MARBURG. Der Rechtsprofessor Sebastian Müller-Franken hat die deutsche Klimapolitik scharf kritisiert. Mit Blick auf die möglichen Folgen des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom März 2021, wonach der Staat zur „Herstellung von Klimaneutralität“ verpflichtet ist, schrieb Müller-Franken in der Welt, daß das mit massiven Freiheitsbeschränkungen verbunden sein werde. Für den Juristen ist das „problematisch“.
Weil das Verfassungsgericht geschätzt hat, daß Deutschland bis 2030 die vorgesehene Menge an Emissionen überschritten haben werde, drohen „ab 2031 immer drastischere Freiheitsbeschränkungen“, warnte Müller-Franken. Wenn die Politik dem Urteil folgt, sei „praktisch jegliche grundrechtliche Freiheit gefährdet“.
Die Karlsruher Richter hätten „das Staatsziel ‚Umweltschutz‘ in einer Weise inhaltlich aufgeladen, die alles bisher Vorstellbare überstiegen hat“. Die vom Gesetzgeber angestrebte „Klimaneutralität“ – also der Netto-Null-Ausstoß von Treibhausgasen – gehe mit erheblichen Problemen einher. Denn die Berechnung eines „CO₂-Budgets“, das Deutschland verbrauchen darf, sei „mit Unsicherheiten verbunden. Wenn Deutschland aber den auf sich von diesem, wie immer berechneten, Budget entfallenden Anteil aufgezehrt hat, darf es nach der Logik der Entscheidung nach diesem Zeitpunkt im Prinzip gar kein CO₂ mehr ausstoßen“.
Freiheit könnte zum „Auslaufmodell“ werden
Um diese sogenannte Klimaneutralität zu erreichen, seien massive Freiheitseinschränkungen nötig, die alle Bereiche des Privatlebens betreffen würden. Freiheit könnte damit zum „Auslaufmodell“ werden, warnte Müller-Franken. „Der Gedanke des Bundesverfassungsgerichts ist im Ausgangspunkt plausibel, daß der mit zwei Prozent nur geringe Anteil Deutschlands an den weltweiten Emissionen kein Argument gegen Klimaschutzverpflichtungen sein kann.“ Aber: „Sofern in Deutschland nationale CO₂-Minderungserfolge durch eine teuerungsbedingte Verlagerung energieintensiver Industrien vom Inland in das Ausland erreicht werden, tragen sie zur Erreichung des Ziels der Verringerung des CO₂-Ausstoßes in die Erdatmosphäre nichts bei.“
Auch kritisierte Müller-Franken die wissenschaftlichen Quellen des Bundesverfassungsgerichts, das sich hauptsächlich auf Berichte des Panels on Climate Change, den Sachverständigenrat für Umweltfragen und das Umweltbundesamt bezogen hatte. Das Umweltbundesamt sei „eine nachgeordnete Behörde“ des Umweltministeriums, wonach es „den Weisungen des Ministers unterliegt“. Der Sachverständigenrat sei zwar nicht weisungsgebunden, „wohl aber werden dessen Mitglieder vom zuständigen Umweltministerium ausgewählt und so auch von der Politik besetzt“, monierte der 62jährige.
Es wäre besser gewesen, wenn das Gericht zusätzlich Wissenschaftler anderer Institute zu Wort hätte kommenlassen.
Zweifel an der Kippunkt-Theorie
Für „den Umgang mit der Kippunkte-Theorie“, wonach es bei Überschreitung eines gewissen CO₂-Ausstoßes zu irreparablen Schäden des Klimas kommt, hätte es laut Müller-Franken eine mündliche Verhandlung gebraucht. Das Gericht habe sich ausschließlich auf die Begründer dieser Theorie bezogen, obwohl diese in der Wissenschafts-Szene kontrovers diskutiert werde.
Das Verhalten des einzelnen Bürgers stehe der Logik der Karlsruher Richter folgend „unter einem generellen CO2- Zulassungsvorbehalt, eine Vorstellung, die dem Grundgesetz fremd ist“, kritisierte Müller-Franken. Zudem betonte er mit Blick auf das Pariser Klimaabkommen, auf das sich das Verfassungsgericht bezieht: „Völkerrechtlich vereinbart ist nur die Idee, daß es ein globales CO₂-Budget geben soll. In der Frage, nach welcher Methode dieses Budget auf die Staaten zu verteilen ist, gab es dagegen keinen Konsens.“
Kernenergie als Klimaretter
Die Kernenergie sieht Müller-Franken als sinnvolles Instrument, um den CO₂-Ausstoß zu senken, weil diese grundlastfähig und CO₂-neutral sei. „Ihr Einsatz erübrigte auch alle Eingriffe in die Freiheit der Bürger, da die Ausübung von Freiheit bei ihrer Nutzung für das Klima irrelevant wäre“, ist sich der Jurist sicher.
Hinsichtlich des Beschlusses aus Karlsruhe betonte er: „Das Grundgesetz verpflichtet das Bundesverfassungsgericht indes nicht dazu, den Deutschen den Verlust ihrer Freiheit ‚zur Weltrettung per Gerichtsbeschluß‘ aufzuerlegen.“ (st)