BERLIN. „Mies“, „schlecht“, „enttäuschend“ – so beschreiben führende Unionspolitiker die Stimmung in CDU und CSU. Nachdem Bundeskanzler Friedrich Merz praktisch im Alleingang ein Waffenembargo gegen Israel verhängte, ist der Unmut riesig in beiden Parteien. Eine mit 30 Unionspolitikern bestückte Schaltkonferenz von Merz-Vertrauten aus der Bundesregierung mit den Außenpolitikern der Fraktion verschärfte die Situation am Sonntag noch. Dabei sollte sie die Lage befrieden und Verständnis für die Entscheidung des Regierungschefs schaffen.
Doch das Gegenteil geschah. Die Welt schreibt nun sogar von der „Angst vor der Kernschmelze der Union“, die Bild schlagzeilt über den „Merz-Infarkt“. Zunächst war nur die CSU auf Distanz zum Kanzler gegangen. Landesgruppenchef Alexander Hoffmann erklärte bereits am Sonnabend – sehr wahrscheinlich in enger Abstimmung mit Parteichef Markus Söder: „Die CSU war an der Entscheidung nicht beteiligt, wir halten sie für bedenklich.“
Danach fraß sich der Unmut auch in die CDU hinein, bis er am Wochenende eskalierte. Warum ist das so? Zunächst treibt die Abgeordneten die inhaltliche Volte zur Weißglut. Mit einer 18zeiligen Erklärung hat der Kanzler die jahrzehntelang selbstverständliche Unterstützung Israels gestrichen. Sie gehört, wie viele Abgeordnete immer wieder betonten, zur DNA der Union. Und diesen Teil der Unions-Seele hatte auch Merz im Wahlkampf noch gestreichelt – und nun das Gegenteil umgesetzt.
Merz räumt seine Position komplett
Im Januar sagte er mit scharfer Kritik an der damaligen Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne): „Eine von mir geführte Bundesregierung wird auch unsere Beziehungen zu Israel festigen. Ich werde das faktische Exportembargo der amtierenden Bundesregierung umgehend beenden.“ Und Merz versprach: „Künftig wird gelten: Was Israel zur Ausübung seines Selbstverteidigungsrechts benötigt, wird Israel auch bekommen. Der Begriff ‚Staatsräson‘ wird sich wieder an Taten und nicht nur an Worten messen.“
Nun springt er mit Israel noch schlimmer um als Baerbock und beugt sich in den Augen vieler Unionspolitiker wieder mal der SPD. Nach Schuldenbremse, gescheiterter Abschaffung der Stromsteuer für Verbraucher und dem zunächst ausgesprochenen Rückhalt für die linksradikalen Verfassungsgerichts-Kandidatinnen zum dritten Mal. So verbreitete die SPD-Fraktion nach ihrem Triumph in der Israel-Frage auch eine Erklärung, in der es hieß: „Daher begrüßen wir, daß der Kanzler unserer Forderung folgt.“ Dieses Statement ließ bei einigen CDU-Politikern die Wut überkochen.
Die Israel-Freunde in der Unionsfraktion stehen wie abgemeierte Deppen da. Das Waffenembargo ist der dritte Punkt innerhalb kürzester Zeit, in dem sich die Abgeordneten wie im falschen Film vorkommen: Die Ampel wurde brutal abgewählt, aber der eigene Kanzler setzt deren Politik fort. Der Merz-Ausspruch „Links ist vorbei“ hat sich ins Gegenteil verkehrt.
Merz brüskiert CSU und hätschelt die SPD
Hinzu kommt der Kommunikationsstil des Kanzlers. Er mußte wissen, daß er mit dem Waffenembargo große Teile seiner Fraktion erschüttern würde. Hat er es deswegen bis zur letzten Sekunde vor ihnen geheimgehalten? Hat er deswegen nicht einmal auf der jüngsten Kabinettssitzung am Mittwoch auch nur ein Wort darüber verloren? Hat er deswegen die CSU komplett außen vor gelassen?
Fest steht: Merz stimmte sich eng mit seinem neuen Freund, „dem Lars“, ab: SPD-Fraktionschef Lars Klingbeil. Während die beiden die Entscheidung ausbaldowerten, erfuhr CSU-Chef Söder davon aus den Medien. Der Bayer fühlt sich in seiner bisher zu Merz gezeigten Loyalität ausgenutzt. Es ist tatsächlich der CDU-Chef, der die Schwesterpartei zum wiederholten Mal scharf brüskiert. In der Vergangenheit kam der Gegenwind in der Union meist aus München.
Am Sonntag folgte das nächste Kommunikationsdesaster: Während sich die 30 Unionspolitiker um 15 Uhr zu ihrer Schaltkonferenz zusammenfanden, in der es ausschließlich um Merz‘ Israel-Entscheidung ging, ließ sich der Kanzler von seinem außenpolitischen Berater Günter Sautter vertreten. Schließlich habe er Urlaub. Doch stattdessen ging Merz eine Stunde vorher in die ARD und rechtfertigte dort sein Embargo.
„Warum sitzen wir eigentlich hier?“
Viele fragten sich, warum sie mit Sautter vorliebnehmen sollten und sich der Kanzler vor der Runde drückte. „Warum sitzen wir eigentlich hier?“, zitierte die Welt einen der Teilnehmer. Als dann auch noch Details aus der Krisensitzung nahezu zeitgleich in den Medien landeten, erklärte der Vorsitzende der AG Auswärtiges in der CDU/CSU-Fraktion, Jürgen Hardt (CDU), die Runde ergebe keinen Sinn mehr.
Die Schaltkonferenz endete schließlich nach 60 Minuten ohne Einigung und ohne eine aus Sicht der Abgeordneten zufriedenstellende Erklärung des Kanzleramtes und des Auswärtigen Amtes. Die Unionspolitiker kehrten frustriert und heillos zerstritten in die Sommerpause zurück. (fh)