Ein „williger Helfer der Faschisten“: Mit diesen Worten attackierte der Linken-Bundestagsabgeordnete Luigi Pantisano Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer (parteilos) auf X. Der Grund: Für den 5. September hat Palmer ein Streitgespräch mit dem AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier organisiert. Aus Pantisanos Sicht ein Tabubruch. Palmer schoß zurück. Die Attacken seien „geschichtsvergessen und grenzüberschreitend“. Ein „Tiefschlag in der politischen Kultur“.
Unterstützung erhielt Palmer von Rezzo Schlauch. „Was Herr Pantisano von sich gibt, ist jenseits von der Linie, die man ernst nehmen kann“, sagte der frühere Grünen-Abgeordnete der Stuttgarter Zeitung. Wenn er vor rechter Hetze warne, „dann steht er ihnen mit diesem Statement in nichts nach. Da ist er selber der Hetzer.“ Schlauch ergänzte: „Er nimmt sein Maul ziemlich voll, wenn man sich anschaut, was er in Stuttgart auf die Beine gestellt hat.“
Er verwies darauf, daß die AfD in Pantisanos Heimat Stuttgart stärker sei als in Tübingen. Mit bloßer Ausgrenzung habe man die Partei nicht klein gehalten. Schlauch erinnerte an die achtziger Jahre, als er mit den Republikanern debattierte. „Die muß man stellen, denen kann man nicht einfach den politischen Raum überlassen.“ Er hält Palmer für einen, „der kompetent und überzeugend AfD-Positionen widerlegen kann“. Palmer selbst teilt diese Argumentation. Ende 2024 erklärte er im Magazin Cato, die „Brandmauer gegen die AfD“ sei gescheitert. Er sprach von einer möglichen Regierungsbeteiligung auf Zeit, um zu prüfen, ob die Partei sich mäßigen könne oder „wirklich Nazis“ seien. Dann müsse sie verboten werden.
Palmer ermöglicht das Podium
Der AfD-Landesvorsitzende Frohnmaier wiederum sieht den Abend als Chance. „Ich gehe nicht in dieses Duell, um mein Gegenüber bloßzustellen“, sagte er der JUNGEN FREIHEIT. Es gehe darum, „Gemeinsamkeiten und Unterschiede klar herauszuarbeiten“ und zu zeigen, daß man eine „zivilisierte Debatte“ führen könne. Die Aufmerksamkeit sei „großartige Werbung“ für seine Partei. „Die AfD hat im Wahlkreis Tübingen 16,1 Prozent erreicht – deutlich mehr als 2021.“ Im Stadtkern erzielte sie jedoch eines ihrer schwächsten Ergebnisse – so trifft Frohnmaier auf ein Publikum, das zwischen Stadt und Umland gespalten ist.
Entsprechend ist der Saal ausgebucht. Alle 750 Plätze in der Hermann-Hepper-Halle sind sofort vergriffen. Fast 1.000 Interessenten meldeten sich, 93 Personen stehen noch auf der Warteliste, teilte die Stadt auf JF-Anfrage mit. Für alle anderen gibt es einen Livestream. Es geschieht nicht alle Tage, daß ein amtierender Oberbürgermeister öffentlich mit einem AfD-Bundestagsabgeordneten debattiert. Frohnmaier tritt zugleich als Ministerpräsidentenkandidat für die Landtagswahl 2026 auf. Palmer, früher bei den Grünen, hat das Podium möglich gemacht. Rund hundert Stühle sind für AfD-Anhänger reserviert. Wer Zutritt will, braucht eine Bestätigung und muß in Tübingen wohnen. Fragen werden gesammelt und per Los gezogen.
Antifa mobilisiert, Polizei bereitet sich vor
Für den Abend trommeln Ver.di, Antifa und Fridays for Future zum „antifaschistischen“ Protest. Ihr Motto: „Keine Bühne für die AfD“. Daß die AfD in Tübingen nicht beliebt ist, zeigte sich bereits im Sommer. Eine Kundgebung in der Innenstadt mußte wegen massiven Gegendemonstrationen abgesagt werden. Palmer schlug vor: Verzicht auf die Versammlung gegen ein Streitgespräch in der Halle. Die AfD stimmte zu und trägt auch die Kosten für Saal und Sicherheitskonzept von 15.000 Euro. Mit dem Neutralitätsgebot ist dies vereinbar, stellte das Regierungspräsidium vorab klar. Denn die Initiative sei von der Partei ausgegangen. Voraussetzung sei aber, daß auch andere Parteien ein vergleichbares Angebot erhielten.
Damit es in Tübingen auch zum Meinungsaustausch kommen kann, werden aus dem Umland Polizisten zusammengezogen. Das Polizeipräsidium Reutlingen kündigte gegenüber der JF einen „adäquaten Kräfteansatz“ an. Welche Maßnahmen das einschließt, wollte die Behörde nicht verraten, „sonst könnten sie möglicherweise umgangen werden“. Klar ist jedoch: Rund um die Hermann-Hepper-Halle sollen Straßen gesperrt und Buslinien umgeleitet werden. Zuschauer müssen also zu Fuß anrücken – oder auf dem Fahrrad.