deren Folge Ausländer zu einer Freiheitsstrafe verurteilt werden, eine Regelausweisung stattfinden. „Wir dulden den importierten Antisemitismus auf unseren Straßen nicht.“
Haßkriminalität steigt an
Einen Anstieg gab es auch in allen anderen Unterthemenfeldern der Haßkriminalität, etwa bei der Ausländerfeindlichkeit (plus 34 Prozent), Christenfeindlichkeit (plus 22 Prozent) und Deutschfeindlichkeit (plus 26 Prozent). Unter den Parteien waren im Kontext der verschiedenen Wahlen die Grünen am häufigsten Opfer politischer Straftaten (3.204 Delikte), dicht gefolgt von der AfD (3.075 Fälle).
Auf die Frage, ob er die AfD für die Zunahme der politischen Kriminalität mitverantwortlich mache, wägte Dobrindt seine Worte sorgfältig ab. Es seien „natürlich alle, die in der Polarisierung eine Rolle spielen, ein Teilelement der Entwicklung“. Auf eine weitere Nachfrage, ob Dobrindt wie seine Amtsvorgänger den Rechtsextremismus als die größte Gefährdung für die Demokratie sehe, antwortete der Minister mit: „Ja. Die größte Gefährdung für die Demokratie geht vom Rechtsextremismus aus.“ (ser)